BaFin-Chefin Elke König spricht im FTD-Interview über die Folgen desHandelsskandals bei JP Morgan Chase, die Anlagepolitik der Versicherer und dieDauerdiskussion um Solvency II
Herbert Fromme und Uta Harnischfeger, Bonn
Seit vier Monaten führt Elke König nun die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in Bonn, ihr Lebensmittelpunkt ist aber weiterhin Niedersachsens Landeshauptstadt. Im Vorstand der Hannover Rück arbeitete sie sieben Jahre lang, dort hat sie ein Haus. Jetzt, am Rhein, muss ein Apartment reichen.
König ist überzeugte Bahnfahrerin – weshalb sie weiß, dass sie statistischen Wahrscheinlichkeiten nicht trauen darf. „Der Zug nach Bonn hatte an drei Wochenenden hintereinander jeweils eine Stunde Verspätung“, sagt sie. Da hätte es doch vergangenes Wochenende endlich einmal glattgehen müssen. „Das war auch so“, sagt König. „Bis Hamm.“ Dort sorgte ein Stellwerkfehler für die Verspätung.
Das Interview mit der FTD gibt sie in einem schmucklosen Konferenzraum im Gebäude an der Bonner Georg-von-Boeselager-Straße, dem man den Behördencharakter auf 500 Meter ansieht. Optisch ist das weit entfernt vom Jugendstilgebäude von Munich Re, wo König lange für Bilanzen zuständig war. Das stört die unaufgeregte Chefaufseherin nicht, sie ist sich bewusst, dass sie heute mehr Verantwortung trägt als je zuvor in ihrem Berufsleben. Ihre Antworten fallen entsprechend abgewogen aus – aber König weicht keiner Frage aus. FTD Frau König, die deutschen Versicherer sind stark in Staatsanleihen engagiert, auch in denen mancher Krisenländer, und sie sind wichtige Finanzierer der Banken. Wie sicher ist angesichts der aktuellen Finanzkrise die Lebensversicherung?
elke König Ich glaube, dass wir uns keine großen Sorgen machen müssen. Die Versicherer sind als Kapitalsammelstellen von jeher die größten Investoren sowohl bei Staatsanleihen als auch bei Bankanleihen. Aber dieses Engagement überprüft die Branche ständig. Die Versicherer haben ihr eigenes Risikomanagement und sorgen dafür, dass das Prinzip von Mischung und Streuung beachtet wird. Natürlich hat ein erheblicher Teil der Kapitalanlagen der Versicherer einen Bankenhintergrund. Aber dazu gehören auch Pfandbriefe, die zwar von Banken emittiert werden, hinter denen aber ein anderes Risiko steht als bei einer Bankanleihe. Die Banken sind ja wieder im Gespräch, JP Morgan Chase hat einen Verlust von 2 Mrd. Dollar mit Spekulationen eingefahren. Kann das auch in Deutschland passieren? König Prinzipiell ist bei keinem Kreditinstitut auszuschließen, dass es eine Geschäftsstrategie entwickelt, für die sich die Annahmen im Nachhinein als falsch erweisen. Jetzt sage ich dazu, dass wir bislang nur wenig wissen, was bei JP Morgan sehr konkret passiert ist. Offensichtlich handelt es sich aber nicht um eine betrügerische Absicht. Als Maßnahmen gegen solche Zwischenfälle wirken ein gutes internes Reporting und gute interne Kontrollsysteme, verbunden mit festen Limits, damit so etwas gar nicht erst vorkommt oder zumindest schnell auffällt. Wie immer lassen wir unsere Erkenntnisse aus solchen Vorgängen in unsere Prüfungen miteinfließen. Grundlegend gilt: Mit jedem Fall werden wir klüger, was mögliche Szenarien und Risiken angeht. Die Versicherer müssen 240 Mrd. Euro jährlich neu anlegen und erwirtschaften damit historisch niedrige Renditen. Treibt Sie das um? König Das ist in der Tat ein großes Thema. Wir fragen uns, was geschieht, wenn das derzeitige Niedrigzinsumfeld zum Normalfall wird. Zurzeit macht uns das noch keine Sorgen. Aber das gilt nicht für die langfristige Betrachtung. Es gibt gegensteuernde Maßnahmen. Dazu gehört die Zinszusatzreserve, die Lebensversicherer bilden müssen, um mehr Rückstellungen für ihre Garantien zu bilden. Das ist teuer für die Branche, aber richtig.
