Sinkender Garantiezins und neue Unisex-Tarife führen zu mehr Produktvielfalt in der Lebensversicherung
Baustellen über Baustellen: Widrige Kapitalmarktverhältnisse, die neuen Eigenkapitalrichtlinien namens Solvency II, ein rückläufiges Neugeschäft, zunehmender Kostendruck, der anhaltende Streit mit Verbraucherschützern und Politik um mehr Transparenz – die Lebensversicherer kämpfen an allen Fronten. Und dann erfordern auch noch die erzwungene Senkung des Garantiezinses und die verordnete Einführung von geschlechtsneutralen Tarifen weitgehende Umbauarbeiten an den Verträgen. „Das trifft die Unternehmen in einer Zeit, in der der Versicherungsmarkt alles andere als einfach ist“, sagt Lars Heermann von der Kölner Ratingagentur Assekurata.
Die deutschen Lebensversicherer sind in einer schwierigen Phase. Sie ringen mit der Politik und niedrigen Zinsen. Gleichzeitig müssen sie 2011 mit einem massiven Umsatzeinbruch klarkommen. Die Finanzkrise hatte ihnen Anleger in die Arme getrieben, die ihr Geld kurzfristig sicher parken wollten. Das hat zu einem Boom bei den Verträgen gegen Einmalbeitrag geführt, der jetzt zu Ende ist. Der Absatz von Verträgen gegen laufenden Beitrag, das Kerngeschäft der Assekuranz, läuft seit Jahren schleppend. Impulse für das aktuelle Jahresendgeschäft erhoffen sich viele Vertriebsleute von der Senkung des Garantiezinses. Bei den klassischen Altersvorsorgeverträgen sagen Versicherer Kunden zu Beginn eine Mindestverzinsung des Sparanteils der Prämie zu, die für die ganze Laufzeit gilt. Darüber hinaus beteiligen die Versicherer die Kunden an ihren Kapitalerträgen. Die Gesamtverzinsung liegt zurzeit im Branchenschnitt bei 4,1 Prozent.
Das Bundesfinanzministerium bestimmt die maximal mögliche Höhe des Garantiezinses, deshalb wird er auch Höchstrechnungszins genannt. Die Branche hat sich vehement gegen die Senkung auf 1,75 Prozent gewehrt, sie wollte eine zwei vor dem Komma sehen. Im Wettbewerb mit Banken und Fonds können die Versicherer mit ihren Garantien zwar punkten. Aber bleibt die Garantie unter der Inflation, verliert sie an Wert. Immerhin könnte die Senkung zu einer steigenden Nachfrage führen. Wer im kommenden Jahr abschließt, hat ja tatsächlich eine geringere garantierte Rente oder Auszahlung aus der Lebensversicherung. Aber die Unternehmen rechnen nicht mit einem Ausverkaufs-Boom. „Wir gehen bei der Gothaer nicht davon aus, dass es einen großen Schlussverkauf geben wird, schließlich werden wir klassische Lebensversicherungen ja auch nach dem 1. Januar 2012 weiter anbieten“, sagt Ulrich Neumann, Leiter Maklervertrieb der Gothaer.
Auch bei anderen sind die Erwartungen verhalten. „Einen richtigen Push erwarten wir nicht“, sagt Thomas Gerber, Vorstand der Axa Lebensversicherung. „Es wird leichte Vorzieheffekte geben, aber keinen Boom.“ Gerber geht davon aus, dass sich der Markt mittelfristig viel weiter auffächern und eine größere Vielfalt verschiedener Vertragsarten entstehen wird. Schon heute gibt es ein starkes Wachstum bei fondsgebundenen Lebens- und Rentenversicherungen mit verschiedenen Garantiemechanismen.
Auch die Einführung der Unisex-Tarife wird nach seiner Überzeugung zu Neuerungen führen. Im März hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Versicherer ab Dezember 2012 keine nach Geschlecht differenzierten Verträge mehr anbieten dürfen. Nach der Urteilsverkündung jaulte die Branche kollektiv auf. Niemand habe etwas davon, hieß es. Wegen der längeren Lebenserwartung von Frauen müssen Kundinnen zurzeit mehr Beitrag zahlen als Männer, um dieselbe monatliche Rente zu bekommen. Weil die Versicherer nicht wissen, wie viele Frauen und wie viele Männer ihre Verträge kaufen, wollen sie fette Sicherheitszuschläge in die neuen Tarife einbauen. Für Männer werde es teurer, für Frauen aber nicht billiger, heißt es allerorten.
Axa-Vorstand Gerber plädiert dafür, die neuen Vorgaben sportlich zu sehen. „Bei der Umsetzung geht es nicht nur um die Erfüllung regulatorischer Vorgaben, sondern auch um die Entwicklung innovativer Produkte“, sagt Gerber. „Die Versicherer haben die Chance, sich neu zu positionieren.“ Möglich sei das über die Kombination verschiedener Merkmale wie Geschlecht, Alter und Berufsgruppe.
Wie das aussehen kann, zeigt der Dortmunder Versicherer Volkswohl Bund. Er hat nach eigenen Angaben als erster einen geschlechtsneutralen Vertrag auf den Markt gebracht, eine private Rentenpolice. „Der neue Unisex-Tarif hat eine fest integrierte Mehrleistung“, sagt Sprecherin Simone Szydlak. Das ist die Beitragsbefreiung bei Pflegebedürftigkeit nach einem Unfall in der Ansparphase. Damit verhindert der Versicherer einen direkten Vorher-Nachher-Vergleich. Die garantierte Rente des Unisex-Tarifs liegt bei einer Laufzeit von 37 Jahren und 100 Euro Monatsbeitrag bei 197 Euro. Bei herkömmlichen Rentenpolicen des Versicherers erhält ein Mann 207 Euro, eine Frau 194 Euro.
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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