Krankenhäuser wollen Führungskräfte, die nicht nur rechnen können, sondernauch die Sprache der Ärzte sprechen. Doch qualifizierte Klinik- Manager sindMangelware. Die Personalnot wird zum Wachstumshemmnis Friederike Krieger
H aus um Haus haben die privaten Klinikketten in den vergangenen Jahren aufgekauft. Wo auch immer eine kommunale Klinik im Angebot war: Unternehmen wie Rhön, Asklepios, Helios und Sana griffen zu. So soll es eigentlich weitergehen. Gerade 2010, wenn die Finanzkrise die Kommunen voll erreicht haben wird, wollen die privaten Ketten weitere Häuser übernehmen. An Kapital dafür fehlt es nicht – wohl aber an Personal. Für die Unternehmen hat sich in den vergangenen Jahren ein ganz neues Problem aufgetan: Es gibt nicht genügend qualifizierte Manager. Inzwischen müssen die Klinikkonzerne nicht nur prüfen, was sie sich finanziell leisten können, sondern auch personell. „Die mangelnde Verfügbarkeit von Führungskräften ist zum Wachstumshindernis geworden“, sagt Reinhard Wichels, Klinikexperte bei McKinsey.
Krankenhäuser brauchen ein gutes Management, um im Markt bestehen zu können. Vor allem die privaten Ketten sehen dieses Know-how als zentralen Teil ihres Geschäftsmodells. Inzwischen aber gibt es viel zu wenige Manager, die für die Branche geeignet sind. „Der Wettbewerb um hochqualifizierte Bewerber ist härter geworden“, bestätigt Jan Stanslowski, Personalvorstand bei Sana. An den Schritt ins Ausland ist schon aus diesem Grund für viele Konzerne derzeit gar nicht zu denken. Sie konzentrieren sich allein auf den deutschen Markt. „Wir gehen nicht ins Ausland, um uns nicht in Deutschland zu schwächen“, sagt Francesco De Meo, Chef der privaten Helios-Klinikkette. „Für den Export gibt es einfach nicht genügend qualifizierte Manager.“
Der Mangel an hochkarätigen Führungskräften ist durch den schnellen Systemwandel im Kliniksektor entstanden. Früher stand an der Spitze eines Krankenhauses der Verwaltungsdirektor. In den kommunalen Häusern war das oft ein Abschiebeposten für ausgediente Politiker. Die bekamen nach dem Kostendeckungsprinzip das Geld für den Krankenhausbetrieb, das verteilten sie an die Chefärzte weiter. „Die Klinikchefs waren mehr Dienstleister für die Ärzte, als dass sie Macht hatten“, sagt Wichels.
Dann aber wurde ein neues Abrechnungssystem eingeführt, die sogenannten DRGs. Die Häuser werden seit 2003 nicht länger nach Liegezeit der Patienten, sondern pro Fall bezahlt – und müssen sehr viel mehr aufs Geld schauen. Heute ist es nicht mehr lukrativ, einen Patienten möglichst lange dazubehalten, im Gegenteil: Je straffer die Abläufe organisiert sind, desto kosteneffektiver arbeitet ein Krankenhaus. Das zu managen setzt aber voraus, die Abläufe überhaupt zu kennen. Gesucht sind seither Manager, die auch die Sprache der Ärzte sprechen. Und Mediziner, die betriebswirtschaftlich denken. Beides gibt es kaum.
Begehrte Doppel-Spezialisten
Zwar bieten immer mehr Universitäten und Fachhochschulen Studiengänge an, die Klinikmanager auf solche Aufgaben vorbereiten. Doch die Abschlüsse sind relativ neu. Der Großteil der Nachwuchskräfte befindet sich noch im Studium. „Das Gesundheitssystem hat sich schneller gewandelt als die Ausbildung“, sagt Wichels.
Ebba-Karina Sander verdient ihr Geld mit dieser Notlage. Sie ist seit neun Jahren Interimsmanagerin. Auf Zeit übernimmt sie die Leitung von Krankenhäusern, wenn sie in Schieflage geraten sind. Dadurch hatte sie bereits Einblick in zahlreiche Krankenhäuser. „Bei vielen Klinikmanagern ist noch nicht angekommen, dass nicht Verwaltung, sondern Veränderung das Gebot der Stunde ist“, sagt sie. Oft findet sie in den Häusern ein ausgefeiltes Berichtswesen vor. Penibel ist in den Akten festgehalten, dass die Patientenzahlen rückläufig sind. Doch niemand reagiert. Sander versteht das nicht. „Ein Arzt stellt doch auch nicht nur fest, dass das Fieber seines Patienten gestiegen ist und fertigt darüber Statistiken an, sondern handelt“, sagt sie.
