Der Druck auf Mittelständler wächst, ihre Transportkette umweltfreundlicherzu gestalten. Doch das ist nicht einfach
Friederike Krieger und Katrin Berkenkopf
Ein Lkw und ein schneller Sportwagen haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Bei den Lastkraftwagen der Spedition Kellershohn aus dem nordrhein-westfälischen Lindlar gibt es allerdings eine Übereinstimmung: Die Reifen der zehn firmeneigenen Lkw sind wie bei Flitzern üblich mit Stickstoff statt mit Luft gefüllt. „So bleibt der Druck konstant, und der Wagen verbraucht weniger Sprit“, sagt Willi Kellershohn, Geschäftsführer des 25 Mitarbeiter starken Unternehmens, das auf einen Jahresumsatz von 2,5 Mio. Euro kommt.
Ob funktioniert, was Kellersohn da anpreist, wird unter Technikern zwar kontrovers diskutiert, zeigt aber, das alles, was Treibstoff und damit CO2-Emissionen spart, den Mittelständler reizt, seien es Schulungen zu spritsparendem Fahren oder Modifikationen an Motor- und Schaltelektronik der Lkw. Auf den Kundenrechnungen ist der CO2-Verbrauch der Fahrt genauestens dokumentiert, ein Ablassangebot inbegriffen. Dazu arbeitet Kellershohn mit der Schweizer Non-Profit-Organisation Myclimate zusammen. Sie bietet an, die eigenen Emissionen zu kompensieren durch Investition eines Zusatzbetrags in ein Klimaschutzprojekt – etwa Biogasanlagen in Kambodscha.
Kellershohn hat sich dem umweltfreundlichen Transport von Waren, auch grüne Logistik genannt, schon seit 16 Jahren verschrieben. „Ich wollte meinen Kindern kein Unternehmen hinterlassen, das ein Luftverpesterimage hat“, sagt er. Die Bemühungen machen sich auch auf der Benzinrechnung bemerkbar. Der Spritverbrauch der Spedition liegt rund 15 Prozent unter dem Durchschnitt.
„Mittlerweile betrachten Unternehmen grüne Logistik nicht nur als etwas, was in der Öffentlichkeit gut ankommt, sondern auch als Chance, um Geld zu sparen“, sagt Gunnar Gburek vom Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME). Mitgezogen würden die Mittelständler auch durch die großen börsennotierten Konzerne, die unter dem Druck der Aktionäre immer mehr Informationen zu Umwelt und Nachhaltigkeit offenlegen. Für zusätzliche Motivation sorgen Druck von Kunden und Konsumenten sowie regulatorische Vorgaben, etwa im Emissionsbereich. „Viele große Unternehmen bewerten ihre Lieferanten inzwischen nach deren Umweltfreundlichkeit“, sagt David Simchi-Levi, Supply-Chain-Management-Experte vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Chefwissenschaftler von IBM.
Die Krise hat die grüne Logistik im Mittelstand allerdings etwas ausgebremst. „Die Firmen hatten mit anderen Herausforderungen zu kämpfen“, sagt Jens Hornstein von der Unternehmensberatung Kerkhoff Consulting. Auf lange Sicht könne sich der Mittelstand dem Thema aber nicht entziehen.
Kein einheitlicher StandardBasis für eine grüne Logistik ist der CO2-Ausstoß. Das Problem: „Es gibt noch keinen einheitlichen Berechnungsstandard“, sagt Michael Kunkel von der Unternehmensberatung Steria Mummert Consulting. So kalkulieren manche Firmen Extrameilen für eventuelle Warteschleifen am Flughafen ein, wenn sie Emissionen eines Luftfrachttransports berechnen, andere machen es nicht. Der erstgenannte Betrieb habe dann mehr Emissionen in seinem Bericht stehen. „Die Unternehmen, die es genau machen, werden bestraft“, sagt Kunkel. Manche Firmen verzichten daher auf eine Emissionsmessung.
