Die Kölner leben auf einer riesigen Baustelle. Im Rheinufertunnel und an anderen Verkehrsknotenpunkten stauen Sanierungsarbeiten den Verkehr, in der Südstadt lärmen die Arbeiten an der neuen Nord-Süd-U-Bahn und an vielen Stellen der Stadt werden Häuser hochgezogen.
Aber Bauen in Köln ist keineswegs einfach – schon wegen der Funde aus der Römerzeit, die oft zu Zwangspausen führen. Immer wieder gerät die Stadt wegen Bauvorhaben in die überregionalen Schlagzeilen. Zuletzt wegen eines Büroturms, der den Blick auf den Dom versperrt hätte und die Unesco auf den Plan rief.
Auch in Köln ist die Baukonjunktur angesprungen. „Bauen ist immer gut“, findet Paul Bauwens-Adenauer, selbst Bauunternehmer und Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Köln. Außerdem hat er einen berühmten Großvater – Konrad Adenauer, der nicht nur Deutschlands erster Bundeskanzler war, sondern von 1917 bis 1933 Kölner Oberbürgermeister. „Bauen bedeutet, dass etwas passiert“, sagt der 51-jährige Enkel. Doch die Kommunalpolitiker folgen bei der Stadtentwicklung keinem Konzept, kritisiert er – und will der Stadt einen Masterplan schenken. „Ein Planungsbüro soll ein städtebauliches Entwicklungskonzept für die kommenden 10 bis 20 Jahre erstellen“, erklärt er. Das kostet etwa eine halbe Million Euro, die Bauwens-Adenauer bei Unternehmen sammelt.
Eine andere Art von Bürgerengagement organisiert der Verein „Liebe deine Stadt“. Er zeichnet Gebäude aus den 50er- und 60er-Jahren mit Schleifen in den Stadtfarben aus. Das Motto der Initiative prangt in großen Lettern auf dem Dach eines Pavillons am Rheinufer.
In kaum einer anderen Metropole sind Unternehmen und Stadt so miteinander verbunden wie in Köln. Ehrenamtliches Engagement wird großgeschrieben, Bürger und Gemeinwesen sind eng verwoben. Was für die einen ein Beispiel für die gelungene Vernetzung von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ist, ist für die anderen der berüchtigte Kölsche Klüngel. Denn manchmal sind in Köln die Wege bei der Entscheidung für die Vergabe öffentlicher Aufträge sehr kurz. So gibt es Ärger mit der Europäischen Kommission, weil die Stadt den Neubau von Messehallen nicht EU-weit ausgeschrieben hat. Den Auftrag bekam der Oppenheim-Esch-Fonds, der schon viele Projekte in der Domstadt realisiert hat.
Die Messe ist für die Stadt ein wichtiger Magnet. Regelmäßig stellen 43 000 Anbieter aus 200 Ländern hier aus. Das Gelände gilt aufgrund der guten Erreichbarkeit, etwa durch den benachbarten ICE-Bahnhof und wegen der neuen Hallen, als eines der attraktivsten in Europa. Die vier neuen Nordhallen ersetzen die historischen Rheinhallen, in die der Sender RTL zieht. Sie sind flexibel nutzbar und ermöglichen besonders schnelles Auf- und Abbauen. Die Kölnmesse veranstaltet mehr als 40 eigene Ausstellungen, 25 Branchen haben hier ihre Leitmesse und jährlich nutzen bis zu 30 Gastmessen das Gelände. 2006 kommen voraussichtlich zwei Millionen Besucher. Seit Jahrhunderten ist Köln eine der bedeutendsten deutschen Handelsstädte. Hier gibt es rund 3500 Großhändler und 11 400 Einzelhändler.
Nichts für Billigangebote
Mit dem Anspringen der Konjunktur im Frühjahr ist auch Bewegung in den Arbeitsmarkt gekommen. Im September lag die Arbeitslosenquote bei 12,6 Prozent, immerhin ein Prozentpunkt unter dem Vorjahreswert.
Fast 80 Prozent der Beschäftigten in Köln und dem Umland sind im Dienstleistungssektor tätig. Aber auch die industrielle Produktion ist bedeutend. Um die Stadt liegt ein Ring chemischer und pharmazeutischer Unternehmen. Eine wichtige Rolle spielen auch Autohersteller, Zulieferer und die großen Maschinenbau-Firmen. „Unser Vorteil ist, breit aufgestellt und nicht von einzelnen Konzernen abhängig zu sein“, sagt Bauwens-Adenauer.