Die Krankenhäuser werben sich die wenigen Topleute inzwischen gegenseitig ab. Dabei nehmen sie immer öfter die Dienste von Headhuntern in Anspruch. Mehr als 50 Prozent aller Führungpositionen in Kliniken werden von Personalberatern besetzt. Der Markt für diese Dienstleistung im Gesundheitswesen ist übersichtlich. Von den 5000 Unternehmensberatern in Deutschland bieten etwa 1600 auch Personalberatung an, davon aber nur eine Handvoll in der Gesundheitswirtschaft.
Dabei gilt die Branche als krisensicher: „Während andere Industriezweige Einstellungsstopps verkünden, verzeichnen wir aus dem Klinikbereich eine steigende Zahl von Anfragen“, sagt Silvia Dobrindt, Gesundheitsexpertin beim Personalberater Kienbaum. Der wirtschaftliche Abschwung ändere schließlich nichts daran, dass die Menschen älter und kränker würden.
Die meisten Klinikmanager in Deutschland kennt Dobrindt persönlich. Sie weiß, in welchen Häusern Geschäftsführer mit der begehrten medizinisch-ökonomischen Doppelqualifikation arbeiten und wie es um deren Karrierewünsche bestellt ist. Ein Manager träumt etwa davon, ein größeres Haus zu leiten, ein anderer möchte gern in eine private Klinik wechseln. „Ich habe zu den Führungskräften ein lang gewachsenes Vertrauensverhältnis aufgebaut“, sagt sie. Die Kontakte wollen gepflegt werden. Neben Treffen unter vier Augen sind Veranstaltungen wie der Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit für Dobrindt absolute Pflicht.
Die Auswahl des richtigen Beraters wird für die Krankenhäuser immer wichtiger. „Wenn ein Krankenhaus einen besseren Headhunter hat als eine andere Klinik, hat es bessere Mitarbeiter“, sagt Wichels von McKinsey. „Das kann schon zum Erfolgskriterium werden.“ Er rechnet damit, dass der Kampf um das Personal in den nächsten zwei bis drei Jahren noch zunehmen wird. „Der Wettbewerb wird sich bald auf die zweite und dritte Führungsebene ausdehnen“, glaubt er. Dann werden die Kliniken auch um Medizincontroller und Personalleiter konkurrieren.
Erst langsam nimmt die Zahl der Bewerber mit Doppelqualifikation zu. „Viele Mediziner entdecken ihre Liebe zur Führungsaufgaben und entscheiden sich ganz bewusst für eine Managementkarriere“, sagt Sana-Personalvorstand Stanslowski. Sein Vorstandskollege Markus Müschenich beispielsweise ist von Haus aus Arzt. Und der kommunale Klinikkonzern Vivantes in Berlin hat im März erstmals gezielt eine Ärztin in die Geschäftsführung geholt: Dorothea Dreizehnter.
Doch nicht nur in der kaufmännischen Führungsebene der Krankenhäuser sind doppelt qualifizierte Mitarbeiter gefragt. Auch Anwärter für ärztliche Leitungsposten müssen inzwischen ökonomisches Wissen mitbringen. Die Kliniken erwarten zwar kein betriebswirtschaftliches Studium von ihren Chefärzten. Es ist aber erwünscht, dass sie die Kosten und Einnahmen im Blick haben, die durch ihre ärztliche Tätigkeit entstehen.
Suche mit Sonderwünschen
Kienbaum vermittelt im Jahr bis zu 300 Führungskräfte, davon rund 80 Prozent in ärztliche Leitungspositionen, den restlichen Anteil in die Verwaltung. Mit ihrem 19-köpfigen Team hat Headhunterin Dobrindt schon rund 600 der 2000 Akutkrankenhäuser in Deutschland bei Personalfragen beraten. Bevor sie und ihr Team etwa einen Auftrag zur Suche eines Chefarztes annehmen, schauen sie sich die Klinik und die jeweilige Abteilung genau an. Denn selbst Manager mit Doppelqualifikation oder Ärzte mit Betriebswirtschaftsstudium taugen nicht per se für jeden Job. Die Häuser haben individuelle Ansprüche. „Wer bei uns eine Klinik managen will, muss zu unserer Philosophie passen“, sagt Dorothea Schmidt, Personalleiterin bei Helios. Der Klinikmanager sollte nicht nur in der Theorie Konzepte haben, sondern sie auch zügig in die Tat umsetzen können – und zwar möglichst eigenständig. „Ein Geschäftsführer muss die Dinge selbst angehen und darf nicht einen riesigen Stab an Mitarbeitern benötigen“, erklärt sie. Geschäftsführer, die ständig Rücksprache mit der Zentrale benötigen, sind bei Helios nicht erwünscht. „Es ist extrem schwierig, solche Macher am Markt zu finden.“
Ebenso verhält es sich bei den Chefärzten. Die sollen nicht nur vom medizinischen Schwerpunkt, sondern auch von der Einstellung her zu einem Krankenhaus passen. Katholische Häuser etwa legen Wert darauf, dass der Chefarzt den Grundsätzen ihrer Glaubensrichtung entspricht. Ein Mediziner, der schon zum zweiten Mal verheiratet ist, kommt für sie nicht infrage.
