GODESBERG BEI NACHT Serie (I): Die Bäcker der Bäckerei Maus arbeiten, wenn andere noch schlafen
Mit einem lauten „Klatsch“ landet die bräunliche Masse auf dem mehlverschmierten Holztisch. Sofort machen sich Hände an dem 15 Kilo schweren, rechteckigen Etwas zu schaffen. Mit Spachteln lösen sie kleine Stücke heraus, wiegen sie ab und geben sie weiter. An Hände, die die Fladen synchron kneten. Was dann am Ende des Tisches in Kastenformen landet, lässt schon das Endprodukt erkennen: Brotlaibe, die auf ihren Platz im Ofen warten. Es ist Samstagmorgen, 0.30 Uhr. Der Arbeitstag in der Bäckerei Maus in der Brunnenallee hat gerade begonnen. In der Backstube hinter den Verkaufsräumen verarbeiten sechs Bäcker Teig zu Nussbroten, französischem Baguette und Brötchen, lassen die Backwaren aufgehen und schieben sie in den Ofen. Seinen Anfang nimmt alles bei Bäckermeister Klaus-Peter Dung. Über einen Schlauch lässt er Mehl aus dem Keller in blecherne Kessel laufen, gibt Wasser und Backpulver dazu. Armlange Knethaken vermengen die Zutaten zu einem Brei. 510 Kilo Brotteig wird Dung bis zum Ende seiner Schicht produziert haben. Wann das sein wird, weiß er noch nicht. „Vielleicht um 10 Uhr, vielleicht um 11 Uhr, wenn wir genug Brote und Brötchen fertig haben“, erklärt Dung. Vier Filialen der Bad Godesberger Bäckerei Maus und Großbesteller wie Restaurants und Imbissbuden wollen mit Backwaren beliefert werden. 13 Bäcker, drei Konditoren und 18 Verkäuferinnen arbeiten in dem Familienunternehmen, das seit drei Generationen besteht. Auch Chef Rolf Maus backt noch selbst mit. Der Samstag ist der arbeitsreichste Tag in der Backstube, denn die Bäcker müssen auch schon die Brot-Teiglinge für Sonntag vorbereiten. „Party am Wochenende fällt dann natürlich aus. Heute bin ich eigentlich auch auf eine Feier eingeladen“, sagt Dung. Nur alle sieben Wochen hat er ein ganzes Wochenende frei. „Das reicht aber eigentlich nicht, um alles nachzuholen. Tja, Schicksal.“ Dung zuckt mit den Schultern. Auch in der Woche muss er zeitig aus dem Bett. Dann beginnt der Arbeitstag um 3 Uhr und kann bis 13.30 Uhr dauern. Fast 25 Jahre ist Dung jetzt schon Bäcker, davon 13 Jahre bei Maus. In den ehemals dunklen Schopf des 41-Jährigen haben sich schon viele weiße Haare eingeschlichen. Als er 1978 seine Lehre begann, war einiges noch anders. Die Arbeit war geruhsamer – von Gesetzes wegen. Vor 4 Uhr morgens durfte kein Bäcker den Ofen anwerfen, sonntags musste er ganz ausbleiben. 1996 wurde das „Nachtbackverbot“ aufgehoben. „Irgendwann ist dann halt mal die Luft raus“, sagt Dung. „Manchmal wäre ich schon lieber Beamter mit anständigen Arbeitszeiten.“ Andere haben Roboter Er angelt sich einen Eimer mit eingeweichtem Leinsamen und kippt ihn in einen der Kessel. „Aber die ganzen Großkonzerne können sowieso schon viel billiger als wir produzieren. Was wir hier machen, dafür haben die längst Roboter.“ Am Holztisch nimmt sich Dungs Kollege Heinz Baumann einen Teigfladen, knetet ihn und legt ihn in eine Kastenform, wie er es zuvor schon mit Hunderten anderer Fladen getan hat. Baumanns Augen blicken starr auf einen Punkt zwischen Teig und Tisch. Das Klacken des Teig-Abwiegers, das Surren der Knetmaschine und das Dudeln des Radios versuchen sich gegenseitig zu übertönen. Dass außer Dung an diesem Morgen noch niemand ein Wort gesprochen hat, fällt kaum auf. Der mischt schon wieder den nächsten Teig zusammen. Nur ab und an schaut er auf die Pinnwand, wo die Rezepte für die Backwaren hängen. „Mal braucht der Teig etwas mehr Mehl, mal mehr Wasser“, erklärt Dung. „Jeden Tag ist es ein bisschen anders.“ Heinz Baumann nickt. Er löst seinen Blick von dem Teigfladen, vielleicht zum ersten Mal an diesem Morgen. „Wir arbeiten hier nicht mit toter Materie“, sagt er und lächelt. „Der Teig lebt.“ Während er spricht, kneten seine Hände mechanisch weiter. Inzwischen ist es 3 Uhr, Dung kann sich eine erste Pause gönnen. In der Teeküche neben dem Ofen gießt er sich einen lauwarmen Kaffee ein und lässt sich auf einen Stuhl fallen. An der offenen Tür tragen seine Kollegen frisch gebackene Brote vorbei. „Hier sieht man wenigstens noch, was am Ende herauskommt“, erklärt Dung. Aus einem Schrank, in dem Gebäck vom Vortag lagert, nimmt er sich eine Mohnschnecke. „Und ich komme immer im Hellen nach Hause, kann noch am Auto basteln oder was mit den Kindern unternehmen.“ Dung beißt in die Mohnschnecke und zuckt mit den Schultern. „Na ja, es gibt 100 bessere – aber auch 100 schlechtere Berufe.“ In der nächsten Folge unserer Serie „Godesberg bei Nacht“ begleiten wir eine Nachtschwester im Waldkrankenhaus bei ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit.
Dokument GNLZGR0020030819dz8j00033
Quelle: Financial Times Deutschland
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