Mehr Eigenkapital, schärfere Berichtspflichten – die Manager firmeneigener Versicherer halten die neue EU-Richtlinie Solvency II für heikel. Ein eigensgegründeter europäischer Verband soll sie entschärfen helfen
VON Friederike Krieger
Die firmeneigenen Versicherungstöchter machen mobil gegen die Art, wie die EU-Richtlinie Solvency II umgesetzt wird. Sie haben sich dafür in einem Verband organisiert. Die Vorschriften sollen dafür sorgen, dass die Versicherungsbranche transparenter und krisenfester wird.
Die Manager der sogenannten Captives fürchten Kostensteigerungen durch höhere Eigenkapitalanforderungen und intensivere Berichtspflichten. „Wir werden mit einem Verwaltungswust überschwemmt“, sagt Hans-Jürgen Allerdissen, Geschäftsführer der Deutschen Verkehrs-Assekuranz-Vermittlungs-Gesellschaft (DVA), dem firmeneigenen Versicherungseinkäufer der Deutschen Bahn. Der Konzern hat vier Versicherungstöchter. „Wenn die Richtlinie in ihrer jetzigen Form umgesetzt wird, könnten einige Captives verschwinden, zumindest aus dem Bereich der EU“, sagt er. Firmen, die neue Versicherungstöchter ins Leben rufen wollen, hielten sich derzeit betont zurück. „Die Konzerne, die über eine Neugründung nachdenken, bekommen wegen Solvency II Sorgenfalten“, sagt Allerdissen.
Rund zwei Fünftel der größeren deutschen Unternehmen haben eine oder mehrere Versicherungstöchter. Captives und firmenverbundene Vermittler sind eng miteinander verzahnt. Häufig werden sie von denselben Personen gemanagt. Die konzerneigenen Makler analysieren die Situation auf dem Versicherungsmarkt und transferieren einen Teil der Risiken an die Captives.
Gemeinsam mit der Deutschen Bank, EvonikDegussa, EADS und ArcelorMittal hat die Deutsche Bahn schon im August 2008 die European Captive Insurance and Reinsurance Owners‘ Association (ECIROA) ins Leben gerufen, der inzwischen über 80 firmeneigene Versicherer aus ganz Europa angehören. „Wir haben den Verband gegründet, um uns besser gegenüber der EU artikulieren zu können“, sagt Allerdissen, der im Vorstand von ECIROA sitzt. Der Verband macht Lobbyarbeit und ermutigt seine Mitglieder, sich an der aktuellen fünften quantitativen Auswirkungsstudie (QIS5) zu Solvency II zu beteiligen. Die Botschaft des Verbandes: Die EU soll Eigenkapitalanforderungen und Berichtspflichten für Captives herunterschrauben, weil sich ihr Geschäftsmodell drastisch von dem klassischer Versicherer unterscheidet. „Mit einer Captive versichert sich ein Unternehmen selbst“, sagt Allerdissen. „Wenn etwas schief läuft, wird kein Dritter geschädigt.“
Die meisten Konzerne haben sich Captives zugelegt, als die Preise in der Industrieversicherung hoch waren. Die firmeneigenen Versicherer übernahmen einen Teil der Risiken aus Betriebsunterbrechung, Sachschaden, Transport und Haftpflicht. Dadurch verbilligten sich die Prämien. Seit einigen Jahren sinken die Preise in der Industrieversicherung, höhere Selbstbehalte bringen nur mäßigen Preisnachlass. Viele Konzerne haben deshalb begonnen, Sach- und Haftpflichtdeckungen ihrer Captives herunterzufahren.
Die fallenden Preise machen die firmeneigenen Versicherer aber keinesfalls überflüssig, wie Markus Mende, Geschäftsführer von Aon Global Risk Consulting sagt. Die Abteilung des Versicherungsmaklers unterstützt Konzerne beim Management ihrer Versicherungstöchter. „Der Markt ist nicht für alle Risiken weich“, sagt er. So sind Kreditversicherungen derzeit oft sehr teuer. Pharmafirmen haben große Schwierigkeiten, Haftpflichtdeckungen zu bekommen, Automobilkonzerne haben ähnliche Probleme mit Produktrückrufpolicen. Solche Risiken könnten die Captives übernehmen.
„Captives sind das einzige Instrument, das es Unternehmen erlaubt, konzerninterne Versicherungsrisiken grenzüberschreitend und entsprechend Versicherungsaufsichtsrecht zu poolen“, sagt Mende. Das sei heute der Hauptgrund für viele Firmen, eigene Versicherungstöchter zu haben. Da Risikomanagement am besten nahe am Unternehmenssitz erfolgt, hätten viele Konzerne ihre Captives inzwischen vom Steuerparadies Bermuda in europäische Gefilde wie Luxemburg und Irland verlegt.
Im Gegensatz zu den Captive-Managern bezweifelt Mende, dass Solvency II ein großes Problem für die Unternehmen darstellen wird. Die Schweiz habe bereits ein ähnliches Aufsichtssystem eingeführt. „Der Captive-Standort Schweiz ist immer noch attraktiv“, sagt er. Die Versicherungstöchter werden durch Umsetzung der EU-Richtlinie eher einen Bedeutungszuwachs erfahren. „Solvency II wird dazu führen, dass Konzerne ihre Captives intensiver nutzen“, sagt Mende. Um die höheren Kosten zu rechtfertigen, müssten die Versicherungstöchter breiter aufgestellt werden. „Eine Captive kann beispielsweise auch das Produktspektrum eines Unternehmens erweitern und vertiefen.“
Der Volkswagen-Konzern ist auf dem besten Weg dahin. Finanzdienstleistungen wie Finanzierung und Leasing sind für ihn schon ein wichtiger Umsatzbringer, doch bei Autoversicherungen beschränkte er sich bisher darauf, Policen der Allianz über den Volkswagen-Versicherungsdienst zu vermitteln. Die Rückversicherungscaptive VW Re war an den Risiken nur beteiligt. Ab Januar 2011 soll die Versicherungstochter – unter neuem Namen und mit mehr Kapital ausgestattet – selbst Risikoträger im Endkundengeschäft werden und Garantieversicherungen für VW-Kunden anbieten. Die Police deckt Fahrzeugschäden nach Ablauf der gesetzlichen Garantie.
Für die klassischen Versicherer erwächst damit ein neuer Konkurrent. Karsten Crede, bei der Allianz für das Geschäft mit den Autoherstellern zuständig, spielt die Neugründung herunter. „Das ist kein Affront“, betont er. VW und Allianz seien bereits in Verhandlungen über ein neues Kooperationsabkommen, das mehr als fünf Jahre halten soll.
Quelle: Financial Times Deutschland
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