Können Geschädigte nach einem Unfall nicht mehr putzen, zahlt der Versichererdes Verursachers
Wer nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall seinen Haushalt über Wochen nicht mehr oder nur noch teilweise führen kann, hat Anspruch auf eine Entschädigung vom Versicherer des Verursachers. Auch wer durch einen Unfall einen Angehörigen verliert, hat möglicherweise einen solchen Anspruch. Doch das ist Opfern oft nicht bewusst. „Viele Geschädigte verzichten auf Ansprüche, weil sie nicht wissen, dass sie sie haben“, sagt der Nürnberger Rechtsanwalt Joachim Reitenspiess von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins.
Entscheidend: Nur wenn Verletzte einen Anspruch an den Kfz-Versicherer oder – bei anderen Unfällen – den privaten Haftpflichtversicherer des Verursachers stellen, haben sie Aussicht auf Geld. Von sich aus bietet das Unternehmen nichts an. „Generell gilt, dass Versicherer Schäden nur regulieren, wenn sie geltend gemacht werden“, sagt Reitenspiess. Viele Geschädigte wissen nicht, dass sie neben Schmerzensgeld, Fahrtkosten und einer allgemeinen Unkostenpauschale auch den sogenannten Haushaltsführungsschaden anmelden können. Ein einfaches Schleudertrauma reicht dafür aber nicht. „Man muss so schwer an Arm, Bein, Hand oder einem anderen Körperteil verletzt sein, dass man außer Gefecht gesetzt ist“, so der Anwalt.
Auch indirekt Geschädigte haben einen Anspruch auf Entschädigung. Reitenspiess hat für eine Seniorin 40 000 Euro erstritten, deren Mann bei einem Unfall ums Leben kam. Die Frau ist zu 90 Prozent schwerbehindert, leidet unter Herzbeschwerden und anderen Erkrankungen. Bis zu seinem tödlichen Unfall hatte der Mann sie regelmäßig und rundum versorgt.
Ob direktes oder indirektes Opfer – der eingetretene Schaden muss akribisch nachgewiesen werden. Wer eine Haushaltshilfe einstellt, schickt die Belege dem Versicherer und bekommt die Kosten erstattet. Doch das kommt eher selten vor. „Die meisten Schäden werden fiktiv abgerechnet“, sagt Reitenspiess. Das heißt: Der zur Untätigkeit im Haushalt Gezwungene löst das Problem, ohne eine Rechnung über die Inanspruchnahme professioneller Hilfe einzureichen.
Der Versicherer verlangt im Gegenzug aber eine genaue Darstellung der Beeinträchtigung. „Das bedeutet, dass der Geschädigte seine Lebenssituation darstellen muss, damit ermittelt werden kann, wo und in welcher Höhe der Schaden liegt“, sagt eine Sprecherin der Allianz. Dazu gehören Angaben über die Größe des Haushalts sowie das Alter und die Anzahl der zu versorgenden Personen, soweit der Verletzte ihnen gegenüber unterhaltspflichtig ist.
Oft lassen sich Verunglückte nach einem Schaden anwaltlich vertreten. Immer mehr Geschädigte stellen aber auch selbst einen Anspruch an den Versicherer, sagt Gerhard Patzak, Leiter der Personalschadenabteilung beim zweitgrößten deutschen Autoversicherer HUK-Coburg. „Für uns ist das ganz normales Tagesgeschäft.“
Nach der Unfallmeldung schickt der Versicherer dem Anspruchsteller einen Fragebogen zu. Er will unter anderem wissen, was der Verunglückte im Haushalt geleistet hat. Der klassische Ehemann, der sich von seiner Frau zu Hause rundum bedienen lässt, wird leer ausgehen. Außerdem fordern die Versicherer einen Arztbericht an, aus dem die Schwere der Verletzung hervorgeht.
Die Versicherer ermitteln dann mit speziellen Tabellen das Ausmaß des Handicaps und den Stundenbedarf für die Arbeit im Haushalt. „Dabei wird die individuelle Situation des Hilfebedürftigen berücksichtigt“, sagt Patzak. Wer einen großen Garten in Ordnung hält, bekommt im Sommer mehr Geld als in einer anhaltenden Frostperiode – es sei denn, er muss auch Schnee schippen.
„Wenn der Anspruchsteller keine Ersatzkraft beschäftigt, legen wir einen Stundensatz zugrunde“, sagt er. Der Stundensatz orientiert sich an den regionalen Marktpreisen, im Schnitt liegt er bei 7,50 Euro. Wer in einem Haushalt mit zwei erwerbstätigen Personen lebt und einen Monat beim Saubermachen ausfällt, kann laut Patzak mit rund 1000 Euro Entschädigung rechnen. Der typische Haushaltsführungsschaden dauert zwischen zwei und sechs Wochen.
Bei sehr schweren Unfallfolgen, durch die Personen über Monate außer Gefecht gesetzt oder gar lebenslang beeinträchtigt sind, ist das Prozedere allerdings grundsätzlich anders. Viele Versicherer arbeiten in solchen Fällen mit speziellen Dienstleistern zusammen, die sich um die reibungslose Rehabilitation des Verunglückten kümmern. Dazu gehört die Versorgung des Haushalts nach der Klinikentlassung. Auch hier haben die Geschädigten Anspruch auf Geld für ein Putz-Handicap. „Sie können mit dem Versicherer eine Rente aushandeln oder eine Einmalzahlung“, berichtet Patzak.
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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