Andrea Fiumicelli Der neue Chef von iSoft ist permanent auf Reisen – im Namendes Geschäfts. Nun will der Italiener die neue Software des Klinik-IT-Anbietersweltweit auf den Markt bringen Friederike Krieger
Der Händedruck ist so fest, dass es schmerzt. Andrea Fiumicelli steht auch im Ruf, ein zupackender Mensch zu sein. „Er ist keiner dieser Schnittchenesser, die auf Kongressen nur ihre Träume verkünden“, sagt Peter Reuschel, Chef des konkurrierenden E-Health-Unternehmens Intercomponentware. Fiumicelli realisiere seine Pläne, fügt er respektvoll hinzu.
Zupacken muss Fiumicelli auch in seinem neuen Job. Seit April dieses Jahres ist der 48-Jährige Chef des Kliniksoftwareherstellers iSoft. Rund 3800 Angestellte hören auf sein Kommando.
Fiumicelli hat die Leitung eines Unternehmens übernommen, das gerade eine heftige Krise durchlebt hat. Lieferschwierigkeiten bei der Software, die iSoft für das staatliche Gesundheitssystem in Großbritannien entwickeln sollte, führten 2006 zu herben Verlusten. Der damalige Chef John Weston musste einräumen, dass es iSoft an langfristiger Finanzierung fehlt. Die Übernahmeschlacht um das Unternehmen begann. Zunächst hatte sich die deutsche Compugroup für iSoft interessiert, wurde aber von dem australischen Konzern IBA Health überboten. Der legte schließlich 246 Mio. Euro für das britische Unternehmen hin.
Dass iSoft eine krisengeschüttelte Vergangenheit hat, macht Fiumicelli keine Angst. Im Gegenteil. „Ich mag Herausforderungen“, sagt er und lächelt zufrieden. In das schwarze Haar des Italieners haben sich schon einige graue Strähnen eingeschlichen. Er trägt eine dickrandige dunkle Brille und spricht mit starkem Akzent. Das macht seine Ausführungen nicht unbedingt verständlicher, bringt ihm aber andere Vorteile. „Er strahlt dadurch ein mediterranes Flair aus, das einen sehr positiven Eindruck hinterlässt“, sagt Branchenkollege Dominik Deimel, Geschäftsführer der Firma Com2health. „Er wirkt bodenständig und kann die Menschen schnell für sich einnehmen.“
Das hat auch den Chef des Neueigentümers IBA Health dazu bewegt, Fiumicelli zu iSoft zu holen. „Er ist äußerst charmant und sehr gut darin, Menschen zu motivieren und zu überreden“, sagt Gary Cohen. „Gleichzeitig verfügt er über viel Wissen und Erfahrung im Healthcare-IT-Sektor.“
Fiumicelli ist weit herumgekommen in seiner bisherigen Karriere. An der italienischen Mittelmeerküste, in Genua, hat er theoretische Physik studiert. Danach forschte er zwei Jahre auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz, unter anderem am Massachusetts Institute of Technology in den USA. „Ich mochte die theoretische Forschung, aber aus ökonomischen Gründen entschied ich mich, in die Industrie zu gehen“, erklärt Fiumicelli und lacht verlegen. Deshalb heuerte er 1986 beim Technologieunternehmen 3M an. „Ich habe eine typische 3M-Karriere gemacht: erst Forschung und Entwicklung, dann Marketing, dann Management“, sagt er. Zunächst war Fiumicelli dort im Bereich der digitalen Bildbearbeitung für die Druckindustrie tätig, 1994 wechselte er in die Healthcare-Abteilung. Bald war für ihn klar, dass er mit Healthcare-IT sein ideales Betätigungsfeld gefunden hat. „Ich gehe gern Risiken ein, um etwas Neues aufzubauen“, sagt Fiumicelli. Diesen Geist habe er auch in der Gesundheitssoftwarebranche gespürt, in der sich die Unternehmen ständig ein Rennen um neue Produkte liefern. 1996 ging Fiumicelli zu Imation, einem Spin-off von 3M, und leitete dort den Healthcare-Bereich.
Dass er in der Healthcare-Branche seine berufliche Heimat gefunden hat, wurde dem Italiener schmerzlich bewusst, als er sie kurzzeitig wieder verlassen hatte. Es ist selten, dass Fiumicelli das Lächeln einstellt. In der Erinnerung an die Zeit beim italienischen Telekommunikationsunternehmen Olivetti aber legt sich seine Stirn in Falten. 1998 wurde Fiumicelli bei Olivetti Marketingchef – aber nicht glücklich. Dabei konnte er für den Job sogar nach Italien zurück, nach Ivrea, Provinz Turin. Doch die Telekommunikation, sagt er, „ist eine kalte Branche“. Der Wettbewerb sei hart. Natürlich sei die Konkurrenz auch im Healthcare-IT-Bereich recht stark, „doch das geht nicht zulasten der Beziehungen untereinander“. Selbst nach einem Arbeitsplatzwechsel sei es möglich, ein freundschaftliches Verhältnis zu ehemaligen Kunden und zur Konkurrenz zu pflegen. Ein wichtiger Aspekt für einen Menschen wie Fiumicelli, den es nie lange an einem Ort hält. 2001 wechselte er zurück in sein Fach: Beim Unternehmen Ferrania baute er die Healthcare-Sparte auf.
