Bisher hat Torsten Oletzky eine Bilderbuchkarriere hingelegt. Am Dienstag wird er mit 41 Jahren Chef des zweitgrößten deutschen Versicherungskonzerns Ergo. Die Erwartungen an den Manager sind groß – genauso wie die Befürchtungen im Unternehmen
von Herbert Fromme, Düsseldorf Wer wie Torsten Oletzky seit 35 Jahren den 1. FC Köln liebt, muss leiden können. In den 70er-Jahren wurde der Verein einmal gleichzeitig deutscher Fußballmeister und Pokalsieger, in den 90ern spielte er immerhin noch im Uefa-Cup. Kurz danach begannen finstere Zeiten: Seit 1998 kicken die Geißböcke, abgesehen von einem kurzen Zwischenspiel, in der zweiten Liga. So oft er kann, verfolgt er mit seiner Frau die FC-Spiele im Kölner Stadion, von ihrem Haus in Junkersdorf können sie es bequem zu Fuß erreichen. Zuletzt kamen die Dauerkarten am 17. Dezember zum Einsatz, der Abend verlief erfreulich: Der FC gewann das Montagsspiel und überwintert jetzt auf einem Aufstiegsplatz. „Klar steigt der FC auf“, sagt Oletzky. „Das würde ich aber immer sagen, egal wie die spielen.“
Künftig wird sich Oletzky, den sein Vater bereits vor 30 Jahren ins Stadion mitnahm, nur noch seltener mit eigenen Augen davon überzeugen können, ob es für die Geißböcke zum Aufstieg reicht. Am Dienstag wird der 41-Jährige Vorstandsvorsitzender des zweitgrößten deutschen Versicherungskonzerns Ergo. Geradliniger kann eine Karriere kaum verlaufen.
Allüren sind dem Fußballnarr fremd – trotz seines steilen Aufstiegs. Oletzky fällt es leicht, Gesprächspartner für sich zu gewinnen. Man kann sich gut vorstellen, mit dem großen, schlanken Mann ein Bier zu trinken und sich dabei nicht zu langweilen.
Er spricht ruhig, weicht nicht aus, wirkt bescheiden. Prahlen liegt ihm fern. Beispiel Marathonlauf. Als Schüler sei er sportlich ziemlich unbegabt gewesen, erinnert sich Oletzky. Als Inlineskaten aufkam, habe sich seine Kölner Clique „aus einer Kneipenlaune“ heraus verabredet, den Marathon 1999 auf Inlineskates mitzulaufen. „Seither treibe ich Sport, wenn ich kann, drei- bis viermal die Woche eine Stunde vor der Arbeit.“ Dass er seither acht Marathonläufe bewältigt hat – darunter Köln, Berlin, New York, London, Wien und Stockholm – erwähnt er nicht. Das erzählen Freunde, die dabei waren.
Bei aller Sympathie, die ihm entgegenschlägt – die Führungsaufgabe bei Ergo wird für ihn zum entscheidenden Härtetest. Das sehen auch Kollegen so. „Das ist ein sehr schwerer Job“, sagt ein Versicherungsmanager, der seit sieben Jahren mit ihm zusammenarbeitet. Der Ergo-Konzern gehört der Münchener Rück, weltweit die Nummer zwei unter den Großhändlern des Risikoschutzes. Bei Ergo hat sie einen großen Teil ihres Versicherungsgeschäfts mit Endkunden gebündelt. Dazu gehören die Hamburg-Mannheimer in Hamburg, Victoria in Düsseldorf, DKV in Köln und DAS in München.
Münchener Rück und Tochter Ergo liefern hohe Gewinne ab, bei der Münchener Rück sollen es 2007 rund 3,8 Mrd. Euro sein. Auch der Düsseldorfer Tochter geht es wirtschaftlich nicht schlecht. Trotz der Rekordzahlen ist Münchener-Rück-Chef Nikolaus von Bomhard unter Druck. Der Markt für sein Kerngeschäft hat sich gedreht, nach fünf sehr starken Jahren gehen die Preise in den Keller. Der Aktienkurs verläuft enttäuschend. Anleger und Analysten machen Druck. Eine Option für die Münchener Rück, von einigen Analysten vehement gefordert, ist der Verkauf von Ergo. Getrennt, so die Logik, seien die beiden mehr wert als unter einem Dach. Von Bomhard hat Oletzky den klaren Auftrag gegeben, das zu widerlegen.