Konzerne mit vielen Arbeitsplätzen können sich auch einfach verabschieden, das erlebt die Stadt gerade mit dem Versicherer Allianz. Schließt er wie geplant seinen Standort mit 1600 Mitarbeitern, wird Köln den Wettlauf mit München um den Status als deutsche Versicherungshochburg auf Dauer verlieren.
Längst sehen die Kölner ihren größten Konkurrenten nicht mehr in Düsseldorf, sondern messen sich an Bayern und Baden-Württemberg. Neben dem dichten Hochschulnetz habe Köln diesen Regionen noch anderes voraus, sagt IHK-Geschäftsführer Detlev Sachse, selbst gebürtiger Norddeutscher: „Die Kölner Lebensart ist einmalig.“ Liberalität, Lebensfreude und Weltoffenheit seien Standortvorteile, heißt es bei Kölner Wirtschaftslobbyisten. „Die Kombination von TÜV und Toleranz macht Köln aus“, sagt Wirtschaftsdezernent Norbert Walter-Borjans. TÜV steht einerseits für den expandierenden Technischen Überwachungsverein Rheinland, andererseits für „Made-in-Germany-Qualität“. Wer auf Billigangebote bei Gewerbeflächen und staatliche Zuschüsse aus ist, wird in Köln enttäuscht. Anders als im Ruhrgebiet erhalten Firmen, die sich ansiedeln, kein öffentliches Geld. „Wir wollen auf Markenartikelebene in der globalen Konkurrenz bestehen“, sagt Walter-Borjans.
Bei aller berufsbedingter Begeisterung für die Stadt sieht er auch Probleme. Im Friesenviertel oder in Lindenthal wohnen Gutbetuchte, in den Randvierteln wie Chorweiler, Kalk oder Vingst viele Verlierer des Strukturwandels und der Globalisierung. „Die Stadtteile dürfen nicht so weit auseinander driften“, sagt er. Fast jeder zehnte Kölner hat einen Migrationshintergrund. Zwar haben einige von ihnen den sozialen Aufstieg geschafft. Aber viele leben in den Vierteln am Stadtrand.
Der Dezernent sieht hier wichtiges Potenzial. „Wir gehören zu den wenigen Städten, die wachsen. Und zwar mit einem soliden Bevölkerungsaufbau“, sagt er. In zehn Jahren wird es in Deutschland aufgrund der demografischen Entwicklung einen Facharbeitermangel geben. Dann könnte die Domstadt im Vorteil sein. „Aber das ist kein Automatismus“, sagt Walter-Borjans. „Dafür müssen wir etwas tun.“
Für die Migrantenfamilien setzt sich zum Beispiel der katholische Pfarrer Franz Meurer aus Vingst ein: „Wir gehen wirtschaftlich unter, wenn wir die Ressourcen der Migranten nicht nutzen“, sagt er. Mit Mitstreitern aus seiner Gemeinde versorgt Meurer in der Woche 700 Menschen mit Essen und versucht, das Viertel vor der Verarmung zu bewahren. „Wir pflegen den öffentlichen Raum, damit er nicht verwahrlost“, sagt Meurer. Er organisiert Patenschaften für Schulen und gemeinsam mit Kollegen von der islamischen Gemeinde Sprachförderkurse für Kinder. Arbeit und Bildung – das brauchen und das wollen die Menschen in seinem Stadtviertel, sagt der Pfarrer.
Deshalb fordert er, einen zweiten Arbeitsmarkt einzurichten und unterstützt seine Schützlinge bei der Qualifizierung und bei der Jobsuche. So können die Jugendlichen etwa Gabelstaplerfahren lernen. Wer ein Bewerbungsgespräch hat, kann sich in der Kleiderkammer angemessene Klamotten ausleihen.
Zitat:
“ „Die Kombination von TÜV und Toleranz macht Köln aus“ “ – Norbert Walter-Borjans, Kölner Wirtschaftsdezernent –
Bild(er):
Auf dem Dach eines Pavillons am Rheinufer steht der Schriftzug der Künstlerinitiative „Liebe deine Stadt“. In dem Haus fand die Gründungsveranstaltung des Vereins statt. Die Initiatoren wollen den Blick auf die Architektur aus der Zeit des Wiederaufbaus in den 50er- und 60er-Jahren lenken. Die Initiative kennzeichnet herausragende Gebäude mit einer großen Schleife in den Stadtfarben Rot-Weiß – RTL; Köln Bonn Airport; Picture-Alliance/dpa/Rolf Vennenbernd
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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