Bilanzen der Lebensversicherer verlieren Aussagekraft

Von Herbert Fromme, Köln Zehntausende von Versicherungsvertretern warten gespannt auf die Verlautbarungen der Vorstände von Lebensversicherungen, welche Überschüsse sie den Kunden im nächsten Jahr gutschreiben werden. Ob sechs, 6,5 oder nur fünf Prozent – die verbindlichen Deklarationen dienen als Grundlage für die Beispielsrechnungen, mit denen neue Kunden geworben werden.

Diese Rechnungen sind entscheidend im scharfen Konkurrenzkampf der Branche. „Im Jahr eins der Riester-Rente stehen die Lebensversicherer unter erheblichem Deklarationsdruck“, sagte Professor Oskar Goecke von der Fachhochschule Köln bei einem Pressegespräch der Kölner Rating-Agentur Assekurata. Es bestehe die Gefahr, dass die Versicherer ihre Gewinnbeteiligungen nicht so weit absenken, wie es angesichts der Börsenlage und ihrer Finanzlage nötig wäre, sondern sich mit höheren Beispielsrechnungen Startvorteile im Riester-Markt sichern wollten, ergänzte Reiner Will von Assekurata.

Traditionell werden die Deklarationen Mitte November abgegeben. In diesem Jahr halten sich die meisten Gesellschaften zurück. Sie haben Probleme, die Entwicklung des Jahres 2002 und selbst ihren Jahresabschluss 2001 einzuschätzen; alles hängt von der Entwicklung der Aktienkurse ab. Bevor Marktführer Allianz seinen Wert nicht bekannt gibt – damit wird in der laufenden Woche gerechnet – ist ohnehin kaum mit Erklärungen einzelner Gesellschaften zu rechnen.

Der Gesetzgeber hat den Unternehmen mit den Änderungen der Bilanzierungsvorschriften im Paragrafen 341 b des Handelsgesetzbuches geholfen. Bisher mussten sie Aktien, deren Kurs unter den Anschaffungspreis gefallen war, sofort abschreiben. Künftig ist das nur nötig, wenn die Wertminderung dauerhaft ist.

Damit hat die Bundesregierung erheblichen Verkaufsdruck von den Versicherern und damit von den Aktienmärkten genommen – die gegenwärtige Aufwärtsbewegung ist zum Teil diesem Umstand geschuldet.

Bilanzexperte Hans-Peter Mehring hält eine Änderung des so genannten strengen Niederstwertprinzips zwar für richtig. Er kritisiert aber die Ausführung. Der Verweis auf vergleichbare internationale Bilanzierungsvorschriften greife nicht. „Die Aktien werden auf dem Anschaffungspreis festgeschrieben“, sagte der Professor der Fachhochschule Köln. „Das hat mit der Transparenz nach internationalen Rechnungslegungsvorschriften nichts zu tun.“

Mehring forderte, dass die Versicherer nun auf jeden Fall ihre „stillen Lasten“ – die Differenz zwischen niedrigerem Buchwert und in der Bilanz gezeigtem Wert – ausweisen müssen. Dafür sollten sowohl die entsprechenden Verordnungen als auch die Wirtschaftsprüfer sorgen. „Die Gefahr von nicht zu erkennenden wirtschaftlichen Schieflagen wächst“, warnten Mehring und seine Kollegen.

Zitat:

„Die Gefahr intransparenter Schieflagen wächst“ – Bilanzexperte Hans-Peter Mehring.

Quelle: Financial Times Deutschland

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