Ein Autounfall zeigt, wie teuer die Assekuranz ihre alte Illimité-Deckung noch zu stehen kommen kann
Von Katrin Berkenkopf und Herbert Fromme Ein Krimiautor hätte den Unfall kaum besser erfinden können: Ein 29-Jähriger, offensichtlich unter Cannabis-Einfluss, ist in einem alten BMW auf der A 4 unterwegs. Neben ihm sitzt sein 25-jähriger Bruder, der keinen Führerschein hat und von dem Zeugen später behaupten werden, er habe das Auto gesteuert. Der Wagen gerät ins Schleudern, prallt gegen einen Tanklastwagen, bis oben hin voll gepumpt mit Benzin. Der Fahrer des Tankwagens verliert die Kontrolle über das Fahrzeug, es bricht durch die Leitplanke und stürzt die Wiehlbachtal-Autobahnbrücke bei Gummersbach hinab. Der Fahrer stirbt, die Tanks brennen aus.
Die Ereignisse des 26. August 2004 sind weder gut erfundene Prosa noch ein Katastrophenszenario zu Übungszwecken. Der tragische Unfall ist wirklich geschehen und wird als bislang teuerster Autounfall in die Geschichte der deutschen Versicherungswirtschaft eingehen.
Die Temperatur von mehr als 1100 Grad beim Brand des Lkw sorgte für schwerste Verformungen der Stahlträger der Brücke. Die Fahrbahn senkte sich bedenklich ab. Nach dem notdürftigen Einbau von Stützen rollt der Verkehr nach sechs Wochen Vollsperrung wieder. Aber noch will der Landesbetrieb Straßenbau NRW den vollständigen Abriss der Brücke nicht ausschließen. Selbst die ansonsten nötige Generalsanierung kostet zig Millionen.
Die Autoversicherer haben eine ziemlich genaue Schätzung, wie viele: Sie haben 33 Mio. Euro für den Schaden zurückgestellt. Versichert war der Pkw bei der Gothaer-Tochter Asstel, aber die bleibt selbst nur auf 100 000Euro sitzen. Als junges, schnell wachsendes Unternehmen hat es Rückversicherungsschutz gekauft. Deshalb ist die Münchener Rück hauptsächlich betroffen, sie erwartet einen Schaden von mindestens 17 Mio. Euro aus dem Unfall.
In der Autoversicherung galt jahrzehntelang Hagel als einziger möglicher Großschaden. Der traf ebenso wie Massenkollisionen auf Autobahnen immer mehrere Versicherer. Ein Megaschaden, den ein einziges Fahrzeug anrichtet – das ist neu. Jedenfalls in Deutschland. Im britischen Selby geriet 2001 ein Pkw auf Bahngleise, ein Zug entgleiste. Der Schaden kostete den Versicherer Fortis 70 Mio. Euro. Auch hier war die Münchener Rück einer der Rückversicherer.
Kein Wunder, dass auf Druck der Rückversicherer die unbeschränkte Haftung, die so genannte Illimité-Deckung, bei neuen Verträgen nicht mehr gewährt wird. Das haben die Unternehmen vor zwei Jahren durchgesetzt. Dabei spielte Selby eine Rolle, viel mehr aber noch die Furcht vor Terroranschlägen. Nutzen Terroristen einen Wagen als Waffe, haftet der Besitzer oder besser dessen Versicherer – ein unkalkulierbares Risiko. Deshalb begrenzen deutsche Autoversicherer bei Neuverträgen ihre Haftung auf 50 Mio. Euro.
Sorge machen sich manche über die noch bestehenden Altverträge, die erst in einigen Jahren vollständig umgeschichtet sein werden: Noch haben mehr als 50 Prozent der deutschen Autofahrer Verträge mit der alten, unbegrenzten Deckung. Auch der BMW, der das Wiehlbachtal-Unglück am 26. August auslöste, war so umfassend versichert.
In einigen Ländern gilt generell noch die unbegrenzte Deckung, dazu gehört Frankreich. Nikolaus von Bomhard, der Chef der Münchener Rück, hat öffentlich die Abschaffung dieser Konzepte gefordert. „Wir können nicht unbegrenzt haften“, sagte von Bomhard beim Rückversicherungstreffen in Monte Carlo.
Die Furcht vor Megaschäden und Terror ist nicht die einzige Sorge, die Rückversicherer zum Handeln in der Autoversicherung treibt. Axa-Re-Chef Peter Gerhardt glaubt, dass die Preise in der Rückversicherung von Autohaftpflichtverträgen grundsätzlich erhöht werden müssen. „Alle Rückversicherer, die Schutzdeckungen in der Autoversicherung gegeben haben, haben heute erheblichen Nachreservierungsbedarf“, sagte Gerhardt. In Frankreich sei dieser „dramatisch“, es gebe ihn aber auch auf anderen Märkten.
Wer in den 80er und 90er Jahren Autogeschäft versichert und rückversichert habe, sei heute mit erheblich höheren Forderungen konfrontiert als damals erwartet, erläuterte Gerhard. Der medizinische Fortschritt und neue Sicherungstechniken bei den Pkw seien für diese Entwicklung verantwortlich. „Damals rechnete man damit, dass Schwerverletzte im Schnitt noch zehn Jahre leben, jetzt müssen wir mit 40 Jahren rechnen.“ Auch die von Gerichten verhängten Schmerzensgelder gingen steil nach oben und müssten letztlich von Versicherern und Rückversicherern getragen werden.
Ob die Rückversicherer die Forderung nach höheren Preisen durchsetzen können, ist aber zweifelhaft: Die Erstversicherer liefern sich gerade die ersten Scharmützel eines neuen Preiskriegs in der mittlerweile wieder profitablen Autoversicherung.
Bild(er):
Der tödliche Unfall auf der Wiehlbachtalbrücke im August kostet die Münchener Rück mindestens 17 Mio. Euro – ddp/Torsten Silz
Quelle: Financial Times Deutschland
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