Die neuen Anbieter sind alte Bekannte

Rückversicherer entdecken ein zusätzliches Geschäftsfeld. Sie verhandeln selbst mit großen und mittleren Unternehmen – und lassen ihre eigentlichen Kunden außen vor

VON Herbert Fromme Auf den ersten Blick wirkt das Vorgehen der Münchener Rück wie Wilderei. Künftig will der zweitgrößte Rückversicherer der Welt selbst mit Endkunden Geschäfte machen – ohne die Erstversicherungstochter Ergo einzuschalten. „Wir werden Policen für Risiken aus Computerviren sowie aus dem Handel mit Emissionsrechten anbieten“, sagte Vorstandsmitglied Torsten Jeworrek.

Eigentlich ist die Münchener Rück ein Großhändler des Risikoschutzes. Erstversicherer wie Allianz, Ergo, Gothaer oder R+V machen Geschäfte mit Endkunden. Gegen Großschäden und besondere Belastungen kaufen sie bei Swiss Re, Münchener Rück oder Hannover Rück die entsprechende Rückversicherung.

Aber diese saubere Einteilung gilt nicht mehr, sagt Münchener-Rück-Chef Nikolaus von Bomhard. „Die Grenzen verschwimmen.“ Letztendlich gehe es immer um das Tragen von Risiken. Bei bestimmten Problemen sei ein Rückversicherer besser dafür geeignet, direkt mit Endkunden abzuschließen. Gegen Schäden aus Computerviren gebe es keine vergleichbare Deckung, so Vorstandskollege Jeworrek. „Das können wir nur wegen unserer Erfahrungen und unseres globalen Datenmaterials.“

Hier will die Münchener Rück die Kosten für die Wiederherstellung von Daten, Verdienstausfall aufgrund von Systemausfällen und aus Betriebsunterbrechungen übernehmen, wenn Computerviren die Ursache waren. „Wir beginnen die Vermarktung bei langjährigen Kunden.“ Die sogenannte „Kyoto Multi-Risk Police“ soll Anleger im stark wachsenden Emissionshandel schützen.

Die beiden Angebote sind Teil einer umfassenden Offensive der Münchener Rück mit 15 Bestandteilen, die von Bomhard unter dem Titel „Changing Gear“ (die Gangart wechseln) gestartet hat. Er will Anlegern und Analysten zeigen, dass die Münchener Rück Wachstumspotenziale erkennt und ausbaut – und damit den trotz Rekordgewinnen schwächelnden Aktienkurs stützen. Bis 2010 sollen 250 Mio. Euro zusätzlicher Gewinn aus „Changing Gear“ kommen.

Das Problem der Münchener Rück: Im eigentlichen Rückversicherungsmarkt sind die Preise kräftig unter Druck. „Die Marktlage erschwert Gewinnwachstum aus dem traditionellen Rückversicherungsgeschäft“, sagt Jeworrek. Und Konzernchef von Bomhard will auf keinen Fall um des Volumens willen Geschäft zeichnen, das seinen hohen Ansprüchen an die Profitabilität nicht genügt.

Ganz neu ist der Direktabschluss mit der Industrie für die Rückversicherer nicht. „Bei großen Risiken landen oft 80 Prozent ohnehin bei einem Rückversicherer“, sagte der Einkäufer eines deutschen Konzerns. „Da ist klar, dass wir direkt über Preise und Bedingungen verhandeln wollen.“ Das ist selbst dann der Fall, wenn pro forma noch ein unabhängiger Erstversicherer dazwischengeschaltet ist. Oft verzichten beide Seiten auf den Mittler. Um den Formalitäten Genüge zu tun, nutzen sie dann spezielle Tochtergesellschaften, die nichts weiter tun, als entsprechendes Geschäft weiterzuleiten, das sogenannte „Fronting“. Die Münchener Rück hat für diesen Zweck die „Great Lakes“ in Großbritannien, Swiss Re die Swiss Re International.

Die Münchener Rück will mit ihrer Initiative aber über die kleine Zahl der Großkonzerne hinausgehen und mittelgroße Industrie- und Gewerbebetriebe direkt bedienen. Als Vertriebsweg nutzt sie dafür Zeichnungsagenturen, die sogenannten Managing General Agents (MGA). Das sind Versicherungsunternehmen, die alles tun, was andere Versicherer auch tun – den Vertrieb über Makler organisieren, Risiken abschätzen, Verträge ausstellen, Schäden bearbeiten – aber selbst kein Risiko tragen.

Das MGA-System ist umstritten. In der Vergangenheit haben sich mehrfach Versicherer in den USA und in Großbritannien die Finger daran verbrannt, weil sie die Vollmacht, Geschäft und damit Risiken zu akzeptieren, abgaben. Die Folge: Bei raschen Umschlägen im Markt reagierten die MGAs nicht schnell genug durch Rückzug und zeichneten hoch verlustbringendes Geschäft.

Die Münchener Rück sieht das Problem. Die enge Kontrolle sei entscheidend, sagt Vorstand Jeworrek. „Wir haben direkten Einfluss auf Risikoauswahl, Preisgestaltung und Kapazität.“ Um einen direkten Kontakt in dieses Marktsegment zu halten, hat das Unternehmen Anfang Mai 2007 den Londoner Dienstleister Bell & Clements gekauft. Bisher gehörte das 1983 gegründete Unternehmen Privatleuten, darunter dem Management und Belegschaftsmitgliedern. Die Firma ist in London und im US-Bundesstaat Virginia als MGA aktiv. Bell & Clements betreut ein Prämienvolumen von rund 300 Mio. $ jährlich.

Zitat:

“ „Wir beginnen die Vermarktung bei langjährigen Kunden“ “ – Torsten Jeworrek, Vorstand Münchener Rück –

Bild(er):

In der Myvatn-Region im Norden Islands erstreckt sich mit der Krafla ein Vulkansystem von 25 Kilometern Durchmesser. Der Krafla brach 1984 zuletzt aus – Corbis/Bob Krist

Quelle: Financial Times Deutschland

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