Angst vor der „Kettensäge“
Im 26. Stock des Düsseldorfer Ergo-Turms löst der Neue Lothar Meyer ab, der mit 65 Jahren in den Ruhestand geht. Die Herausforderung ist gewaltig: „Nachdem wir vieles gut zusammengebracht haben und auch gutes Geld verdient haben, müssen wir jetzt das Profitabilitätsniveau halten und trotzdem das Wachstum stärker voranbringen“, sagt Oletzky. Bis 2012, so der Auftrag aus München, sollen die Kosten spürbar gesenkt werden. Ergo soll zudem keine weiteren Marktanteile verlieren, die oft rivalisierenden Gruppen im Konzern müssen besser integriert werden. Und im Ausland soll sich Ergo stärker engagieren.
Dass erhebliche Unruhe herrscht, zeigen die jüngsten Personalentscheidungen. Binnen zwei Monaten mussten drei wichtige Vorstände gehen, Lebensvorstand Kurt Wolfsdorf wegen „erheblicher Differenzen“ über die Geschäftspolitik, Sachvorstand Michael Rosenberg und Personalchef Michael Thiemermann wegen eines wieder hochgekommenen Miniskandals aus dem Jahr 1999. „Kettensägen-Torsten“ nennen ihn einige Mitarbeiter, weil er so vielen den Stuhl absäge. Andere freuen sich über den frischen Wind für das branchentypisch etwas verstaubt wirkende Unternehmen.
Während Konkurrenten und Beobachtern vor allem Schwächen bei Ergo auffallen, sieht Oletzky den Konzern in einem „sehr guten“ Zustand. „Natürlich hat die Integration bei uns geholpert, aber das holpert auch bei anderen.“ Nur wer keine Integrationsschritte in einem Konzern mache, könne Ruhe erwarten. „Aber ist das eine echte Alternative?“
Probleme damit, dass er deutlich jünger als die meisten seiner Vorstandskollegen und leitenden Angestellten ist, hat Oletzky nicht. „Als ich zur Hamburg-Mannheimer gekommen bin, war kein Hauptabteilungsleiter jünger als 55, und ich war 33. Da habe ich mir echt Gedanken gemacht, ob das gut gehen kann.“ Schließlich kam er von McKinsey, wo kaum jemand älter als 33 war. „Ich habe dann festgestellt, dass das Alter zumindest auf der Führungsebene keine Rolle spielt.“ Oletzky sei „unglaublich wach“, sagt ein Kollege. „Der lässt niemanden mit halbgaren Lösungen durch die Tür.“ Und so muss er lernen, sich auf Kompromisse einzulassen. „Man kann seine Auffassungen nicht immer so radikal durchsetzen, auch wenn sie richtig sind“, sagt der Kollege.
Dass Oletzky einmal so durchstarten würde, konnte in seiner Jugend niemand ahnen. Sie verläuft ziemlich durchschnittlich. Geboren wird er in Köln-Mülheim, den größten Teil der Jugend verlebt er in Lechenich, heute ein Stadtteil von Erftstadt, 27 Kilometer vom Stadtzentrum Kölns entfernt. Der Vater ist damals Diplom-Handelslehrer und jahrzehntelang Ausbildungsleiter bei der Stadtsparkasse Köln, die Mutter Chemielaborantin. Oletzky lernt seine Frau im Heimatort kennen, „1989 an Weiberfastnacht in Lechenich“.
