Die Versicherungswirtschaft hat mit demonstrativer Erleichterung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Stärkung des Verbraucherschutzes reagiert. „Es hätte schlimmer kommen können“, sagte eine Sprecherin des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Die Assekuranz hatte befürchtet, dass das Gericht die Bildung von stillen Reserven untersagen und deren sofortige Zuweisung an die Kunden beschließen könnte – vergleichbar einem Fondssparplan, bei dem der Kunde jährlich alle Erträge gutgeschrieben bekommt. „Das hätte das System der Lebensversicherung in Frage gestellt“, sagte die Sprecherin. Doch auch das jetzige Urteil kann für die Assekuranz negative Folgen haben.
Bei dem Verfahren ging es um die Frage, ob so genannte stille Reserven in die Berechung der Gewinnbeteiligung für die Kunden eingezogen werden. Stille Reserven bezeichnen die Differenz zwischen dem in der Bilanz festgehaltenen Buchwert – etwa von Aktien oder Grundstücken – und dem tatsächlichen Marktwert. Der Gesetzgeber müsse Vorkehrungen treffen, dass bei der Ermittlung der Gewinnbeteiligung die Vermögenswerte angemessen berücksichtigt werden, die durch die Prämien des Kunden geschaffen worden seien.
„Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass der Kunde weiß, was er hat, und das auch gerichtlich überprüfen lassen kann“, sagte die GDV-Sprecherin weiter. Für die Lebensversicherer sei das eine große Chance. „Transparenz und Kundennähe sind auch Wettbewerbsfaktoren“, sagte sie. Welche Auswirkungen das Urteil auf die Branche habe, sei noch nicht abschätzbar.
Auch Marktführer Allianz Leben wertet die Entscheidung des Gerichts in erster Linie als Bestätigung des Prinzips der Lebensversicherung. „Wir dürfen weiter stille Reserven aufbauen. Damit können wir Kapitalmarktschwankungen ausgleichen“, sagte ein Sprecher. Damit könne die Lebensversicherung weiterhin eine schwankungsarme Altersvorsorge sein. Mit Hilfe dieses Instruments können die Versicherer eine Mindestverzinsung auf den Sparanteil der gezahlten Prämie gewähren.
Das ist gegenüber anderen Anbietern etwa von Fonds und Sparplänen ein Wettbewerbsvorteil. Ein Nachteil für den Kunden ist aber, dass er nicht weiß, welcher Anteil der Prämien angespart und verzinst wird. Das wird sich als Folge des Urteils ändern. Der Grund: Um nachvollziehen zu können, ob die gewährte Überschussbeteiligung angemessen ist oder nicht, muss der Versicherer auch die Kosten aufschlüsseln – was bislang unüblich ist. Werden hohe Provisionen sichtbar, könnte das Kunden abschrecken. Die Vertriebe leben aber von den Vergütungen für Lebens-Policen. Fallen sie weg, steht das derzeitige Vertriebssystem zur Disposition.
Ob sich eine neue Bundesregierung nach der Wahl im Herbst für eine Ausweisung der Kosten schon bei Vertragsbeginn oder während der Laufzeit entscheidet, ist ungewiss. Die Versicherer wehren sich gegen Kostenaufschlüsselung. „Wir weisen bereits aus, was in die Altersvorsorge und in den Risikoschutz geht“, sagte der Sprecher der Allianz Leben. Angaben über Kostenanteil der individuellen Prämie, etwa für die Vertreterprovisionen, macht das Unternehmen bislang nicht. „Wir halten das für Pseudotransparenz“, sagte der Sprecher. Schließlich seien die Kosten nur eine kalkulierte Größe.
Fallen sie niedriger aus als angenommen, würden sie dem Kunden über so genannte Kostengewinne mit der Überschussbeteiligung teilweise gutgeschrieben. Würde ein Versicherer die Kosten zu niedrig ansetzen, müsse der Kunde über eine geringere Überschussbeteiligung dafür aufkommen. Von daher sage dieser Wert nichts aus.
Nach Einschätzung von Reiner Will von der Rating-Agentur Assekurata werden die Kunden von dem Urteil zumindest finanziell kurzfristig nicht profitieren. Die stillen Reserven der Lebensversicherer liegen heute – anders als vor der Kapitalmarktkrise – vor allem in festverzinslichen Wertpapieren. „Davon profitiert der Kunde während der Vertragslaufzeit“, sagte er.
Leitartikel
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Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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