Oberbürgermeister stellt nach Unglück den U-Bahn-Bau infrage · Kaum nochChancen auf Rettung der Vermissten
Nach dem Einsturz des historischen Stadtarchivs in der Kölner Innenstadt am Dienstag hat die Feuerwehr die Hoffnung aufgegeben, die zwei Vermissten noch lebend zu finden. Sollten die beiden Männer, die im Dachgeschoss eines Nachbarhauses gewohnt hatten, unter den Trümmern begraben sein, hätten sie nur wenig Chancen auf Rettung, sagte ein Sprecher der Berufsfeuerwehr gestern. Als Ursache für das Unglück wird der nahe gelegene U-Bahn-Bau immer wahrscheinlicher. Das Archivgebäude war in einem 28 Meter tiefen Schacht der Baustelle versunken.
Schon im Vorfeld hatte es Anzeichen für Gebäudeschäden gegeben. Die Staatsanwaltschaft leitete nun ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt ein. „Wir gehen dem Verdacht der Baugefährdung und der fahrlässigen Körperverletzung nach“, sagte Oberstaatsanwalt Günther Feld. Mitarbeiter des Stadtarchivs erhoben schwere Vorwürfe gegen die Stadt. Es habe schon vor längerer Zeit deutliche Schäden an dem Gebäude gegeben, sagte der ehemalige Abteilungsleiter Eberhard Illner dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Auch Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) steht in der Kritik. „Die politische Verantwortung trägt ganz klar der Oberbürgermeister“, sagte ein Sprecher der Kölner FDP der FTD. Es sei wohl geschlampt worden. Die Ratsfraktion der Liberalen war zurückhaltender. Geschäftsführer Ulrich Breite sagte, man wolle erst die Untersuchungen abwarten. Ähnlich äußerte sich Grünen-Fraktionschefin Barbara Moritz. Die Grünen hätten 1992 als einzige Partei gegen die Route der Nord-Süd-Stadtbahn gestimmt – allerdings nicht aus Sorgen um Einstürze, sondern aus Kostengründen.
Der Oberbürgermeister brachte gestern sogar einen Stopp des U-Bahn-Baus in der Kölner Altstadt ins Gespräch. „U-Bahn-Bau grundsätzlich in einer Großstadt wird für mich zu einem Problem“, sagte Schramma. Er räumte ein, dass es im Zuge des U-Bahn-Baus an verschiedenen Stellen Auffälligkeiten und Schäden gegeben habe.
Fachleute reagierten irritiert auf Schrammas Äußerung. „Es kann keine Alternative sein, auf den U-Bahn-Bau zu verzichten“, sagte Roland Leucker, Geschäftsführer der Studiengesellschaft für unterirdische Verkehrsanlagen, einer industrienahen Forschungsinstitution in Köln. Zudem sei die Unfallhäufigkeit eher geringer als bei anderen Bauprojekten.
Der Baukonzern Bilfinger Berger zog sich auf die Feststellung zurück, dass der Grund für den Einsturz noch nicht definitiv geklärt sei. „Es gibt noch keine abschließenden Erkenntnisse über die Ursachen des Zusammenbruchs“, sagte ein Sprecher. Der Mannheimer Konzern ist Konsortialführer einer Gruppe mit den Firmen Wayss & Freytag und Züblin, die für den betroffenen Bauabschnitt verantwortlich ist. Der eigentliche Tunnel ist seit mehr als einem Jahr fertiggestellt. In der Nähe der Unfallstelle wird jedoch ein weiteres unterirdisches Bauwerk zum Gleiswechsel der Bahnen erstellt.
Der Bau solle auch nach dem Unglück weitergehen, sagte ein Sprecher der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB). Es gebe keine Hinweise, dass von dem Bau an anderen Stellen Probleme ausgingen. Im Dezember 2008 habe ein Gutachter bestätigt, dass die damals vorhandenen Risse die Statik des Stadtarchivs nicht gefährdeten. Trotzdem würden sämtliche Risse, die im Laufe der Zeit durch die Bauarbeiten an Gebäuden in der Stadt entstanden sind, erneut überprüft.
Der Einsturz des Stadtarchivs hat einen immensen Schaden verursacht. Nach Angaben der Stadt Köln liegt der versicherte Wert des Inhalts des Kölner Archivs bei 400 Mio. Euro. Ungewiss ist, ob die Kölner Verkehrsbetriebe und die Stadt gegen den eingetretenen Schaden ausreichend versichert sind. Die Kölner Verkehrsbetriebe haben nach eigenen Angaben Deckungen bei dem Londoner Versicherungsmarkt Lloyd’s und dem deutschen Versicherer HDI-Gerling eingekauft. Pro Schadenfall bestehe eine Deckung von 30 Mio. Euro, sagte KVB-Vorstand Walter Reinarz. Gebäude und Inhalt des Stadtarchivs sind bei der Provinzial Rheinland über einen Rahmenvertrag versichert. Für das Haus besteht eine klassische Gebäudeversicherung mit einer Versicherungssumme von 12,2 Mio. Euro. Für den Inhalt des Archivs besteht darüber hinaus eine sogenannte Allgefahrendeckung mit einer Versicherungssumme von 60 Mio. Euro. Außerdem ist der Inhalt nach Angaben des Kölner Kulturdezernenten Georg Quander bei der Axa versichert. Laut einer Axa-Sprecherin hat die Stadt aber nur einen Feuerschadenvertrag geschlossen. „Deshalb kommt eine Deckung nicht infrage“, sagte sie.
Angelika Dehmel, Bastian Reichert, Berlin, Michael Gassmann, Düsseldorf, und Anja Krüger, Köln
Quelle: Financial Times Deutschland
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