Wirtschaftsprüfer haben heute mehr Aufgaben, als die Bücher von Firmen zu kontrollieren. Sie beraten und begleiten Unternehmen
Die Arbeitsplätze bei einer der vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in Deutschland sind ungeheuer begehrt. Jeweils 30 000 Ehrgeizige wollten im vergangenen Jahr zu PricewaterhouseCoopers (PwC) und KPMG, 27 000 zu Ernst & Young, fast 18 000 zu Deloitte. Ein Job in einem der renommierten Unternehmen ist ein Karrieresprungbrett. „Zu uns kommt man, um seinen Marktwert zu steigern“, sagt Bernhard Riester, Personalverantwortlicher bei PwC.
Früher galten Wirtschaftsprüfer als Buchhalter mit Ärmelschonern, die sauertöpfisch die Bilanz von Unternehmen auf Richtigkeit kontrollieren. Kamen sie in die Firmen, zitterten die Mitarbeiter und hofften, dass die Prüfer bloß nichts finden. Diese Zeiten sind längst vorbei, auch wenn Aufgaben wie die Kontrolle der Bücher und die Testierung von Quartals- und Jahreszahlen nach wie vor zum Alltag der Gutachter gehörten.
„Es ist ein altes Vorurteil, dass Wirtschaftsprüfer sich auf das Thema Wirtschaftsprüfung beschränken“, sagt Riester. „Unser Dienstleistungsangebot ist riesengroß.“ Die Mitarbeiter unterstützen Unternehmen auf vielen Feldern. „Zeitgemäße Wirtschaftsprüfung besteht längst nicht mehr in der bloßen Prüfung der Rechnungslegung, sondern beinhaltet die langfristige Beobachtung von Branchen und Unternehmen“, sagt KPMG-Sprecher Thomas Blees. Ein breites Spektrum von Beratertätigkeiten ergänzt die klassischen Prüfaufgaben, etwa bei der Verbesserung von firmeninternen Kontrollsystemen oder bei Umstrukturierungen. Vor Übernahmen von Unternehmen oder Börsengängen nehmen Wirtschaftsprüfer die sogenannte Due Diligence vor, das ist die betriebswirtschaftliche Bewertung der zu untersuchenden Gesellschaft. Um Interessenkollisionen zu vermeiden, trennen die Wirtschaftsprüfer die Geschäftsfelder Prüfung und Beratung strikt voneinander.
PwC, KPMG, Ernst & Young und Deloitte sind die „Big Four“ der Branche. Sie haben Tausende von Mitarbeitern, die jährlich Hunderte von Millionen Euro Umsatz erwirtschaften. PwC kam
2007 in Deutschland auf einen Umsatz von 1,4 Mrd. Euro.
Immer mehr Unternehmen kaufen neben den klassischen die neuen Dienstleistungen ein. „Die Branche wächst“, sagt Udo Bohdal von Deloitte. Zu den neuen Aufgabenfeldern gehören die sogenannten Enterprise Risks Services. Dabei spüren die Wirtschaftsprüfer ergänzend zur internen Revision Unregelmäßigkeiten in Unternehmen auf. Ihr Ziel: Kriminelle Machenschaften frühzeitig aufzudecken, damit Korruptionsskandale wie bei Siemens vermieden werden können. Dazu lassen die Experten Algorithmen über Bilanzzahlen der Firmen laufen und prüfen Kostenstellen auf Plausibilität. Kommt ihnen etwas verdächtig vor, untersuchen sie den Fall eingehend. Außerdem schlagen sie dem Unternehmen Maßnahmen vor, mit denen es Unregelmäßigkeiten oder gar kriminelle Handlungen verhindern kann. „Das ist eine neue Rolle des Wirtschaftsprüfers“, sagt Bohdal. „Er diagnostiziert nicht nur, er ist auch präventiv tätig.“ Vorbeugende Maßnahmen können Trainings für beförderte Mitarbeiter sein, in denen Referenten das Bewusstsein für die Einhaltung von Regeln schärfen wie sie etwa der Corporate Governance Kodex für kapitalmarktorientierte Unternehmen vorgibt.
Die Big Four brauchen viele neue Mitstreiter. Deloitte stellt in diesem Jahr 900 neue Mitarbeiter ein, im vergangenen Jahr waren es 750. PwC wird in diesem Jahr 1500 Bewerber annehmen, Ernst & Young ebenso. KPMG hat im laufenden Geschäftsjahr, das im Oktober begonnen hat, in Deutschland bereits 1100 neue Kollegen angeheuert, im Geschäftsjahr 2006/2007 waren es 7850. Der große Bedarf ist allerdings nicht nur Ergebnis des Wachstums. Die jährliche Fluktuationsrate liegt im Schnitt bei 15 Prozent. Viele Mitarbeiter wechseln nach einigen Jahren Erfahrung die Seite und werden vom Kontrolleur oder Berater zum Manager.
Die Arbeit beim Wirtschaftsprüfer ist eine gute Vorbereitung für die ganz große Karriere. „Bei uns kann man ungeheuer viel lernen“, sagt Karen Hochrein von Ernst & Young. „Bewerber müssen deshalb Offenheit mitbringen und die Bereitschaft zu lernen.“ Wie bei allen Wirtschaftsprüfern kommen viele Neue über ein Praktikum zu Ernst & Young. „Wir haben 750 Praktikanten im Jahr“, sagt Hochrein. Bei einer Hospitanz im Unternehmen können sich beide Seiten kennenlernen.
Das Einstiegsgehalt für neue Mitarbeiter liegt im Schnitt bei etwa 40 000 Euro im Jahr. Aber die Bewerber lockt nicht in erster Linie das Geld, weiß Hochrein. „Das Einsatzgebiet ist viel wichtiger“, sagt sie. Wer bei einem der großen Gesellschaften länger arbeitet, hat es mit den ganz Großen der deutschen Wirtschaft zu tun.
Die „Big Four“ suchen vor allem Hochschulabsolventen mit einem Abschluss in Jura, Betriebs- oder Wirtschaftswissenschaft, Wirtschaftsmathematik oder Wirtschaftsingenieure. Aber gute Zeugnisse sind nicht alles. „Es kommt nicht allein auf die fachliche Qualifikation an, sondern zunehmend auf den Typ des Bewerbers“, sagt PwC-Mann Riester. Auch fachfremde Absolventen wie Geisteswissenschaftler haben eine Chance, wenn sie eine Affinität zu Zahlen und numerischer Intelligenz haben. Wie alle Einsteiger müssen sie Einsatz- und Lernbereitschaft mitbringen. PwC investiert viel in die Weiterbildung der Mitarbeiter. Das Unternehmen vereinbart mit den Angestellten individuelle Karriereziele. Dazu gehört ein weiterer Abschluss, etwa als Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater, wenn die formalen Voraussetzungen dafür gegeben sind.
Streber und Leidenschaftslose haben bei PwC schlechte Karten. „Wir wollen natürliche junge Leute, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen und mit Spaß bei der Sache sind“, sagt Riester.
Soziale Kompetenz ist mindestens so wichtig wie ein Hochschulabschluss. Bewerber müssen vor einem Auswahlgespräch einen „Self-Check“-Test machen. So will PwC erfahren, was für ein Persönlichkeitstyp sich vorstellt.
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Gleich geht’s los: Die Gegner stehen sich gegenüber. Wem wird es gelingen, den überdimensionalen Ball ins Tor zu schießen? Ungewöhnliche Aufgaben erfordern neue Strategien. Mit den althergebrachten Mitteln ist dieses Problem nicht zu lösen.
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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