Mit einem Bündel verschiedener Maßnahmen können Krankenhäuser diePatientensicherheiterhöhen. Immer mehr Kliniken erkennen, wie wichtig ein solches Engagement ist
VON Ilse Schlingensiepen Es ist Mittagszeit in der Kinderklinik, die meisten Mitarbeiter sind beim Essen. Einem kleinen Patienten geht es plötzlich sehr schlecht, er muss dringend medizinisch versorgt werden. Die Krankenschwester will einen Notruf absetzen, das Kind aber nicht allein lassen. Das muss sie aber, weil niemand sonst auf der Station ist. Die Frau berichtet von dem Vorfall anonym im Fehlermeldesystem. Die Konsequenz: Heute haben immer mindestens zwei Pfleger oder Schwestern gleichzeitig Dienst.
Die Kinderklinik war mit elf weiteren an einer Untersuchung zum Einsatz von „Critical Incident Reporting Systems“ (CIRS) beteiligt, um kritische Ereignisse und Beinaheschäden zu erheben. Die Analyse soll dazu beitragen, Risiken zu minimieren und die Patientensicherheit zu erhöhen. Organisatoren des Projekts waren der AOK-Bundesverband und das Institut für Gesundheits- und Medizinrecht der Universität Bremen.
„CIRS ist eine Methode der Risikoinformationssammlung“, sagt Jörg Lauterberg, Beratender Arzt beim AOK-Bundesverband und Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Aktionsbündnisses Patientensicherheit. Die gezielte Analyse von Schwachstellen hat in den Kinderkliniken dazu beigetragen, Fehlerquellen zu beseitigen. „Vieles fällt erst auf, wenn man systematisch von außen darauf blickt“, sagt Lauterberg.
Im Mittelpunkt stehen nicht die großen Zwischenfälle, die ohnehin auffallen, sondern Routineabläufe und eingespielte Standards. Die Auswertung von 1300 Fehlerberichten zeigte, dass mit einem Anteil von 35 Prozent der Schwerpunkt im Arzneimittelbereich liegt: Fehler bei der Verschreibung, Zubereitung oder Abgabe der Medikamente. „Sie werden von den Ärzten und den Patienten oft gar nicht bemerkt und erst durch CIRS aufgedeckt“, berichtet er.
Das Meldesystem ist nur ein Teil des Risikomanagements. Hinzu kommen etwa Analysen von Klagen nach Behandlungsfehlern und von Krankenakten sowie das Beschwerdemanagement, sagt der Arzt. „Es ist eine Sache der kleinen Schritte, die alle etwas in Bewegung bringen.“ Hier sei zwar noch viel zu tun, in den vergangenen Jahren aber schon einiges geschehen. In immer mehr Kliniken wachse das Bewusstsein, dass Risikomanagement notwendig ist.
„In der letzten Zeit ist viel passiert“, bestätigt Peter Gausmann, Teamleiter bei der Gesellschaft für Risikoberatung (GRB) in Detmold, die auf Krankenhäuser spezialisiert ist. In der Geburtshilfe habe es nach einer teuren Schadenwelle auf Druck der Versicherer viel Prävention gegeben, die Sicherheitsstandards seien höher geworden. „Hier gibt es eine sehr große Sensibilität für das Thema, die Schadenereignisse sind rückläufig.“
Nachholbedarf sieht Gausmann in den chirurgischen Fächern und der Inneren Medizin. Das Sicherheitsdenken sei zum Beispiel in gerontologischen Abteilungen – also denen für die Versorgung alter Patienten – oft noch nicht hoch genug. „Der Sturz ist in internistischen Abteilungen nach wie vor das häufigste Schadenereignis.“
Die GRB ist eine Tochter des Versicherungsmaklers Ecclesia. Zehn Berater sind unterwegs, um die Sicherheit in Kliniken zu analysieren und Handlungsempfehlungen zu entwickeln. „So wie die Kriminalpolizei auf Wunsch ein Privathaus auf Sicherheitslücken untersucht, tun wir das in den Krankenhäusern.“ In etwa der Hälfte der Fälle wird die GRB im Auftrag von Ecclesia tätig, bei 25 Prozent nehmen Haftpflichtversicherer ihre Dienste in Anspruch, um die Schadenhäufigkeit in den von ihnen versicherten Häusern zu verringern. „In einem Viertel der Fälle wenden sich die Kliniken direkt an uns, weil sie ein Sicherheitsmanko erkannt haben oder ihr Sicherheitsniveau extern beurteilen lassen wollen“, sagt er.
Die Mitarbeiter in den Kliniken sollten nicht nur Fehler und Beinahefehler analysieren, sondern sich auch permanent Gedanken machen, was passieren könnte. Die Kliniken der Managementgesellschaft katholischer Krankenhäuser der Region Osnabrück (MKO) testen etwa regelmäßig, ob die Alarmierungsvoraussetzungen für einen Notkaiserschnitt stimmen, bei dem jede Minute zählt. „Das zeigt ein ausgeprägtes Bewusstsein für Risikomanagement“, lobt der Experte.
In den MKO-Häusern wird wie bei einem Probealarm geprüft, ob die Funkgeräte einsatzfähig sind, mit denen Geburtshelfer, Anästhesisten und Hebammen in den Kreißsaal gerufen werden. „Man kann sich nicht darauf verlassen, dass die Geräte im Bedarfsfall funktionieren, deshalb testen wir sie unter Realbedingungen“, erklärt Thomas Lensing, bei MKO zuständig für Risiko- und Qualitätsmanagement. Ein Team aus Ärzten und Pflegern sucht regelmäßig Schwachstellen. „Wir beobachten gemeinsam, was man besser machen könnte“, sagt Lensing.
Neben der Geburtshilfe stehen dabei die Operationssäle, die Notaufnahme und die Arzneimittelversorgung im Fokus. „Es geht darum, die Sensibilität für Probleme zu schärfen und die Verantwortlichkeiten klar zu regeln.“ Bei den Mitarbeitern komme das in der Regel gut an, sagt Lensing. „Risikomanagement hat viel mit dem praktischen Alltag zu tun.“
Quelle: Financial Times Deutschland
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