Die Prämien für Industriedeckungen sind niedrig. Der Preis dafür ist hoch.Kunden und Anbieter streiten bei Schäden wie nie zuvor
Herbert Fromme
und Friederike Krieger
Alle sind sich einig – die Industrieversicherung verändert sich. In einzelnen Segmenten wie Autoflotten setzen Anbieter deutliche Preiserhöhungen durch, in anderen Bereichen wie der Feuerversicherung stagnieren die Prämien oder geben sogar nach. Sehr widersprüchlich sind die Erwartungen, wohin diese Übergangsphase führt: zu deutlichen Preiserhöhungen oder einer neuen Marktsituation, in der das alte Gesetz des Versicherungs-Schweinezyklus nicht mehr gilt, das „Preise runter, hohe Schäden, Preise hoch, mehr Anbieter, Preise runter“.
Die Industrieversicherer versuchen verzweifelt, nachhaltige Preiserhöhungen herbeizureden. Gründe gäbe es genug: Erdbeben und Tsunami in Japan sowie Wirbelstürme in den USA haben für hohe Schäden bei Erst- und Rückversicherern gesorgt. Das führt bei ihnen zu Druck, durch Preiserhöhungen ihre Renditen irgendwie zu halten. Die Preise sind seit Jahren vergleichsweise niedrig, die Zinsen im Keller. Damit fällt es den Gesellschaften schwerer, in Sparten wie der Haftpflichtversicherung einen Ausgleich durch Zinsen auf die Kapitalanlagen zu generieren.
Doch Kunden bezweifeln, dass die Wende ins Haus steht. Das Japanbeben koste die Assekuranz geschätzte 30 Mrd. Dollar, sagt Philipp Andreae, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Versicherungs-Schutzverbands in Bonn, der die deutsche Industrie in Versicherungsfragen vertritt. Das werde die globale Assekuranz nicht ins Mark treffen. Auch 2010 habe es richtig teure Katas-trophen gegeben, das Erdbeben in Chile kostete 8 Mrd. Dollar. „Der Einfluss auf die Prämien war letztlich aber nicht gravierend.“
Außerdem hat die Assekuranz seit 2001 in der Industrieversicherung prächtig verdient, mit Ausnahme der vergangenen beiden Jahre. Auch die Furcht der Assekuranz vor dem Kartellamt könnte dazu führen, dass die Preise nicht so ansteigen, wie es mancher Vorstand gerne sehen würde. Mitte des vorigen Jahrzehnts mussten 18 Gesellschaften und einzelne Manager mehr als 100 Mio. Euro an Kartellstrafen zahlen, weil sie Marktmechanismen umgangen haben sollen. Es könnte sein, argumentiert Andreae, dass die Gesellschaften keine allgemeinen Preiserhöhungen hinkriegen, weil sie aus Sorge vor Kartellvorwürfen kaum gemeinsam agieren können.
Es gibt noch weitere Gründe, die gegen eine massive marktweite Anpassung nach oben sprechen. Die Zahl der Anbieter steigt. Die Rückversicherer bauen ihr Geschäft mit den großen Industrieunternehmen aus, weil in ihrem angestammten Kerngeschäft seit Jahren die Volumen stagnieren. Swiss Re hat sogar die Konzernstruktur dafür geändert, Munich Re kauft seit Jahren still und leise die Bestandteile eines großen internationalen Industrieversicherers zusammen.
Der deutsche Markt ist immer noch attraktiv für ausländische Anbieter. Nicht ohne Grund verlegt der große japanische Anbieter Mitsui Sumitomo den größten Teil seines Europageschäfts von London nach Köln. Die spanische Mapfre tritt mit hoher Kapazität an, Gesellschaften aus London und Bermuda versuchen, hierzulande Fuß zu fassen. Und mittelgroße Versicherer wie die Gothaer können zumindest in Nischen wie der Versicherung von Windenergie den Großen Paroli bieten. Die Industriemakler und neue elektronische Marktportale ermöglichen es dabei auch Mittelständlern, sich global nach Kapazitäten umzusehen.
Die Kundschaft spürt die Probleme der Versicherer gleich mehrfach. Wenn sie aus Angst vor der Konkurrenz die Preise nicht erhöhen können, werden die Gesellschaften restriktiver in der Schadenabwicklung. Manche Gesellschaft wolle wohl die Schadenbearbeitung an die Gerichte auslagern, spottet Andreae. Wie nie zuvor streiten sich Versicherer und Versicherte über Schäden.
Dazu kommt: Wenn die Preise niedrig sind, hat die Assekuranz wenig Lust, Policen für bisher nicht versicherbare Risiken anzubieten – während die Kunden das bemängeln und darauf drängen, auch neue Gefahren zu den momentan günstigen Preisen gedeckt zu bekommen. Der Standardvorwurf: Die Versicherer seien nicht innovativ genug. So wurde nach dem Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull der Ruf nach Betriebsunterbrechungspolicen laut, die unabhängig von einem Sachschaden leisten, wenn durch Probleme in der Lieferkette die eigene Produktion stockt. Allerdings: Allianz Global Corporate & Specialty hat ein Angebot entwickelt, es mangels Nachfrage aber nicht auf den Markt gebracht.
Auch in der Lebensmittelindustrie haben sich durch die Ehec-Epidemie nicht versicherte Risiken aufgetan. Die Millionenschäden der Landwirte wie auch des Einzelhandels sind nicht gedeckt. Bauern können zwar Ertragsschadenpolicen abschließen. Sie leisten allerdings nur, wenn Tiere geschlachtet werden müssen, weil sie von einer Seuche oder ansteckenden Krankheit befallen sind. „Die Versicherung deckt keine Schäden bei Gemüse“, sagt eine Sprecherin der R+V, die viele Landwirte versichert hat.
Christian Hinsch, Vorstandsvorsitzender des Industrieversicherers HDI-Gerling, zeigt Verständnis für den Frust über fehlende Policen. „Ich kann das Befinden nachvollziehen. Nur ein kleiner Teil der Risiken eines Unternehmens ist versicherbar“, sagt er. HDI-Gerling tausche sich zwar regelmäßig mit Risikomanagern über solche Themen aus und habe in der Vergangenheit viele neue Policen wie Terrordeckungen und Schutz gegen Hacker-Angriffe sowie Produkterpressungen angestoßen. „Es wird aber immer Risiken geben, die nicht versicherbar sind“, sagt er.
Um neue Gefahren abzusichern, bedürfe es genügend Kunden, die eine Police kaufen wollen. „Wenn ein Risiko groß ist, es aber nur wenige Betroffene gibt, bekommen wir kein ausreichendes Versichertenkollektiv zusammen“, sagt er. Daran könnte auch eine Versicherung gegen Gefahren wie Ehec scheitern. „Bei großen Lebensmittelkonzernen mag das schon funktionieren, aber die landwirtschaftlichen Betriebe sind einfach zu klein. Da wäre schon eine sehr große Zahl an Unternehmen nötig“, sagt HDI-Vorstand Joachim ten Eicken.
Kommt es nicht zu weiteren Großschäden wie schweren Hurrikans in den USA, die weltweit den Markt tatsächlich drehen könnten, werden Industrie und Versicherer noch eine ganze Zeit mit widersprüchlichen Trends leben müssen.
Quelle: Financial Times Deutschland
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