2005 wurde er IT-Chef beim belgischen Konzern Agfa Healthcare. 2008 zog es ihn dann zu iSoft. „iSoft ist ein extrem dynamisches Unternehmen. Ich passe sehr gut in ein Umfeld, in dem sich die Gegebenheiten schnell ändern“, erklärt er. Bei iSoft gebe es keine Angst vor Veränderungen. „Andere Firmen in der Branche sind dagegen immer noch sehr konservativ und bringen nicht genug Mut für tief greifende Innovationen auf.“
Fiumicelli betont, dass diese Kritik sich nicht gegen Agfa richtet. Der Verdacht liegt nahe, denn das Unternehmen und er haben sich offenbar nicht ganz im Guten getrennt. Böse Zungen behaupten, Fiumicelli sei sich nicht grün gewesen mit Christian Reinaudo, dem Chef von Agfa Healthcare. Reinaudo trat sein Amt wenige Wochen an, bevor Fiumicelli das Unternehmen verließ. Darüber aber möchte der Italiener lieber nicht sprechen. „Ich rede nicht schlecht über ehemalige Arbeitgeber“, erklärt Fiumicelli und lächelt charmant.
„Er ist kein polarisierender Mensch. Er sucht immer den Ausgleich“, sagt Branchenkollege Deimel. Den Eindruck hat auch Peter Herrmann, Deutschlandchef von iSoft. Die beiden verstehen sich bestens. Früher sei es schwierig gewesen, mit Problemen zur Führungsspitze des Unternehmens vorzudringen, erzählt Herrmann. Die Zeit sei nun vorbei. „Fiumicelli ist offen, ansprechbar und immer telefonisch zu erreichen.“
Er verlangt sich selbst viel ab – und auch seinen Mitarbeitern. „Er arbeitet Tag und Nacht“, sagt Eric Maurincomme, der mit ihm zweieinhalb Jahre bei Agfa zusammengearbeitet hat. Zuweilen überfordere Fiumicelli seine Untergebenen. „Er kennt manchmal keine Grenzen“, sagt auch Philippe Houssiau, ehemaliger Chef von Agfa Healthcare. „Er hat eine Leidenschaft für Details und muss immer den Überblick behalten.“ Um die Kontrolle nicht zu verlieren, sei er ständig auf Reisen. „Ich musste ihn oft ermahnen, mehr auf seine Work-Life-Balance zu achten“, sagt Houssiau.
Auch für iSoft ist Fiumicelli ständig unterwegs. Seine Frau und die beiden Kinder hat er daher gar nicht erst mit nach Großbritannien genommen. Sie wohnen an der italienischen Riviera. Das Familienleben findet an den Wochenenden statt. „Ich verbringe nur rund 30 Prozent meiner Zeit in Großbritannien, den Rest bin ich auf Reisen, um die verschiedenen Projekte auf der ganzen Welt zu leiten“, sagt er. Ein Land fehlt zu Fiumicellis Bedauern auf der Reiseroute: iSoft ist nicht in den USA präsent. Dort hat sich der Kosmopolit besonders wohl gefühlt. Zwei Jahre lebte er in Minneapolis. „Der Himmel war das ganze Jahr über blau“, erinnert er sich. „Das hat mir ein Gefühl der Freiheit gegeben.“
Statt der amerikanischen Freiheit hat er jetzt Lorenzo. Lorenzo ist die neue Software von iSoft und einer der Hauptgründe, warum Fiumicelli zu dem Unternehmen gewechselt ist. „In den nächsten 24 Monaten wird es meine Aufgabe sein, Lorenzo weltweit in den Markt einzuführen“, erklärt er. Bisher gebe es nur spezielle Software für Arztpraxen oder für Krankenhäuser. Lorenzo soll für beide Seiten zugänglich sein. „Die neue Software sammelt Informationen wie Ultraschallbilder oder Laborergebnisse und ordnet sie um die Patienten herum an – statt sie beim Krankenhaus oder in der Arztpraxis zu sammeln, wie es die meisten herkömmlichen Anwendungen tun“, sagt Fiumicelli. Via Internet könnten alle an der Behandlung beteiligten Akteure auf die Daten zugreifen. Durch die Verschmelzung mit IBA Health verfüge iSoft über die erforderliche Finanzkraft. Im Geschäftsjahr 2007/2008 verzeichneten die beiden Unternehmen zusammen einen Umsatz von 361 Mio. $.
In seiner Freizeit widmet sich Fiumicelli gern den einfachen Dingen. „Ich liebe Gartenarbeit, fahre gern Fahrrad und lese sehr viel“, sagt er. Einen Lieblingsautor hat der Manager nicht. In den vergangenen Monaten bevorzugte er zeitgenössische US-Literatur, davor faszinierten ihn Bücher über Kosmologie. „Wenn etwas meine Aufmerksamkeit erregt, befasse ich mich einige Zeit mit dem Thema und orientiere mich dann neu“, sagt er. Privatmann und Geschäftsmann Fiumicelli ähneln sich da sehr.
Quelle: Financial Times Deutschland
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