Wie kommen die Versicherer denn raus aus der Niedrigzinsfalle? Sie könnten ja als BaFin die früher gegebenen Garantien aufheben. König Dazu sehe ich überhaupt keine Notwendigkeit. Wir verfolgen aber mit Interesse die Diskussion in der Branche über die Frage, welche Produkte mit langfristigen Zinsgarantien auch künftig sachgerecht sind. Alle Entscheidungen in der Versicherungswirtschaft werden von der Einführung des neuen Aufsichtssystems Solvency II überschattet. Aber in Brüssel wird heftig geschachert, die Assekuranz hat Ausnahmeregelungen durchgesetzt. Ist das noch das einheitliche System für Europa, das die Assekuranz sicherer macht? König In Brüssel schwirren viele Themen durch die Luft, und wir sollten erst einmal abwarten, was am Ende beschlossen wird. Wir werden sicherlich mehr bekommen, als wir jemals an Vereinheitlichung in Europa hatten. Aus meiner Sicht ist das auch ohne Alternative. Das Problem ist, wo die Trennlinie verläuft zwischen der Regelung eines besonderen Sachverhalts und dem Begehren, eine Sonderregelung für ein bestimmtes Land zu erzielen. Wir warten ab, was herauskommt, und dann sorgen die EIOPA und die nationalen Aufsichtsbehörden dafür, dass zwei und zwei überall vier ist und nicht manchmal dreieinhalb oder viereinhalb. Die Versicherer suchen nach Alternativen bei den Kapitalanlagen. Bereitet es Ihnen Sorgen, dass die Gesellschaften immer mehr Kredite selbst vergeben und Geschäfte machen, die einstmals über Banken liefen? König Nein. Sorgen würden wir uns dann machen, wenn wir den Eindruck hätten, dass die Versicherer massiv in die direkte Kreditvergabe einstiegen. Doch das dürfen sie laut Versicherungsaufsichtsgesetz schlicht nicht. Wir wären besorgt, wenn wir den Eindruck hätten, dass sich die Versicherer in Geschäftsfeldern tummeln, bei denen wir uns fragen müssten, ob sie die nötige Expertise haben. Aber nehmen Sie den Bereich der Immobilienfinanzierung. Da sind die Versicherer seit Jahrzehnten aktiv. Bei Infrastrukturprojekten ist das anders, das ist ein neues Geschäftsfeld. Aber ohnehin sind die Verschiebungen in den Anlageportfolios sehr gering. Versicherer müssen Aktien in ihren Kapitalanlagen unter Solvency II mit 39 Prozent Eigenkapital unterlegen, Immobilien mit 25 Prozent, aber Staatsanleihen aus Euro-Staaten gar nicht. Angesichts der Erfahrungen mit Griechenland erscheint das absurd. Kommt die Unterlegung der Staatsanleihen noch? König Das ist theoretisch ein absolut berechtigtes Thema, aber vielleicht nicht gerade heute. Mittelfristig müssen wir uns dieses Themas annehmen. Allianz-Chef Michael Diekmann hat erst vergangene Woche kritisiert, dass Solvency II prozyklisch sei und Krisen eher verschärfen würde. Was sagen Sie zu dieser Kritik? König Die ist nicht unberechtigt, mich wundert nur, dass das der Versicherungswirtschaft erst jetzt auffällt. Solvency II ist ein System, das im Prinzip auf Marktwerten basiert und damit auch immer die aktuellen Marktverhältnisse in seine Berechnung einfließen lässt. Das System hat aber Komponenten, die diese Zyklizität bremsen sollen.
