Lebensversicherungen müssen transparenter werden · Vertriebssystem der Branche bedroht
Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Grundsatzurteil die Rechte von Kunden der Lebensversicherer deutlich gestärkt. Die Assekuranz muss künftig die Verträge sehr viel transparenter gestalten und Kunden angemessen an allen erwirtschafteten Erträgen beteiligen. Der Gesetzgeber muss das Urteil bis Ende 2007 umsetzen. Die Auswirkungen könnten für die Branche gravierend sein.
Die Richter gaben zwölf Klägern Recht, die die Einbeziehung so genannter stiller Reserven bei der Berechnung der Überschussbeteiligung erreichen wollten. Mit dieser Ausschüttung beteiligen Versicherer Kunden an den Kapitalerträgen, die sie mit den Prämien erwirtschaften. Stille Reserven entstehen, wenn der in der Bilanz festgehaltene Buchwert etwa von Aktien oder Immobilien unter dem tatsächlichen Marktwert liegt. Bei der Berechnung der Gewinnbeteiligung bleiben diese stillen Reserven bisher außer Acht.
Dem Urteil zufolge müssen Kunden „angemessen“ an den Erträgen beteiligt werden und dies auch nachvollziehen können. Derzeit können sie auch vor Gericht nicht klären lassen, ob die Überschussbeteiligung angemessen ist. „So kann sich eine zu geringe Festsetzung etwa durch Nichtberücksichtigung stiller Reserven ergeben“, sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier.
Das Urteil könnte das Solvabilitätsproblem der Lebensversicherer verschärfen, sagte Reiner Will von der Rating-Agentur Assekurata. Solvabilität bezeichnet das Verhältnis zwischen Geschäftsumfang der Versicherer und erforderlichem Eigenkapital. „Infolge des Urteils könnte sich der Druck auf die ohnehin schon knappen Sicherheitsmittel der Versicherer erhöhen“, sagte Will. Konsequenz könnte ein höherer Eigenmittelbedarf sein. Die Börse zeigte sich von der Entscheidung gestern unbeeindruckt. Die Aktie des größten deutschen Versicherers Allianz legte um 0,24 Prozent Eurozu, die des Rückversicherers Münchener Rück, der mit drei Töchtern im deutschen Lebensversicherungsmarkt tätig ist, um 0,37 ProzentEuro. Grund dafür dürfte sein, dass sich die Folgen des Urteils erst nach Abschluss des Gesetzgebungsprozesses abzeichnen werden. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries rechnete damit, dass das Verfahren bis Anfang 2007 abgeschlossen sein wird.
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) reagierte mit demonstrativer Gelassenheit. „Das Urteil kommt zur richtigen Zeit“, sagte eine GDV- Sprecherin. Die private Altersvorsorge gewinne immer mehr an Bedeutung, deshalb sei auch eine größere Transparenz erforderlich.
Für die Assekuranz hat das Urteil eventuell unangenehme Folgen. Unternehmen könnten künftig Auskunft geben müssen, welchen Teil der Versichertenprämie sie tatsächlich sparen und wie viel sie für Risikoschutz und Kosten abziehen. Müssen sie die Provisionszahlungen für Vertreter beziffern, könnten Kunden auf andere Sparanlagen ausweichen. Denn zu Beginn der Vertragslaufzeit fließt das Geld der Kunden in erster Linie an die Vertreter.
Die Vertriebsorganisationen der Versicherer leben vor allem vom Geld aus Lebensversicherungspolicen, die weit mehr Provisionen abwerfen als andere Verträge. Bricht diese Einnahmequelle weg, muss die Assekuranz ihr Vertriebssystem umstellen.
www.ftd.de/versicherung
Anja Krüger
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Quelle: Financial Times Deutschland
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