Kunden und Anbieter der Industrieversicherung sind besorgt. Der Markt wird durch Fusionen und Neuordnungen umgekrempelt, nicht immer zur Freude der Industrie. Und: Bei den Preisen gibt es Bewegung
Von Herbert Fromme Die Industrieversicherung in Deutschland steht vor einem Umbau bisher ungekannten Ausmaßes. Die Übernahme der Gerling-Versicherer in Köln durch die Hannoveraner Talanx/HDI-Gruppe führt zur Fusion der Nummer zwei und drei im Markt. HDI und Gerling sind zusammen künftig so groß, dass sie dem Marktführer Allianz noch stärker Paroli bieten können.
Die Allianz baut ihrerseits um. Allianz Global Risks, der Spezialversicherer für das Industriegeschäft, geht gerade mit Allianz Marine & Aviation zusammen, über die der Allianz-Konzern das Transport- und Luftfahrtgeschäft zeichnet.
Die Kunden sind wegen der HDI/Gerling-Fusion besorgt. Sie fürchten ein Oligopol weniger Anbieter und den Verlust von Know-how. „Die Maßnahme der Talanx ist alles andere als im Interesse der deutschen Industrie“, sagte Ralf Oelßner, Lufthansa-Versicherungschef und Vorsitzender des Deutschen Versicherungs-Schutzverbands (DVS). Der DVS ist die Versicherungs-Lobbyorganisation der deutschen Industrie.
Die Besorgnis unter Gerling-Kunden ging so weit, dass eine Reihe von Pharma-Unternehmen bei der EU-Kommission – die den Deal genehmigen musste – Einspruch einlegte. Die EU-Kommission billigte die Übernahme trotzdem. Aber sie machte zur Auflage, dass eines der beiden beteiligten Unternehmen sich aus der Pharmadeckung zurückzieht. Das hatten die Kunden nun ganz und gar nicht gewollt.
Christian Hinsch, Talanx-Vorstandsmitglied und HDI-Chef, versuchte die Gemüter zu beruhigen. Zumindest für 2007 werde die von den beiden Gesellschaften angebotene Versicherungskapazität wahrscheinlich unverändert bleiben. Bei Pharma steige HDI zwar aus, Gerling dürfe aber Kapazität ausbauen.
Auch andere Gesellschaften strukturieren um, senken Kosten und reduzieren Beschäftigtenzahlen. Für die Industriekunden, die immer schlankere Strukturen bei den Versicherern angemahnt haben, hat das negative Folgen: Kompetente Mitarbeiter sind plötzlich verschwunden. „Es wäre an der völlig falschen Stelle gespart, wenn hier Einschnitte in die Substanz vorgenommen würden“, klagte Günter Schlicht, DVS-Vorstandsmitglied und -Geschäftsführer. Die Industrieversicherung ist die Königsklasse der Assekuranz. Zwar wird sie insgesamt nur auf 19 Mrd. Euro geschätzt, genaue Statistiken gibt es nicht. Das ist nur ein kleiner Teil der 155 Mrd. Euro, die der gesamte deutsche Versicherungsmarkt 2005 einspielte. Das Geschäft ist aber sehr wichtig, weil große Volumen pro Vertrag im Spiel sind und weil Trends für den gesamten Markt gesetzt werden.
Schlicht vergleicht die Industrieversicherung gern mit einer „italienischen Oper“. Sie hat viele Mitwirkende, und die Handlung ist nicht immer logisch. Die Industrie als Käufer braucht Versicherungsschutz, vor allem, wenn es um Haftungsansprüche von Dritten geht. Die Konzerne sind vertreten durch eigene Versicherungsmakler, die firmenverbundenen Vermittler.
Die Großmakler vom Schlage Aon, Marsh, Ecclesia, Funk oder Willis vermitteln Versicherungsgeschäft, schnüren Deckungspakete und sorgen dafür, dass Kunden Zugang zu ausländischen Märkten haben, also London, Bermuda und USA.
Auf der Anbieterseite steht der Chor der Erstversicherer – neben den Marktführern Allianz und HDI/Gerling sind das Gothaer, Axa, AIG, ACE, FM Global und andere. Dazu kommen die Rückversicherer. Sie übernehmen den größten Teil der Risiken von den Erstversicherern, verhandeln aber auch direkt mit der Industrie. Weiter kompliziert wird die Handlung dadurch, dass Industriekonzerne eigene Versicherer und Rückversicherer haben. Jüngstes Beispiel ist die Gründung der ThyssenKrupp-Rückversicherung.
Nach hohen Verlusten in den 90er Jahren, die sie nur mit Hilfe stattlicher Kapitalerträge aushalten konnten, erhöhten die Versicherer ab 2001 die Preise dramatisch. In den vergangenen vier Jahren war die Industrieversicherung erneut sehr lukrativ.
Seit 2005 ändert sich das wieder. Anbieter suchen Marktanteile und sind bereit, beim Preis nachzugeben – sie verdienen immer noch genügend Geld. „In der Industriefeuerversicherung sind die Prämieneinnahmen zum 1. Januar 2006 marktweit um sieben Prozent zurückgegangen“, sagte HDI-Chef Hinsch. „Für die großen Risiken rechnen wir nicht mit einem weiteren Preisrückgang. Im mittleren Geschäft könnte es noch weitere Reduzierungen geben.“
Die Naturgefahrendeckungen werden für exponierte Unternehmen teurer, so Hinsch. „In der industriellen Haftpflichtversicherung könnten die Preise ein wenig zurückgehen.“
Lothar Riedle, Deutschlandchef der in Bermuda und den USA beheimateten ACE-Gruppe, sieht weniger Druck für die Versicherer. „Die überaus starke Nachfrage nach hohen Prämienreduktionen von 2005 scheint nachzulassen“, sagte er. In der Haftpflicht werde dies auch von dem Trend zu höheren Deckungen getragen.
Das gelte allerdings nicht für die Managerhaftung, im Jargon als Directors‘ and Officers‘ Liability Insurance (D&O) bekannt. „Die Logik der D&O-Versicherung verschließt sich mir immer mehr“, sagte Riedle. Diese Sparte stelle „heute das höchste Risiko- und Gefahrenpotenzial für die Industrieversicherer dar“. Trotz der neuen Schadenfälle WestLB und Deutsche Bank würden massive Prämienreduzierungen verlangt „und vom Markt auch noch gewährt“.
Zitat:
“ „Für großeRisiken rechnen wir nicht mit einem Preisrückgang“ “ – Christian Hinsch,HDI-Chef –
Bild(er):
Ist ein Unternehmen für einen großen Schaden verantwortlich, wie hier bei der Verseuchung der spanischen Küste durch den Öltanker Prestige, übernehmen Versicherer einen Teil der Kosten – Corbis/Reuters
Quelle: Financial Times Deutschland
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