Auch der ökonomische Blickwinkel ist bei den Klinikunternehmen unterschiedlich. „Während es in einem katholischen Haus eventuell ausreicht, dass sich eine Abteilung selbst trägt, setzen private Klinikbetreiber auf gewinnbringende Bereiche“, sagt Dobrindt. Geklärt werden will ebenfalls die Frage, was die Klinik künftig von dem leitenden Arzt erwartet. „Der alte Chefarzt muss nicht immer ein gutes Vorbild für den zukünftigen Kandidaten sein.“ Immer häufiger beauftragen die Kliniken Kienbaum mit der Suche eines neuen Toparztes, weil der alte abgesetzt werden soll. „Früher war das anders. Da hieß es: einmal Chefarzt, immer Chefarzt“, sagt Dobrindt.
Wenn Stellenanzeigen nicht den gewünschten Erfolg bringen, nimmt auch das öffentliche Klinikum Bielefeld für die Suche nach geeigneten Medizinern die Hilfe von Headhuntern in Anspruch. „Leitende Kräfte sind oft fest in anderen Krankenhäusern eingebunden“, erklärt Geschäftsführer Johannes Kramer. „Bevor sie sich auf einen neuen Posten bewerben, wollen sie mehr Informationen über das Haus und die Stelle, als eine Anzeige bieten kann.“ Headhunter ermöglichten eine diskrete und unverbindliche Kontaktaufnahme, ohne dass gleich Namen und Referenzen ausgetauscht werden müssen – und der Wechselwunsch in der Branche publik wird.
Umstrittene Headhunter
Die Headhunter haben kein leichtes Spiel. 100 und mehr Direktansprachen können nötig sein, um drei bis vier geeignete Bewerber für eine Stelle zu finden. Um die zielsicher rausfinden zu können, haben etwa bei Kienbaum alle Headhunter ihre Spezialgebiete. Ein Berater befasst sich zum Beispiel nur mit Radiologie, besucht die relevanten Kongresse und kennt die Koryphäen auf dem Gebiet. „Das ermöglicht zielgerichtete Ansprachen und ein Gespräch auf Augenhöhe“, sagt Dobrindt. Insbesondere für Stellen in den neuen Bundesländern und in Kleinstädten seien Führungskräfte nur schwer zu gewinnen.
Andrea Köhn, Chefin des Headhunters Medpreneur, kennt dasselbe Problem. „Wald-und-Wiesen-Kliniken haben am häufigsten mit Personalengpässen auf der Führungsebene zu kämpfen“, sagt sie. Daran ließe sich aber etwas ändern. Eine Klinik müsse nicht in der Bezirksklasse verharren. „Mit ein bisschen Hilfe kann sie durchaus in die Regionalliga aufsteigen.“ Darum allerdings kümmerten sich Headhunter normalerweise nicht. „Viele holen sich nur die Informationen zur Stelle, vermitteln einen Bewerber und kassieren ihr Honorar“, sagt Köhn. Üblicherweise erhielten Headhunter rund ein Drittel des Jahresgehalts der vermittelten Führungskraft.
Anja Lüthy hält ohnehin nicht viel davon, einen Headhunter einzuschalten. „Die Personalberatungen wissen doch auch nicht, wo sie die Chefärzte hernehmen sollen. Der Markt ist leergefegt“, sagt die Professorin für Betriebswirtschaftslehre sowie Dienstleistungsmanagement und Marketing an der Fachhochschule Brandenburg. Als einzige Option bleibe den Dienstleistern die Abwerbung von Führungskräften aus anderen Kliniken. „Und die herausragenden Chefärzte, die mit ihrem Arbeitsplatz zufrieden sind, lassen sich nur schwerlich zu einem Wechsel überreden.“ Viele Häuser würden aus Verzweiflung schon intern Kopfgeld für zu besetzende Stellen aussetzen. Rund 8000Euro könne ein Mitarbeiter verdienen, der einen geeigneten Oberarzt auftreibt. „Kliniken müssen ihren Führungsnachwuchs selbst heranziehen“, sagt Lüthy.
