Das Management der Gerling-Gruppe wittert Morgenluft. Fast fünf Jahre litt der Konzern im Kerngeschäft Industrieversicherung unter dem ruinösen Wettbewerb. Jetzt steigen die Preise wieder. Davon will Gerling profitieren. „Unsere Wettbewerber sind unruhig geworden“, sagte Konzernchef Jürgen Zech. Er bekomme fast täglich Angebote von anderen Versicherern, deren notleidendes Industriegeschäft zu übernehmen, das sie nach jahrelangen Verlusten aufgeben wollen. „Wir prüfen das mit aller Sorgfalt, aber kommen vielleicht bei zwei von zehn Prüfungen zu einem positiven Ergebnis.“
In der Versicherungsbranche stellen sich viele die Frage, ob Gerling als Familienunternehmen groß und finanzstark genug ist, die Wende in der Industrieversicherung wirklich zu nutzen. Der Versicherer gehört zu 70 Prozent Rolf Gerling, dem Enkel des Gründers, und zu 30 Prozent der Deutschen Bank. Die seit drei Jahren immer wieder genannten Pläne für einen Börsengang, bei dem Rolf Gerling die Mehrheit behalten wollte, wurden angesichts der Börsenlage mehrfach verschoben und vor drei Monaten erstmal auf Eis gelegt.
Die Deutsche Bank wird sicherlich kein frisches Geld einschießen. Im Gegenteil, seit sich Rolf Gerling 1998 weigerte, ihm die Mehrheit zu verkaufen, will Bankchef Rolf-E. Breuer den Anteil loswerden. Ein anderer Versicherer hat kaum Interesse an einer Minderheit. Deshalb sollte die Holding an die Börse gebracht werden, das hätte den Frankfurtern einen eleganten Ausstieg ermöglicht.
Für die jetzt geplante Geschäftsausweitung habe Gerling genügend Finanzkraft und Möglichkeiten, ohne auf einen Börsengang der Konzernholding zurückgreifen zu müssen, machte sich Zech Mut. Zum Beispiel könne die Gruppe hybrides Kapital nutzen – das sind höher verzinste, nachgeordnete Anleihen, die von Rating-Agenturen und Aufsichtsbehörden als Quasi-Eigenkapital anerkannt werden. Auch von Tochterunternehmen wie der Kredit-oder Rückversicherung könnten Minderheitsanteile an die Börse gebracht werden, oder der Anteil freier Aktionäre an der börsennotierten Gerling-Konzern Allgemeine könnte von jetzt zehn Prozent aufgestockt werden. In einem Fall ist Gerling trotz starken Interesses nicht zum Zug gekommen: Das Industriegeschäft der Winterthur-Versicherung, die zur Credit Suisse gehört, ging im Februar 2001 an den Bermuda-Versicherer XL Capital. Jetzt, so bestätigte Zech, spricht Gerling mit der Swiss Re über eine Zusammenlegung oder Kooperation der Kreditversicherungen (FTD vom 2. Mai). Auch das wird Geld kosten.
Die Unabhängigkeit des Familienunternehmens bleibe das „Hauptziel“ des Konzerns, sagte Zech. „Für uns heißt Unabhängigkeit, dass wir Rolf Gerling eine solche Verzinsung bieten, dass er das Unternehmen langfristig erhalten kann.“ Dafür will Zech innerhalb von vier Jahren die Eigenkapitalrendite von neun Prozent in 2000 auf 15 Prozent steigern.
„Gerling ist als reiner Versicherer der Wirtschaft einmalig in der Welt“, begeisterte sich Zech. Der klare Fokus auf Industrieversicherung und wirtschaftsnahem Privatkunden-und Gewerbegeschäft sei nicht im Einklang mit dem Zeitgeist, aber langfristig erfolgreich. Die Versicherungsbranche zerfalle immer mehr in zwei Lager: Neben den Kapitalsammelstellen – „asset accumulators“ – gebe es nur wenige Risikoträger. „Dazu gehören wir.“
Während die Hoffnungen für die unmittelbare Zukunft groß sind, musste Gerling im eigentlichen Versicherungsgeschäft 2000 herbe Verluste hinnehmen. „Aber wir haben besser abgeschnitten als andere“, sagte Zech. Mit einem tiefen Griff in die Bewertungsreserven durch den Verkauf von Aktien konnte der Konzern seinen Gewinn nach Steuern von 22 Mio. Euro im Tränenjahr 1999 auf 185 Mio. Euro in 2000 hochfahren. Die Aktionäre erhielten unverändert 27 Prozent oder 32 Mio. Euro Dividende.
Für 2001 sagte Zech 250 Mio. Euro Gewinn voraus, wenn keine außergewöhnlichen Großschäden auftreten. Das Wachstum von 13,1 Prozent auf 9,5 Mrd. Euro Prämieneinnahmen in 2000 war zum Teil durch Übernahmen und Wechselkursänderungen bedingt. Ohne diese Faktoren lag der Zuwachs bei 5,3 Prozent. Für 2001 erwartet Gerling rund vier Prozent.
www.ftd.de/gerling .
Quelle: Financial Times Deutschland
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