Viele Firmen senden Mitarbeiter in Gebiete, in denen Ausländer häufig Opfervon Entführungen sind. Gut vorbereitet lassen sich die Gefahren mindern
VON Friederike Krieger
Es ist dunkel, als der Geschäftsführer des multinationalen Konzerns im bolivianischen La Paz sein Büro verlässt und zu seinem Auto geht. Plötzlich tauchen vier bewaffnete Männer auf. Sie wollen nicht seine Brieftasche, sie wollen ihn. Wenig später erhält die Ehefrau ein Schreiben. Die Entführer fordern 1,5 Mio. $ Lösegeld.
Der Manager hatte Glück. Nach 16 Tagen kam er zumindest körperlich unverletzt frei. Ob Südamerika, Naher Osten oder Osteuropa – in vielen Regionen sind Mitarbeiter im Auslandseinsatz von Kidnapping bedroht. In der Wirtschaftskrise können es sich viele Firmen nicht leisten, diese Gegenden zu meiden. „Die Bereitschaft der Unternehmen steigt, in Risikoregionen aktiv zu werden, weil sie im heimischen Umfeld nicht genügend Aufträge bekommen können“, sagt Walfried Sauer, Chef des Risikoberaters Result Group. Vor allem der Irak und Afghanistan locken wegen der hohen Subventionen. Deutsche Staatsangehörige sind begehrte Entführungsopfer, weil sie als wohlhabend gelten.
Wer sich in Länder mit hoher Entführungsgefahr wagt, sollte gut gewappnet sein. Dabei können Reisende und Unternehmen auf spezialisierte Berater zurückgreifen. Die Fachleute analysieren die Gefahrenlage im Zielland und geben den Führungskräften konkrete Tipps. Dazu gehören Hinweise, wie sie sich am besten kleiden sollten, um nicht aufzufallen oder welche Hotels, Fortbewegungsmittel oder Plätze sie unbedingt meiden sollten. „Es geht darum, die Wahrnehmung der Manager in Bezug auf mögliche Gefahren zu schärfen“, sagt Sauer.
Die Berater proben mit den Reisenden auch, wie diese sich im Falle eines Kidnappings am besten verhalten sollten. „Es ist wichtig, höflich zu bleiben und ein Vertrauensverhältnis zu den Entführern aufzubauen“, erklärt er. Haben sie zu ihrem Opfer eine Beziehung, fällt es den Menschenräubern schwerer, die Geisel zu töten.
Eine gute Vorbereitung kann im Ernstfall lebensrettend sein. In Mexiko hat sich in den vergangenen Jahren eine neue Art der Entführung etabliert, das sogenannte Expresskidnapping. Dabei suchen die Verbrecher ihr Opfer nicht akribisch aus, sondern bringen einfach einen beliebigen Ausländer in ihre Gewalt. Mit dem Verschleppten fahren sie Geldautomaten ab und zwingen ihn mit vorgehaltener Waffe, sein Konto zu plündern. „Vielen Leuten fällt ihre Pin nicht mehr ein, wenn man ihnen eine Pistole an die Schläfe hält“, sagt Sauer. Oft lassen die Täter den Geiseln keine Zeit, sich zu erinnern. Sie drücken einfach ab, wenn das Opfer nicht sofort spurt. Deshalb üben die Manager in den Trainings auch, sich unter Stress an die Zahlenkombinationen zu erinnern.
Nicht nur die Mitarbeiter, die in gefährdete Gebiete reisen, sollten Vorsorge treffen. Auch die Firmen müssen sich rüsten und Notfallpläne sowie einen Krisenstab für den Ernstfall vorbereiten. „Einige große Unternehmen haben bereits umfangreiche Systeme aufgebaut“, erklärt Sauer. Sie wissen, wie sie ihre Leute schnell finden, wenn sie von einer drohenden Gefahr erfahren. Mithilfe von Kreditkartendaten können sie Mitarbeiter orten und sie per SMS warnen.
Firmen sollten auch wissen, in welchen Ländern sie gefahrlos mit Behörden zusammenarbeiten können. „Vor allem in Südamerika und Asien gibt es viel Korruption“, sagt Sauer. So ist in Brasilien vor Kurzem der Leiter einer Entführungs-Taskforce festgenommen worden, weil er selbst in einen der Fälle verstrickt war.
Die Result Group arbeitet direkt für Unternehmen. Ihre Dienste werden aber auch von Versicherern in Anspruch genommen, die Lösegeldpolicen anbieten, die sogenannten Kidnapping & Ransom-Verträge (K&R). „Der Schwerpunkt bei den K&R-Versicherungen liegt nicht auf der Lösegeldzahlung, sondern auf Prävention und Krisenmanagement“, sagt Peter Geppert, Leiter Special Lines bei HDI-Gerling. Die Tochter des Hannoveraner Talanx-Konzerns ist einer der wenigen Versicherer in Deutschland, die auf diesem Feld aktiv sind. Weitere Anbieter sind Hiscox, AIG, Chubb und die Nassau.
Selbst wenn Firmen eine Police haben, müssen sie das Lösegeld zunächst vorstrecken. In erster Linie bezahlt HDI-Gerling den Krisenberater. Der soll vor allem verhindern, dass es überhaupt zu einer Entführung kommt, indem er Reisende und Unternehmen gründlich schult. Wird ein Mitarbeiter trotz aller Vorsicht gekidnappt, übernimmt der Krisenberater die Verhandlungen mit den Entführern. Der Experte dringt etwa auf ein Lebenszeichen. Wenn die Entführer den Angehörigen zum Beispiel ein abgeschnittenes Ohr schicken, beweist das noch lange nicht, dass das Opfer noch am Leben ist. Nur wenn die Kidnapper über persönliche Details wie den Geburtsort der Mutter des Opfers Bescheid wissen, ist ein eindeutiger Lebensbeweis erbracht.
Versicherungsmakler beobachten, dass immer mehr mittelständische Unternehmen K&R-Policen abschließen wollen. Firmen sollten dabei nicht nur ihre Manager im Blick haben, sondern auch Monteure im Auslandseinsatz, sagt Stefan Wolfert vom Makler Südvers. Sobald ein Unternehmen als kapitalkräftig gilt, machen die Entführer auch vor einfachen Angestellten nicht halt. „Von der Prämie her macht es kaum einen Unterschied, ob eine Firma nur fünf Vorstände oder alle Mitarbeiter versichert“, sagt er. Die Policen seien recht preiswert, weil die Schäden der Versicherer gering sind. „Die Krisenberater drücken die Lösegeldsumme in den Verhandlungen oft stark“, sagt Wolfert.
Quelle: Financial Times Deutschland
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