Nordrhein-Westfalen kann zwar wirtschaftliche Stärke vorweisen, doch beim Aufbau von Zukunftsbranchen tat das Land sich bislang schwer. Fördermittel und die Verzahnung mit der Forschung sollen Innovationen den Boden bereiten dsfgsd fs
VON Patrick Hagen Die Sprengung verlief nicht planmäßig: Nachdem Sprengmeister Hermann Havekost am 28. Oktober 2007 den Zünder ausgelöst hatte, landete einer der beiden 165 Meter hohen und 4000 Tonnen schweren Türme der ehemaligen Kokerei Kaiserstuhl in Dortmund in einem alten Gebäudeteil – ein trauriges Ende für ein ehemaliges Prestigeobjekt.
Als die RAG, heute Evonik Industries, 1992 die Kokerei Kaiserstuhl baute, um den Brennstoff für die Hochöfen der Westfalenhütte von ThyssenKrupp zu liefern, war sie die modernste Kokerei Europas. Doch sinkende Stahlpreise bedeuteten das Ende der Westfalenhütte, und nach nur acht Jahren war im Kaiserstuhl Schluss. 2002 wurde die Kokerei nach China verkauft. Der dann einsetzende Stahlboom und steigende Preise für Importkoks wiesen die Entscheidung schnell als Fehler aus.
Das Schicksal der Kaiserstuhl-Kokerei zeigt, wie mühsam sich der Strukturwandel im ehemaligen Kohlenpott vollzieht. Nach jahrzehntelangen Diskussionen naht nun das Ende der subventionierten Steinkohleförderung. 2018 soll Schluss sein mit dem Bergbau an Ruhr, Emscher und Lippe. Damit endet eine industriepolitische Epoche.
Noch immer schlägt in Nordrhein-Westfalen aber das industrielle Herz Deutschlands. Doch das Land hat mehr zu bieten: 70 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten heute im Dienstleistungssektor. 19 der 50 umsatzstärksten deutschen Unternehmen haben ihren Sitz in NRW, darunter der Energieriese RWE, die Deutsche Post, der Chemiekonzern Bayer und das Medienhaus Bertelsmann.
Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 501,7 Mrd. Euro im Jahr 2006 liegt NRW fast auf Augenhöhe mit den Niederlanden, als eigenständiger Staat stünde das Bundesland auf Rang 17 weltweit. Auch bei ausländischen Investoren ist es beliebt. Mit 27,3 Prozent hat das Land den höchsten Anteil aller Bundesländer an den direkten Investitionen aus dem Ausland.
Mit Jürgen Rüttgers (CDU) ist inzwischen ein Kohlegegner Ministerpräsident. Rauchende Schlote und Reviertristesse passen nicht in das Land der Innovationen, das er und Forschungsminister Andreas Pinkwart (FDP) aus NRW machen wollen. „Bis 2015 wollen wir das Innovationsland Nummer eins sein“, sagt der Sprecher des Ministeriums für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie, André Zimmermann.
Der Weg ist weit. Bernhard Lagemann vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen sieht bei Forschung und Entwicklung Nachholbedarf. Das RWI hat zusammen mit dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft im vergangenen Jahr im Auftrag der Landesregierung einen Innovationsbericht für NRW erstellt. Das Ergebnis: „Wir hinken den süddeutschen Ländern noch in fast allen Feldern hinterher“, sagt Lagemann.
Investitionen in Biotech
2006 hat die Landesregierung eine Innovationsoffensive gestartet. Sie fördert die Entwicklung von Spitzentechnologie in den Schwerpunkten Biotechnologie, Medizintechnik, Forschung im Bereich neue Werkstoffe und Energie.
Um sein Ziel zu erreichen, setzt Minister Pinkwart vor allem auf eine bessere Verzahnung von Hochschulen und Wirtschaft. Ein Vorzeigeobjekt dafür steht in Marl. Die Degussa, die zu Evonik Industries gehört, hat hier ihr Science-to-Business-Center Bio angesiedelt. In dem Labor sollen neue Oberflächenbeschichtungen und pharmazeutische Grundstoffe auf Basis nachwachsender Rohstoffe wie Raps, Soja oder Kartoffeln entwickelt werden. Degussa investiert in den nächsten fünf Jahren 50 Mio. Euro in das Zentrum. Weitere 12 Mio. Euro steuert das Land aus EU-Mitteln bei, 7 Mio. Euro kommen vom Bund.
Die industrielle Biotechnologie ist in NRW besonders erfolgreich. Im Sommer hat ein Zusammenschluss von Unternehmen, Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen eine Ausschreibung für 20 Mio. Euro an Fördermitteln gewonnen. Allerdings ist die Biotechnologie bislang eine kleine Branche, auch in NRW. Deutschlandweit kamen die Biotechunternehmen 2006 auf einen Umsatz von gerade mal 945 Mio. Euro. Zum Vergleich: Die größte Branche in NRW, die chemische Industrie, erzielte einen Umsatz von 52,7 Mrd.Euro.
Ein weiteres Pferd, auf das die Politik für die Zukunft setzt, ist die Nano- und Mikrotechnologie. Auf dem Euro-Nano-Forum im Sommer in Düsseldorf kündigte Pinkwart an, in den kommenden fünf Jahren voraussichtlich 100 Mio. Euro Fördergelder bereitstellen zu können.
Die Wirtschaft betrachtet die schwarz-gelbe Landesregierung, die vor zwei Jahren 39 Jahre SPD-Vorherrschaft beendete, mit Wohlwollen. „Seit dem Machtwechsel ist die Zufriedenheit der Unternehmen sprunghaft gestiegen“, sagt Peter Englisch von der Unternehmensberatung Ernst & Young, die für eine Studie zur Stimmung im Mittelstand 3000 Unternehmen befragt hat. Auch Luitwin Mallmann, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands der Metall- und Elektroindustrie in NRW, begrüßt die Initiative der Regierung. „Eine Innovationsallianz aus Hochschulen und Wirtschaft zu schaffen ist genau richtig“, sagt er.
Zitat:
“ „Wir hinken den süddeutschen Ländern noch in fast allen Feldern hinterher“ “ – Bernhard Lagemann, RWI –
Bild(er):
Rasterkraftmikroskop im Centech, einem Zentrum für Nanotechnologie in Münster. Diese Mikroskopie war die Initialzündung für die Nanotechnologie. Die Centech-Forscher versuchen, das Mikroskop in Flüssigkeiten und an der Luft anwendbar zu machen – Laif/Dirk Kruell; ddp/Henning Kaiser
Quelle: Financial Times Deutschland
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