Ob uns das an jeder Stelle immer so gelungen ist, wie wir uns das vorgestellt haben, wird man vermutlich erst dann sehen, wenn man ganz konkret rechnet. Grundsätzlich ist uns bewusst, dass Solvency II das Risiko der Prozyklizität enthält. Mir ist nur nicht klar, wo denn die Alternative liegen soll. Ein System, bei dem ich historische Annahmen zugrunde lege, ist ja mit Sicherheit nicht besser, und eine Kristallkugel hat auch niemand. Als BaFin müssen Sie die internen Risikomodelle der Versicherer unter Solvency II prüfen und zertifizieren. Sind Sie darauf vorbereitet, und wie sind die Gesellschaften vorbereitet? Haben Sie genügend gute Leute? König Wir sind vorbereitet, und die Branche ist es auch. Wir lernen alle immer dazu. Was die Mitarbeiter angeht: Wir tun uns genauso schwer wie die Industrie, immer die Topleute zu bekommen, sind aber im Moment gut ausgestattet. Wir sind nicht Land unter, hätten aber natürlich gern mehr Leute.
Kommt Solvency II denn jetzt 2013, und wird es 2014 vollständig scharf geschaltet, wie wir von der EU-Kommission hören? König Das hängt davon ab, wie schnell die Beratungen in Brüssel zu einem Ende kommen. Geplant ist: Inkrafttreten am 30. Juni 2013, Einhaltung ab 1. Januar 2014. Der Zeitplan ist sehr ambitioniert. Wir haben dasselbe Interesse wie die Versicherungsbranche an einer vernünftigen Übergangszeit. So wie sich die Branche auf die Berichterstattung unter Solvency II vorbereiten muss, müssen wir uns auf die Prüfung vorbereiten. In der Branche gibt es Kritik an der Präsenz Deutschlands in der Finanzaufsicht European Insurance and Occupational Pension Authority (EIOPA). So ist kein Deutscher Mitglied des Managementboard. Was antworten Sie? König Wir könnten in diesen Gremien besser vertreten sein und würden es auch wünschen. Nun ist Europa kein Wunschkonzert, und bei 27 Mitgliedsländern kann nicht jedes Land den jeweiligen Chef der Aufsichtsbehörde stellen und in allen Gremien vertreten sein. Die EIOPA wurde in einer personellen Übergangssituation bei der Versicherungsaufsicht in der BaFin geschaffen, da war es unrealistisch zu glauben, dass wir unmittelbar in das Managementboard kämen. Aber es werden regelmäßig Positionen neu besetzt.
Prinzipiell gilt, dass manche deutsche Besonderheit in dem einen oder anderen Punkt nicht überlebt hat. Dann heißt es bei den Betroffenen gern, wir waren schlecht vertreten. Nein, wir sind einfach mit unseren Argumenten nicht durchgekommen. Wir arbeiten daran, dass sich mehr Mitarbeiter auf Positionen in europäischen Gremien bewerben. Zudem verfolgen wir die Arbeiten in den europäischen Aufsichtsbehörden sehr genau. Wir müssen darauf achten, dass die zentralen Entscheidungen in den Boards of Supervisors der Aufsichtsbehörden gefällt werden. Es gab eine Reihe von Skandalen, zum Beispiel die Sexreise von Ergo-Vertretern. Die BaFin hat zwar mitgeteilt, sie prüfe die Vorgänge bei Ergo, gehört haben wir aber wenig. Ist die Behörde ein zahnloser Tiger? König Nein, ganz und gar nicht. In unserer Aufsichtstätigkeit beschäftigen wir uns natürlich auch mit Fragen wie denen, ob die internen Strukturen richtig funktionieren, welche Anreize gegeben werden, welche Kontrollsysteme es gibt. Wir prüfen aber nicht Einzelfragen der Vertriebssteuerung.
Quelle: Financial Times Deutschland
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