Ob Anlagenbauer, Chemiefabrik oder Friseur – alle Unternehmen müssen ab dem kommenden Herbst Schäden sanieren, die sie der Natur zufügen. Die Assekuranz entwickelt spezielle Verträge, die wohl keine komplette Deckung geben werden dsfgsd fs
Die Giftwolke verlässt das Werk bei Köln und löst sich in der Hangelarer Heide bei Sankt Augustin auf. Das ist für die dort lebenden Kreuzkröten zu viel. Sie sterben. Naturschutzverbände alarmieren die Behörden. Die verpflichten das Unternehmen, neue Kreuzkröten in dem Gebiet anzusiedeln. Jetzt hat das Unternehmen nicht nur ein finanzielles Problem. Denn freikaufen kann es sich nicht. Kann die Firma keine neuen Kreuzkröten bekommen, muss sie die Natur in anderer Weise sanieren.
So ein Szenario mag bizarr erscheinen, kann aber bald Wirklichkeit sein. Im November tritt die EU-Umwelthaftungsrichtlinie in Deutschland in Kraft. Dann müssen Unternehmen, Landwirte und Selbstständige für Schäden haften, die sie der Biodiversität ihrer Umgebung zufügen – der Vielfalt von Pflanzen- und Tierarten und ihrer Lebensräume. Das ist eine völlig neue öffentlich-rechtliche Haftung für Unternehmen und Gewerbetreibende. Bisherige Versicherungspolicen zur Umwelthaftpflicht decken dieses Risiko nicht. Sie umfassen nur Ansprüche von Personen, die einen Sachschaden oder gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten haben.
Die Assekuranz wird die Lücke mit speziellen Deckungen füllen. Anfang Mai hat der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) Musterbedingungen für die Branche vorgelegt. „Darin ist die Deckung nur sehr eingeschränkt“, sagt Reinhard Riehl vom Versicherungsmakler Südvers. Denn nach den Musterbedingungen regulieren Anbieter nur Schäden, die plötzlich und unfallartig auftreten. Der Normalbetrieb ist nicht versichert. Haften muss ein Unternehmen aber auch, wenn die Natur durch den Normalbetrieb leidet. „In dem Moment, in dem Haftungsanspruch und Deckung nicht kongruent sind, hat der Versicherungsnehmer ein Problem“, sagt Riehl. Es dürfte zum Beispiel schwer abzugrenzen sein, ob ein Schaden durch Summation von Ereignissen im Normalbetrieb oder durch einen Störfall entsteht, fürchtet er.
Der GDV sieht dieses Problem nicht. „Den Normalfall zu versichern widerspricht dem Gedanken der Versicherung“, sagt Katrin Rüter de Escobar vom GDV. „Das Risiko ist der Fall, den man nicht will. Den kann man versicherungstechnisch darstellen, den Normalfall nicht.“
Die Veröffentlichung der Musterbedingungen ist ein Startschuss für den Markt. Der deutsche Ableger des Bermuda-Versicherers ACE zum Beispiel entwickelt zurzeit entsprechende Vertragsbedingungen. „Wir überlegen, ob wir über die Musterbedingungen hinausgehen“, sagt Detlef Behrens, Leiter des Bereichs Haftpflicht bei ACE. Auch er hält es für problematisch, wenn Haftung und Deckung nicht übereinstimmen. „Das ist für den Kunden unbefriedigend“, sagt er. Noch habe sein Haus nicht entschieden, ob es ausschließlich Störfälle oder auch den Normalbetrieb versichern wird. Es gebe zu dieser Frage unterschiedliche Auffassungen im Haus, sagte er.
Die zum Hannoveraner Talanx-Konzern gehörende Gesellschaft HDI Industrieversicherung, die in diesem Jahr die Industriesparten von Gerling integriert, verkauft bereits Policen für die neuen Haftungsgefahren. HDI hat langjährige Erfahrungen in der Deckung von Umweltschäden, etwa bei der Altlastensanierung. Für die Versicherung von Schäden an der Biodiversität hat das Unternehmen in Zusammenarbeit mit Geobotanikern ein Modell zur Risikobewertung und Schadenregulierung entwickelt.
Denn für die Risikoeinschätzung ist nicht nur der Zustand zum Beispiel einer Produktionsanlage wichtig. „Wir müssen auch die natürliche Umgebung des Unternehmens mit den geschützten Arten und Lebensräumen betrachten“, sagt Hans-Georg Neumann, Leiter Industriehaftpflicht bei HDI. „Befindet sich in der Nachbarschaft ein Buchenwald, ist der Schaden im Ernstfall vermutlich geringer als bei einem angrenzenden Moor oder Gewässer.“ Denn Moore sind weitaus empfindlicher und schwerer zu sanieren als Buchenwälder. „Im Schadenfall muss festgestellt werden, was das Unternehmen überhaupt entschädigen muss und welches dafür die geeigneten Maßnahmen sind“, sagt Neumann. Deshalb sind eine umfangreiche Risikoanalyse und die Beratung des Unternehmens sehr wichtig.
Kunden müssen bei HDI und Gerling allerdings mit einer Deckungslücke rechnen, denn versichert werden nur Schäden, die durch die Abweichung vom Normalfall entstehen. Bei Arbeiten auf fremden Grundstücken gelten allerdings besondere Konditionen, ebenso bei Produktrisiken. Preise will Neumann nicht nennen. Sie hingen vom individuellen Risiko ab, sagt er.
„Wahrscheinlich werden die Versicherer wie immer bei neuen Haftpflichtarten mit den Preisen hoch einsteigen“, glaubt Versicherungsmakler Riehl. Er erwartet, dass alle Kompositversicherer diese Verträge anbieten werden, und rät zur Gelassenheit. „Kunden sollten erst einmal abwarten, wie sich der Markt entwickelt.“
Zitat:
“ „Kunden sollten abwarten, wie sich der Markt entwickelt“ “ – Reinhard Riehl,Versicherungsmakler –
Bild(er):
Im David A. Johnston Cascades Volcano Observatoryüberwacht ein Seismograf die Aktivitäten des Lavadoms im Krater des Mount St. Helens im US-Bundesstaat Washington – Laif/Imke Lass
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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