Da hat er schon eine Lehre zum Industriekaufmann bei KHD in Köln hinter sich. „Ich wollte nicht von der Schule gleich in eine theoretische Ausbildung gehen.“ Der Vater hätte ihn gern bei einer Bank gesehen. „Ich fand das viel spannender, dass es da reale Dinge wie Motoren und Traktoren gab, die man anfassen konnte.“ Oletzky macht Zivildienst bei der Caritas, organisiert Essen auf Rädern, hört die Kölner Mundart-Rockgruppe BAP und nimmt an Friedensdemonstrationen gegen den Nato-Doppelbeschluss teil. Einige Jahre engagiert er sich bei den Jusos, noch heute hat er ein SPD-Parteibuch. „Das ist fast ein Stück Sentimentalität“, sagt er. Auch wenn er sich mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Partei schwertut.
Bier statt Champagner, Jeans statt Armani
Ab 1989 studiert er Betriebswirtschaft in Saarbrücken, wo seine Freundin – und spätere Frau – eine Ausbildung macht. Zwei Semester verbringt er an der University of Michigan in den USA. Nach dem Examen heuert er 1993 bei der Unternehmensberatung McKinsey an. „Das war anstrengend, aber ein extrem angenehmes Umfeld“, sagt Oletzky. Er arbeitet für Banken und Versicherungen, einmal auch für Hotels. Einen Auftrag erledigte er sogar ohne jede Entlohnung – zusammen mit vier anderen fußballverrückten McKinsey-Leuten berät er 1998 den FC-Köln-Präsidenten Albert Caspers. Nebenbei schreibt er seine Doktorarbeit.
Sechs Monate verbringt Oletzky für McKinsey in Istanbul. Wenn er in der Türkei ist, freut er sich noch heute, Geldautomaten einer bestimmten Bank zu sehen. „Wir haben denen damals gesagt, sie könnten damit ohne große Infrastrukturkosten aus dem Gewerbebereich in den Privatkundenmarkt eindringen.“ Das Rezept geht auf. Bei McKinsey habe er gelernt, komplexe Probleme analytisch zu zerlegen, sagt er. „Das hilft in komplizierten Unternehmenssituationen, Probleme besser zu sortieren.“
2000 holte ihn Hamburg-MannheimerChef Götz Wricke nach Hamburg – zunächst als Leiter seines Stabs. Ein Jahr später wird Oletzky mit gerade einmal 34 zum Vorstand berufen. Bald wird die Führung der Obergesellschaft in München auf ihn aufmerksam, 2004 rückt er in den Ergo-Vorstand.
Dass er die Aufgaben, die vor ihm liegen, meistert, daran zweifelt Oletzky nicht. Und doch gibt er sich nicht verbissen. Seine Bezahlung im neuen Job – sie soll siebenstellig sein – sieht er auch als Garant seiner Unabhängigkeit. „Wenn wir an einen Punkt kämen, wo ich sage, es geht nicht, dann könnte ich gehen.“ Und sich einen alten Traum erfüllen: endlich einmal nach Bhutan zu fahren.
Wichtig ist dem Kölner, dass der berufliche Erfolg sein Privatleben bisher nicht aufgefressen habe. Darauf sei er stolz, sagt Oletzky. „Es gibt einige Dinge, die mir wichtiger sind als das, was hier im Büro passiert. Am Ende ist es mir wichtiger, was meine Frau und meine Freunde von mir halten als mein Aufsichtsratsvorsitzender oder Journalisten“, sagt Oletzky. „Wenn man das ernsthaft und konsequent lebt, muss man auch nicht abheben.“ Seinen Lebensstil will Oletzky nicht ändern. „Ich trinke nach wie vor lieber ein Kölsch als Champagner, gehe lieber in Jeans als in Armani raus.“
Zum Beispiel ins Stadion. Am 1. Februar spielt der 1. FC Köln wieder – gegen St. Pauli.
Bild(er):
Steiler Aufstieg: Bereits mit 34 Jahren rückte Torsten Oletzky in den Vorstand der Hamburg-Mannheimer, jetzt wird der bekennende FC-Köln-Fan Ergo-Vorstandsvorsitzender – Netzhaut/Dirk Hoppe
Quelle: Financial Times Deutschland
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