Helge Fritsch trinkt bei der Arbeit Bier. Sein Arbeitgeber gestattet das nicht nur, er besteht sogar darauf. Denn Fritsch ist Lebensmittelchemiker und arbeitet seit drei Jahren für die Brauerei Bitburger. Im firmeneigenen Sensorik-Labor untersucht er, ob das frisch gebraute Bier auch so schmeckt und riecht wie es soll und bringt Mitarbeitern bei, wie man „empfindlich schmeckt“. Doch darauf beschränkt sich seine Arbeit nicht: „Ich mag an meinem Beruf vor allem, dass er vielfältig ist und ich meine Kreativität einbringen kann“, sagt Fritsch. Denn neben der geschmacklichen Qualitätskontrolle des Bieres ist er unter anderem auch an der Entwicklung neuer Sorten beteiligt, hat Kontakt mit Kunden und Lieferanten und experimentiert im Labor an neuen Analyse-Methoden.
Entstanden ist das Berufsbild des Lebensmittelchemikers zu Zeiten der industriellen Revolution. Die damals beginnende maschinelle Herstellung von Lebensmitteln brachte auch chemische Zusatzstoffe mit sich, die für Menschen zum Teil ungesund waren. Um dies zu verhindern wurde bereits im Kaiserreich das Nahrungs-und Genussmittelgesetz erlassen, für dessen Umsetzung sich ein eigener Berufsstand herausbildete.
Das Aufgabenfeld für Lebensmittelchemiker hat sich mit der Zeit verbreitert: Massentierhaltung, Pflanzenschutzmittel und Mineraldünger sowie gentechnisch veränderte Lebensmittel sind moderne Herausforderungen. Die Fachleute untersuchen, beurteilen und überwachen Lebensmittel, Tabakerzeugnisse, kosmetische Produkte und „sonstige Bedarfsgegenstände“, was alles von der Gabel bis zum Flokati-Teppich sein kann. Der Sachverstand des Lebensmittelchemikers spielt dabei bei jedem Schritt des Herstellungsprozesses eine Rolle, ob bei Rohstoffauswahl, Entwicklung, Herstellung, Lagerung oder auch Vermarktung. So ermitteln die Experten zum Beispiel Mindesthaltbarkeitsdaten, überprüfen aber auch, ob Werbeaussagen über die Wirkung des Produktes stimmen.
Dies dient vor allem der Sicherheit der Kunden: „Überzeugung in Sachen Verbraucherschutz und eine Portion Idealismus sollte ein angehender Lebensmittelchemiker mitbringen“, sagt Helmut Streit, Vorsitzender des Bundesverbandes der Lebensmittelchemiker. Außerdem sollten ein Interesse an Naturwissenschaften, an Warenkunde und natürlich an Lebensmitteln bestehen.
Den Studiengang „Lebensmittelchemiker“ kann man an Universitäten belegen. In dem durchschnittlich acht Semester dauernden Studium lernen die Studierenden nicht nur Lebensmittel chemisch zu analysieren, sondern beschäftigen sich auch mit Ernährungswissenschaft, Lebensmittelhygiene und Lebensmittelrecht. Nach einem anschließenden einjährigem Praktikum und drei staatlichen Prüfungen dürfen sie sich offiziell Lebensmittelchemiker nennen.
Mögliche Arbeitgeber sind öffentliche Verwaltungen, Untersuchungseinrichtungen des Bundes, der Länder sowie der EU, Verbraucherorganisationen, Universitäten und Forschungseinrichtungen oder die Industrie. Lebensmittelchemiker können aber auch freiberuflich tätig sein und zum Beispiel für einzelne Auftraggeber Produkte prüfen. Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt beurteilt der Verbandsvorsitzende Streit positiv: „Während wir in den 90er-Jahren ein Beschäftigungsloch hatten, läuft es seit fünf Jahren wieder besser“, sagt er. Fast alle Lebensmittelchemiker fänden nach dem Praxisjahr eine Anstellung, überwiegend in der Industrie. Doch auch im öffentlichen Sektor sieht Streit Perspektiven, da es dort in den nächsten Jahren eine große Pensionierungswelle geben werde. Fritsch drückt es so aus: „Lebensmittelchemie wird stets gefragt sein, weil Menschen immer essen werden.“
Dokument BERLRZ0020040410e04a0009c
Quelle: Financial Times Deutschland
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