Eigene Managerschule
Die großen Ketten machen das bereits. Der Rhön-Konzern beispielsweise bietet ein Traineeprogramm für Nachwuchsmanager an. Auch Helios bildet schon seit 1994 Führungskräfte aus. Bewerben können sich Betriebswirte, Volkswirte, Juristen, aber auch Ärzte. „Wir sind für viele Fachrichtungen offen“, sagt Personalleiterin Schmidt. Sie hat das Programm einst selbst durchlaufen. Rund zwei Jahre lang schickt Helios die Trainees an die Basis: Sie durchlaufen verschiedene Häuser und Stationen der Kette, um das Klinikgeschäft von Grund auf kennenzulernen. Die Trainees arbeiten in der Küche, als Pfleger auf der Station und im OP. Dadurch sollen sie ein Gefühl dafür bekommen, worüber sie später im Management entscheiden. Nach und nach lernen die Nachwuchskräfte die medizinischen Bereiche kennen und arbeiten sich durch die Verwaltung – von der Abrechnung über das Controlling bis hin zur Personalplanung. Anschließend begleiten sie die Geschäftsführung bei der Arbeit. Ein bis zwei weitere Jahre als Assistent der Geschäftsführung, und die Trainees gelten als qualifiziert, eine eigene Klinik zu übernehmen. „Mithilfe des Programms besetzen wir das Gros unserer offenen Managementpositionen“, sagt Schmidt.
Bei ärztlichen Führungspositionen ist die Situation eine andere. Helios bietet zwar unternehmensintern ein Programm an, mit dem Oberärzte auf künftige Chefpositionen vorbereitet werden. Das reicht aber nicht aus. „Wir wollen auch Chefärzte von außen, um unser medizinisches Know-how zu erweitern“, sagt Schmidt. Besonders in den Bereichen Kardiologie und Radiologie ließen sich nur schwer Chefs auftreiben. „Wenn Stellenanzeigen nicht den gewünschten Erfolg bringen, schalten wir auch einmal Headhunter ein.“
In den vergangenen Jahren haben mehrere Klinikbetreiber privat finanzierte Ausbildungsprogramme gestartet, um Personalengpässen vorzubeugen. Die SRH Kliniken eröffneten in Gera eine eigene Fachhochschule für Gesundheit, vor allem, um Pflegekräfte auszubilden. Die Sana Kliniken betreiben zusammen mit der Steinbeis-Hochschule Berlin einen Studiengang für die Ausbildung zu Physician Assistants und stellen dafür drei Lehrkrankenhäuser. Die Klinikkette Asklepios hat zusammen mit der Semmelweis-Universität Budapest im September 2008 eine Hochschule für Medizin in Hamburg eröffnet. Erklärtes Ziel: Nachwuchsförderung und Personalgewinnung in eigener Sache.
Dabei ist die Notlage laut FH-Professorin Lüthy auch hausgemacht. Die Kliniken hätten die potenziellen Führungskräfte von morgen in den vergangenen Jahren selbst systematisch vergrault. Familienunfreundliche Arbeitszeiten, schlechte Bezahlung, mangelnde Weiterbildung – frisch gebackene Ärzte müssten viel über sich ergehen lassen. „Viele wandern deshalb frühzeitig ins Ausland ab“, sagt Lüthy. Doch auch viele der Oberärzte, die geblieben sind und sich anschicken, Chefärzte zu werden, sind höchst frustriert. „Die Oberärzte, die meine Dienste in Anspruch nehmen, fühlen sich von ihren Arbeitgebern ausgenutzt und nicht genug gefördert, was ihre Karriere angeht“, sagt sie. Das betriebswirtschaftliche Wissen, das sie für die angestrebte Chefarztposition benötigen, hätten sie sich meist in ihrer Freizeit angeeignet.
Lüthy bietet ein Führungskräftetraining für Chefärzte an und solche, die es werden wollen. Denn auch Mitarbeiterführung ist nicht Teil des Medizinstudiums. Ein Team richtig führen zu können ist für einen Chefarzt aber von großer Bedeutung. So ist es keine Seltenheit, dass der Chef seinen Assistenten bei der Visite vor dem Patienten zurechtweist, etwa weil ein Röntgenbild fehlt. „So etwas muss er in Ruhe unter vier Augen besprechen“, sagt Lüthy. Wenn sich die Pfleger und Ärzte in einer Abteilung nicht wohl fühlten, ließen sie ihren Frust an den Patienten aus. „Das schadet der Klinik.“
Nur wenige Häuser bemühen sich, die Defizite aus dem Studium nachzuholen. Die Berliner Universitätsklinik Charité bietet ein Mentoring-Programm speziell für junge Ärztinnen an. Eine Professorin begleitet sie dabei rund zwei Jahre und vermittelt ihnen Führungsqualitäten. „Doch das ist eher ein Einzelfall“, sagt Lüthy. „Die meisten Kliniken haben noch nicht verstanden, dass sie den Führungsnachwuchs von morgen fördern müssen.“
Quelle: Financial Times Deutschland
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