Panik und Aufruhr bei Versicherern · Verkauf stark eingebrochen · Branche will mit Sonderaktionen den Markt beruhigen
Den Versicherern macht ein Urteil des Landesarbeitsgerichts München zur Haftung des Arbeitgebers in der betrieblichen Altersversorgung schwer zu schaffen. Danach müssen Unternehmen die Lücke füllen, wenn Arbeitnehmer einen Vertrag für eine Betriebsrente frühzeitig kündigen und vom Versicherer weniger Geld zurückbekommen als sie an Beiträgen gezahlt haben. Mit Haftungsfreistellungen versuchen Versicherer für Beruhigung im Markt zu sorgen. Sie übernehmen mögliche Ansprüche gegen Arbeitgeber. Versicherungsmakler berichten, dass der Verkauf stark eingebrochen ist.
Geklagt hatte eine Angestellte, die Beiträge aus ihrem Gehalt in eine Unterstützungskasse zahlte, eine der klassischen Formen der betrieblichen Altersversorgung. Von ihrem Grundgehalt von 2000 Euro im Monat flossen über mehr als drei Jahre insgesamt 6230 Euro in den Vertrag. Nach Verlassen des Unternehmens sollte sie davon nur 639 Euro vom Versicherer zurückbekommen. Das Gericht verurteilte den ehemaligen Arbeitgeber, den Differenzbetrag zu zahlen. Nach Auffassung der Richter muss dem Kunden nach der Kündigung des Vertrags so viel Geld zustehen wie er gezahlt hat – oder aber der Arbeitgeber zahlt die Differenz. Sie kommt vor allem aufgrund der Abschlussprovision für den Vermittler zustande, die der Kunde mit den ersten Beiträgen entrichtet. Auch wenn Beschäftigte schriftlich über diese Tatsache aufgeklärt werden, hafte der Arbeitgeber, so die Richter.
Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, das beklagte Unternehmen hat Revision eingelegt. Trotzdem sind die Arbeitgeber alarmiert. „Die Arbeitgeber haben in ihren Publikationen von dem Urteil erfahren und sind verunsichert“, sagt Hans Heinrich Melchiors, Vorstand für betriebliche Altersversorgung bei der Volksfürsorge, einer Tochter des Konzerns AMB Generali. Es gebe viele Anfragen bei den Vermittlern. „Sie müssen mehr Überzeugungsarbeit leisten und mehr argumentieren.“ Auf die Abschlusszahlen habe sich das nicht ausgewirkt. Allerdings werden Verträge für Betriebsrenten ohnehin traditionell vor allem in der zweiten Jahreshälfte gut verkauft, das gilt besonders für das Großgeschäft etwa mit Konzernen.
Die Versicherer setzen darauf, dass das Urteil in der Revision kassiert wird. Selbst wenn das nicht der Fall wäre, müsse man zwischen Einzelfall und Allgemeinheit unterscheiden, sagte Melchiors. „Aber eine Entwarnung könnte ich pauschal auch nicht geben“, räumt er ein. Jeder Vertrag sei anders gelagert. Bei den aktuellen Verträgen der Volksfürsorge gebe es für den Arbeitgeber keine Haftungsprobleme, versicherte Melchior. Schriftlich bekommen die Unternehmen das allerdings nicht.
Andere Anbieter haben mit Haftungsfreistellungserklärungen für Arbeitgeber auf das Urteil reagiert. „Wir haben diese Erklärung abgegeben, um für Beruhigung bei Arbeitgebern und Maklern zu sorgen“, sagt Peter Seng, Leiter Zentralbereich Betriebliche Altersversorgung bei der Alten Leipziger, einem der großen Anbieter in diesem Segment. „Wir glauben nicht, dass das Urteil Bestand haben wird.“
Auch Swiss Life hat so eine Erklärung abgegeben. „Die Unsicherheit im Markt ist greifbar“, sagt Siegfried Singer, Fachmann für betriebliche Altersversorgung bei Swiss Life. Alle großen Anbieter von Betriebsrenten spüren die Verunsicherung. „Man muss Aufklärungsarbeit leisten“, sagt ein Sprecherin der Versicherungskammer Bayern. Das Unternehmen hat noch nicht entschieden, ob es eine Haftungsfreistellungserklärung abgibt. Auch Marktführer Allianz Leben prüft noch. „Wir stellen eine Verschiebung zu Verträgen fest, bei denen die Abschlusskosten auf fünf Jahre verteilt sind“, so eine Sprecherin. Das wahrscheinlich am 1. Januar 2008 in Kraft tretende Versicherungsvertragsgesetz, das zur Zeit in der parlamentarischen Beratung ist, wird voraussichtlich die Streckung der Abschlusskosten auf mindestens fünf Jahre vorsehen. Dann dürfen die Versicherer in der Lebensversicherung, wozu die betriebliche Altersversorgung gehört, keine Tarife mit Vorabprovisionierung mehr verkaufen.
Die zur Münchener Rück gehörenden Ergo-Versicherer, unter anderem Hamburg-Mannheimer und Victoria, entscheiden in dieser Woche, ob sie Haftungsfreistellungserklärungen abgeben werden. Auch die HDI Gerling Lebensversicherung prüft eine entsprechende Erklärung. „Wenn andere das machen, verlangt der Markt danach“, sagt eine Sprecherin.
Die Unternehmen bestreiten, dass sich das Urteil auf die Abschlusszahlen ausgewirkt hat. Versicherungsmakler sehen das anders. „Die Unternehmen haben Einbrüche bis zu 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr“, berichtet Peter Köhler, Vorstandsmitglied des Verbands Deutscher Versicherungsmakler. „Maklerkollegen sagen, dass das Geschäft mehr oder weniger tot ist.“ Versicherer würden Einbrüche im Verkauf nicht zugeben, weil sie fürchten, damit eine Abwärtsspirale in Gang zu setzen. Die Branche versuche mit Sonderaktionen den Verkauf anzukurbeln, etwa in Form von Boni und Courtage-Erhöhungen. „Solange das Urteil nicht kassiert ist, wird die Verunsicherung im Markt sehr groß bleiben“, so Köhler.
Zitat:
„Maklerkollegen sagen, dass das Geschäft mehr oder weniger tot ist“ – Peter Köhler, Verband Deutscher Versicherungsmakler –
Bild(er):
Eine Werkstatt des Essener Stahlunternehmens Krupp im Jahr 1900: Der Gründer Alfred Krupp unterstützte die Rente seiner Arbeiter seit Mitte des 19. Jahrhunderts mit einer Pensionskasse – ein damals unerhörtes Privileg für die Beschäftigten, denn eine gesetzliche Rentenversicherung wurde erst 1889 beschlossen – dpa
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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