Kleinen Unternehmen fehlen zudem oft die Mittel für IT-Systeme, die Emissionen jedes Transports genau erfassen. Für einen großen Logistikdienstleister könne solch ein System zwischen 300 000 und 500 000 Euro kosten, schätzt Kunkel. Viele kleine Firmen behelfen sich damit, die Emissionswerte eines Monats per Exceltabelle zu erfassen und hochzurechnen.
Ein Großteil der Unternehmen möchte auf besonders emissionsarme Logistikdienstleister setzen. Es falle ihnen jedoch schwer, die Aktivitäten ihrer Dienstleister und Lieferanten im Umweltbereich einzuschätzen, sagt Gburek vom BME: „Viele würden das gerne in ihre Ausschreibungen etwa für Logistikleistungen aufnehmen“. Der Verband erarbeitet deshalb einen Fragenkatalog, um solche Angaben zu standardisieren. „Das macht es für beide Seiten einfacher und vergleichbarer.“ Bis zum Frühsommer soll er stehen.
Die Auswahl des Verkehrsträgers ist bei der Vermeidung von Emissionen sehr wichtig. „Eine Flasche Wein, die per Lkw von Kalifornien nach New York transportiert wird, kann eine schlechtere Emissionsbilanz haben als eine, die per Schiff von Frankreich nach New York kommt“, sagt MIT-Experte Simchi-Levi. Ein Wechsel von Flugzeug und Lkw zu Schiff und Bahn sei aber nur eingeschränkt möglich, gibt Kunkel zu Bedenken. „Die Lieferzeiten verlängern sich beim Transport per Schiff, und die Kapazitäten auf der Schiene sind weitgehend ausgereizt“, sagt er. Doch im Kleinen gebe es eine Fülle an Möglichkeiten, von der Optimierung der Lkw-Routen und der Fahrzeugauslastung bis hin zum Einsatz besonders CO2-effizienter Gefährte.
Der Wirkungsbereich grüner Logistik wird also immer breiter. „So etwas wie Wärmedämmung von Lagern wird heute offensiv vermarktet, da hat man vor einigen Jahren noch nicht dran gedacht“, sagt BME-Experte Gburek. Der Übergang zu umfassender nachhaltiger Betriebssteuerung ist fließend. „Wenn die Fotovoltaikzellen auf dem Lagerdach die Büros mit Strom versorgen, ist das ja streng genommen kein Teil der Logistik mehr“, sagt er.
Dieser ganzheitliche Ansatz sei wichtig, sagt Hornstein von Kerkhoff. „Bei grüner Logistik ist eine Betrachtung der gesamten Unternehmensstrategie vonnöten.“ Das fange bei der Zusammensetzung der produzierten Ware an. Durch Verzicht auf manche Rohstoffe könnten Firmen Transporte vermeiden. Mit kleineren Verpackungen für die Produkte ließe sich der Platz auf den Lkw besser ausnutzen. Auch die interne Logistik müsse auf den Prüfstand. „Statt halbfertige Produkte zur Weiterverarbeitung an einen anderen Unternehmensstandort zu bringen, ist eventuell die Verarbeitung an einem Punkt effizienter“, sagt er.
Spediteur Kellershohn hält es zudem für unverzichtbar, die Mitarbeiter ins Boot zu holen. „Es bringt nichts, wenn unsere Lkw CO2-freundlich unterwegs sind und die Fahrer die Mülltüte einfach aus dem Fenster schmeißen“, sagt er. Mittelständler könnten seiner Meinung nach viel besser mit grüner Logistik experimentieren. „Wir können Entscheidungen schnell treffen, bei großen Unternehmen muss das erst durch viele Hände gehen“, sagt er. Bei den Kunden kommt der grüne Daumen gut an. „Das Gesprächsniveau hat sich verändert. Zahlen will deshalb aber leider keiner mehr.“
Quelle: Financial Times Deutschland
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