Warum sich die wichtigsten Akteure an den Kapitalmärkten aus freien Stückendem Diktat der Ratingagenturen unterwerfen
Christian Kirchner, Rolf Lebert, Elisabeth Atzler, Frankfurt, Herbert Fromme, Köln,
und Mark Schrörs, Brüssel
Die Herabstufung der Bonität Portugals auf Ramschniveau durch die Agentur Moody’s hat Schockwellen über die europäischen Anleihemärkte geschickt und den Zorn vieler Politiker erregt. Sie werfen den vor der Finanzkrise in ihren Urteilen noch oft allzu laschen Ratingagenturen Moody’s, Standard & Poor’s (S&P) und Fitch vor, nunmehr prozyklisch, vorschnell und krisenverschärfend zu urteilen. Doch nicht alle Experten teilen die Kritik. „Das Kernproblem ist, dass Staaten und Aufseher den Ratingagenturen eine viel zu große Macht zugeschanzt haben. Quasi in allen Vorschriften und Verordnungen gibt es Bezüge zu Ratingurteilen. Das holt uns jetzt immer mehr ein“, sagt etwa Burkhard Balz, stellvertretender Koordinator der konservativen EVP-Fraktion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des EU-Parlaments. Und auch die Analysten von HSBC Trinkaus schlagen in die gleiche Kerbe: „Wie viele auch noch zuletzt erlassene EU-Verordnungen, Gesetze, Anlageverordnungen und auch die Notenbankfähigkeit sind an Ratingstufen gebunden?“, fragen sie rhetorisch. Die FTD zeigt auf, wie wichtig Ratingurteile für die Akteure an den Finanzmärkten sind.
Investment- und Pensionsfonds Vor allem die Unterscheidung zwischen Ramsch- und Investmentstatus von Ländern und Firmen ist für viele Investment- und Pensionsfonds von entscheidender Bedeutung. Ihre Statuten sehen häufig vor, entweder gar nicht oder nur in geringem Umfang Anleihen von Emittenten einer Bonität auf „Ramschstatus“ für das Fondsvermögen kaufen zu dürfen. Ändert sich der Status auf „Ramsch“, müssen sie zwangsweise verkaufen. Die Investmentfirmen verlassen sich bei ihren Anlageentscheidungen zwar nicht auf die Noten von S&P, Moody’s und Fitch, sondern folgen ihren eigenen Bewertungssystemen und Analysen. Doch die Ratingnoten beeinflussen Fondsmanager trotzdem wesentlich. „Wir müssen uns auch an die Vorgaben unserer Kunden halten. Einige institutionelle Anleger wollen zum Beispiel in einem Fonds maximal 20 Prozent Anleihen mit Ramschstatus sehen. Oder sie wollen nur Investmentgrade-Papiere im Fonds haben“, sagt Beat Thoma, Leiter Kapitalanlage von Fisch Asset Management. „Unsere Anleihefonds müssen ihr Risikoprofil auf die Bewertung der Ratingagenturen ausrichten“, erklärt Christian Eckert, Leiter des Rentenfondsmanagements von Union Investment. Gilt ein Fonds zum Beispiel als sehr sicher, darf er meist keine Ramschpapiere aufnehmen – und muss Titel gegebenenfalls verkaufen, wenn zwei der drei Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit eines Staates oder eines Unternehmens schlechter bewerten.
Versicherungen Für die Versicherer sind die Urteile der Ratingagenturen in mehrfacher Hinsicht von großer Bedeutung. Die Einschätzung ihrer eigenen Bonität durch die Agenturen ist entscheidend für den Geschäftserfolg. Das gilt vor allem für die Rück- und die Industrieversicherung. Wer sich als Industriekonzern gegen Schäden von 500 Mio. Euro und mehr absichert, muss zuversichtlich sein, dass er im Schadenfall sein Geld auch bekommt. Deshalb gibt es bei manchen Industriekonzernen sogar Richtlinien, Versicherer mit einem Rating schlechter als BBB+ nicht als führende Gesellschaften für große Risiken zu beauftragen.
Genauso ist es bei der Rückversicherung: Auch hier kauft der Erstversicherer, der direkt mit Endkunden Geschäfte macht, finanzielle Sicherheit ein. 2003 legte sich Munich Re deshalb heftig mit Standard & Poor’s an, als die Agentur die Bewertung der Münchener absenkte – konnte sich aber nicht durchsetzen.
Ratings spielen auch eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung von Kapitalanlagen. Die Versicherer dürfen im gebundenen Vermögen – früher Deckungsstock genannt – nur konservativ anlegen. Dieses Vermögen deckt die Ansprüche von Kunden gegen Versicherer im Insolvenzfall ab. Papiere, die schlechter als „B-“ oder „b3“ geratet sind, sind in der Regel verboten. Doch hat die Finanzaufsicht BaFin jetzt Ausnahmen bei griechischen Staatsanleihen und anderen Problempapieren zugesagt. Sonst müssten die Versicherer die Werte in großem Stil verkaufen oder sie in andere Bestandteile ihres Vermögens verschieben.
Europäische Zentralbank (EZB) Die EZB verleiht gegen Sicherheiten Geld – zu diesen Sicherheiten zählen auch die in vierstelliger Milliardenhöhe ausgegebenen Staatsanleihen der Euro-Zonen-Mitglieder. Vor allem die Banken der Euro-Peripheriestaaten mit hohen Beständen an landeseigenen Staatsanleihen sind auf Transaktionen mit der EZB angewiesen, da sie sich am Kapitalmarkt kaum noch refinanzieren können. Laut Artikel 18 des Satzungsprotokolls der EZB muss die Euro-Notenbank dabei auf „ausreichende Sicherheiten“ bestehen.
Was ausreichende Sicherheiten genau sind, hat die EZB in einem Regelwerk selbst festgelegt. Demzufolge müssen Staatsanleihen von den Ratingagenturen mindestens mit einem Investmentstatus ausgestattet sein. Die EZB orientiert sich dabei am besten Urteil der vier Ratingagenturen Moody’s, Standard & Poor’s, Fitch und DBRS. Doch diese Regel kann der EZB-Rat nach Gutdünken aussetzen, wie die Euro-Notenbanker erst am Donnerstag zeigten. Die EZB akzeptiert nicht nur griechische, sondern ab sofort auch Staatsanleihen des Krisenstaats Portugal auf Ramschniveau.
Quelle: Financial Times Deutschland
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