Heilsame Mischung

Aachener Kurkliniken leiden unter Gästeschwund. Eine Kombination aus Reha-und Wellness-Angeboten soll die Stadt für den Wettbewerb auf dem Gesundheitsmarkt stärken dsfgsd fs

Das Gebäude erinnert an eine Raffinerie, Röhren ziehen sich an der Fassade entlang. Doch hier wird kein Öl gefiltert, hier werden Kranke gepflegt und geheilt. Der Bau des Gebäudes verschlang mit 2,1 Mrd. DM viermal mehr als geplant. Zumindest kunsthistorisch hat sich die Investition gelohnt. Das Gebäude soll unter Denkmalschutz gestellt werden – weil es als eines der bedeutendsten Zeugnisse der Hightech-Architektur der 70er und 80er Jahre gilt.

Das Universitätsklinikum Aachen und vier weitere Krankenhäuser mit insgesamt 2400 Betten machen die Stadt zu einem wichtigen Medizinstandort in der Region. Allein im Klinikum sind 940 Ärzte und 4500 andere Mitarbeiter beschäftigt. Als „Gesundheitsfabrik“ hat das Haus, in dem wegen der seinerzeit hochmodernen Klimaanlage keines der 3000 Fenster der Patientenzimmer zu öffnen ist, eine fragwürdige Berühmtheit erlangt. Dieses Image steht im harten Kontrast zu dem zweiten Standbein der regionalen Gesundheitswirtschaft: Aachen ist staatlich anerkanntes Heilbad. „Wie Wiesbaden und Kassel verzichtet auch Aachen auf den Namenszusatz ,Bad'“, sagt Kurdirektor Werner Schlösser. Denn „Bad“ klingt nach Provinz und gediegener Langeweile. Großstädte fürchten solche Assoziationen.

Aachen verfügt über die heißesten Quellen nördlich der Alpen. Die mehr als 30 bis zu 74 Grad heißen Wässer haben nicht nur die römische Legionäre genossen. Die Quellen sollen auch der Grund dafür gewesen sein, dass Karl der Große hier seinen ständigen Wohnsitz einrichtete. Als zu Beginn des 18. Jahrhunderts Thermen in Mode kamen, wurde Aachen zum Anziehungspunkt für Adlige, Bonvivants und Reiche.

Doch Mitte des 19. Jahrhunderts wanderten die Reichen und Schönen zur Konkurrenz nach Baden-Baden ab. Gegen 1900 begann der medizinische Kurbetrieb, doch auch seine Blütezeit ist längst vorüber. In den vergangenen zehn Jahren ist der stationäre Kurbetrieb um 36 Prozent geschrumpft.

Verantwortlich für diese Entwicklung sind nicht nur Einschränkungen für die Bewilligungen von Kuren und rigide Sparmaßnahmen der Krankenkassen. „Weil sie Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, beantragen immer weniger Menschen eine Kur“, sagt Schlösser. Im Jahr 1995 hatten die damals noch vier Kurkliniken knapp 9000 Gäste. 2004 kamen in die verbliebenen drei Häuser nur noch 6800. Die Zahl der Übernachtungen und Pflegetage sank in diesem Zeitraum von 250 000 auf unter 160 000 pro Jahr.

Diese Entwicklungen treffen auch andere Regionen. „Der Markt ist brutal umkämpft“, sagt der Kurdirektor. Aachen versucht, mit einer zweigleisigen Strategie den Standort zu stärken. Die Kurkliniken haben sich auf die Behandlung von Patienten mit orthopädischen Problemen und Rheuma spezialisiert. Neben der medizinischen, von den Kassen finanzierten Rehabilitation setzt die Stadt auf Wellness-Angebote. „Hier geht es nur um Selbstzahler“, sagt er. Im Jahr 2001 eröffneten die Carolus-Thermen ihren Betrieb, kleinere Thermalbäder schlossen. In die riesige Freizeitlandschaft strömen jedes Jahr an die 400 000 Besucher zum Themen-Saunen von finnisch bis türkisch, Sonnenbaden in der Karawanserei mit nachempfundenen Wüstentag.

Nach den Vorstellungen des Amts für Wirtschaftsförderung der Stadt Aachen müssen sich die Kurkliniken neue Märkte suchen, etwa im Bereich von Fitness- und Sportangeboten. Der Ausbau des traditionellen Kurbetriebs ist kaum möglich. Im Unterschied zu anderen Branchen macht sich in diesem Geschäftsfeld die Grenznähe zu Belgien und den Niederlanden negativ bemerkbar. „Uns fehlt wegen der Grenze die Hälfte des Einzugsbereichs“, sagt Schlösser. „Niederländer und Belgier kennen die Kur in unserem Sinne nicht.“ Einen länderübergreifenden Kurbetrieb gibt es deshalb nicht.

Patienten aus den Nachbarstaaten

In der Gesundheitsversorgung dagegen ist die europäische Integration fast schon Realität. In der Region gibt es zahlreiche Projekte, für den Notfall ebenso wie für die aufschiebbare Operation oder den Besuch beim Augenarzt. Die AOK Rheinland und die niederländische Krankenkasse CZ Groep bieten die „Gesundheitscard international“ an, mit der Versicherte Leistungen von Ärzten, Kliniken und Apotheken in den Nachbarländern in Anspruch nehmen können.

Davon profitieren vor allem die Anbieter in Aachen, denn es kommen mehr Niederländer zur Behandlung, als Deutsche medizinische Versorgung jenseits der Grenze in Anspruch nehmen. Die Krankenkassen haben für Deutsche knapp 4000 Karten ausgestellt, für Niederländer mehr als 20 000. Der Grund für die hohe Nachfrage bei den Nachbarn: In den Niederlanden gibt es keine niedergelassenen Fachärzte, und die Wartezeiten an den Kliniken sind mitunter lang.

Bei einem anderen Projekt haben sich rund 30 Kliniken aus dem Dreiländereck zusammengeschlossen und eine „Qualitätscharta“ verabschiedet. Sie wollen ihre Zusammenarbeit ausbauen. Hat eine Klinik in einem Bereich gute Erfahrungen gemacht, etwa eine gute Methode für die Ermittlung der Patientenzufriedenheit gefunden, profitieren die anderen Häuser davon.

Außerdem veranstalten die Kommunen dies- und jenseits der Grenzen gemeinsame Gesundheitskonferenzen. Im kommenden Juni etwa werden Ärzte und andere Experten in Lüttich über Strategien gegen Übergewicht bei Kindern in der Region beraten. „Die Gesundheitskonferenzen sind ein Symbol dafür, dass Institutionen auf drei Seiten strukturiert und projektbezogen zusammen arbeiten“, sagt Ruth Meyering von der Beratungsstelle für Grenzgänger.

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In den Aachener Carolus-Thermen lässt sich unter einem künstlichen Sternenhimmel entspannen. Jedes Jahr kommen knapp 400 000 Besucher zum Baden und Saunen – Laif/Michael Lange

Anja Krüger

Quelle: Financial Times Deutschland

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