Die großen Unternehmen dominierten früher oftmals die traditionellen Industriegebiete. Doch die Zeit der einsamen Giganten ist vorbei. Gemeinsam wirtschaften, heißt jetzt das Motto.
Die Branche hat aus der Not eine Tugend gemacht. Nach dem Zusammenbruch der DDR stand die ostdeutsche Chemie-Industrie vor dem Aus, Investoren waren nur für Teilbereiche zu finden. Anfang der 90er Jahre begannen neue Firmen, sich auf dem Boden ostdeutscher Chemiewerke in Leuna, Bitterfeld und Schkopau die Infrastruktur zu teilen. Das Modell Chemiepark war damit geboren.
Im übrigen Deutschland fand das Konzept schnell Nachahmer. „In den Unternehmen hat ein enormer Kulturwandel stattgefunden“, sagt Margarethe Gersemann, Leiterin der Chemsite-Initiative im Ruhrgebiet. In diesem Projekt haben sich Unternehmen der Branche, Kommunen und das Land Nordrhein-Westfalen zusammengeschlossen, um die Rahmenbedingungen für die Chemie-Industrie zu verbessern. Zu den Initiatoren gehörte 1997 die inzwischen in den Degussa-Konzern aufgegangene Gesellschaft Hüls in Marl. Unter dem Dach von Chemsite werden heute sechs Standorte, unter anderem in Gelsenkirchen, Marl und Bottrop, vermarktet.
„Unternehmen haben ganze Anlagestränge verkauft, dadurch kamen Fremdfirmen an den Standort“, sagt Gersemann. Später setzten Betriebe auf eine gezielte Ansiedlungspolitik. Denn ihnen wurde klar, dass sie im Verbund mit anderen wirtschaftlicher arbeiten, etwa wenn sie Einrichtungen wie Kraftwerke und Kläranlagen gemeinsam nutzen. „Ein Verbundsystem hat den Charme, dass eine Firma Stoffe an eine andere abgeben kann, die sie woanders für viel Geld entsorgen müsste“, sagt Gersemann. Im Chemiepark Marl zum Beispiel stellt die Firma Sasol Waschmittel-Vorprodukte her. Dabei entsteht als Nebenprodukt Kohlendioxid. Diesen Stoff gibt Sasol an das Unternehmen Linde Gas weiter, das ihn für seine Flüssigkohlensäureanlage braucht.
In Deutschland gibt es mittlerweile rund 100 Standorte mit Verbundstrukturen. Darunter sind etwa 25 größere Chemieparks, die jeweils von einer eigenen Betreibergesellschaft gemanagt werden, und in denen mehr als 1000 Beschäftigte arbeiten. Auch in anderen Ländern wie Großbritannien oder China gibt es Chemieparks, jedoch nur vereinzelt. Die deutschen Standorte konkurrieren vor allem mit traditionellen Chemie-Verbünden wie im niederländischen Amsterdam oder Rotterdam.
„Es gibt genug Investoren“, sagt Gersemann. „Die Kunst ist, sie zu gewinnen.“ Die Parkbetreiber im Ruhrgebiet bieten auf die Bedürfnisse der Betriebe zugeschnittene Dienstleistungen an. Diese Strategie verfolgt allerdings jeder Chemiepark, auch der mit einer Gesamtfläche von 17 Quadratkilometern größte deutsche, der Chemiepark Bayer. An vier Standorten haben sich mehr als 400 Produktionsbetriebe mit rund 45 000 Mitarbeitern angesiedelt. Außerdem sind Dienstleister wie Autoverleih-Unternehmen, Banken und Gaststätten vor Ort. „Wir sind der Hausmeister in einem Mehrfamilienhaus“, sagt Jörg-Michael Söder von Bayer Industry Services (BIS), der Betreibergesellschaft des Parks. Die einzelnen Wohnungen sollen vermietet, die Mieter mit allem versorgt und bei jedem denkbaren Problem unterstützt werden, erläutert Söder.
Vor zwei Jahren hat der Bayer-Park eine Start-up-Initiative ins Leben gerufen. „Wir sind ein Inkubator. Wir züchten kleine Firmen, die wachsen und den Chemiepark nutzen“, sagt Söder. Hoffnung setzen die Betreiber auch auf Betriebe, die nicht in traditionellen Industriegebieten sitzen. „Wir sprechen gezielt Unternehmen an, die in Wohngebieten produzieren“, berichtet Söder. Diese Firmen müssten ständig mit Konflikten mit Anwohnern rechnen, das sei in einem Park nicht der Fall. „Es wird zu einer Konsolidierung der Standorte kommen“, sagt Söder.
Die Größe entscheidet
„Wir brauchen große Einheiten“, sagt auch Horst-Dieter Schüddemage, Vorsitzender der Fachvereinigung Chemieparks/Standorte im Verband der chemischen Industrie. Kleine Parks seien international nicht attraktiv. „Sie brauchen einen Umsatz zwischen 1 bis 5 Mrd. Euro“, sagt er. Doch von der Milliardengrenze sind die meisten der großen deutschen Parks weit entfernt, viele erwirtschaften nur wenige 100 Mio. Euro. „Wir sind noch mitten in der Entwicklung“, sagt Schüddemage. „Es ist noch nicht klar, wie die Strukturen aussehen müssen, damit der Standort attraktiv ist.“ Dazu gehöre die Frage, ob Betreibergesellschaften Dienstleistungen nur für Bewohner des Park anbieten oder auch außenstehende Dritte versorgen sollen.
Auch Gunter Festel vom Schweizer Beratungs- und Investmentunternehmen Festel Capital sieht die Konsolidierung der deutschen Chemieparks unausweichlich kommen. „Wer dabei die Pole-Position haben wird, ist noch nicht klar“, sagt er. Denn die Parks unterscheiden sich nach Festels Einschätzung hinsichtlich ihrer Angebote nicht gravierend. Und sie haben einen Nachteil. „Die deutschen Chemieparks sind im internationalen Wettbewerb zu teuer“, sagt Festel. In Rotterdam oder Amsterdam seien beispielsweisel die Strom- und sonstigen Energiekosten geringer. Auch die Preise für die Dienstleistungen der Parks, wie Entsorgung oder Instandhaltung, seien hier zu Lande zu hoch. „Die deutschen Chemieparks sind auf Grund ihrer Kostenstruktur nicht ausreichend wettbewerbsfähig“, sagt Festel.
Zitat:
„Wir sind der Hausmeister in einem Mehr-familienhaus“ – Jörg-Michael Söder,BIS –
Bild(er):
Der Bayer Chemiepark, hier der Standort Leverkusen, ist mit rund 17 Quadratkilometern Fläche das größte Chemiegelände Deutschlands – Bayer AG/Peter Ginter
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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