Bei speziellen Rentenversicherungen erhalten Kunden mit kurzerLebenserwartung mehr Geld
Krank zu sein ist beim Versicherungsabschluss normalerweise ein teures Manko. Private Kranken- oder Lebensversicherer wollen Zuschläge oder verweigern die Police. Bei sogenannten individualisierten Tarifen in der Rentenversicherung sieht das anders aus. Hier bekommt der schwer kranke Anleger mehr als der gesunde.
Der nach eigenen Angaben einzige deutsche Anbieter auf diesem Feld ist die Münchner LV 1871. Sie verkauft Rentenversicherungen gegen Einmalbeitrag, bei denen Kunden je nach Schwere der Krankheit, etwa bei Multipler Sklerose, bis zu 198 Prozent mehr Rente bekommen können als Gesunde: Zahlt ein 65-jähriger Mann 100 000 Euro in eine sofort beginnende Rentenversicherung, erhält er ohne Krankenbonus 574 Euro im Monat. Hat er eine Herzschwäche mit Komplikationen, kann er bis zu 918 Euro bekommen. Dass er gesundheitlich angeschlagen ist, muss er nachweisen. „Wenn der Kunde für diesen Tarif infrage kommt, ist er ohnehin in ärztlicher Behandlung“, sagt Gerhard Robe, Mathematikexperte in der Produktentwicklung bei der LV 1871.
Interessierte können dem Versicherer zunächst ohne Belege schildern, welche medizinischen Probleme sie haben. Sie erhalten dann eine unverbindliche Rentenberechnung. „Nicht alle Erkrankungen führen zu einer signifikanten Reduzierung der Lebenserwartung“, sagt Robe. Ein Bandscheibenvorfall etwa ist so gesehen harmlos. Bei Krebs, Parkinson, schwerem Diabetes, chronisch schwerer Atemnot oder Organtransplantationen ist die Wahrscheinlichkeit einer höheren Rentenzahlung dagegen groß.
Erscheint dem Kunden das unverbindliche Angebot interessant, entbindet er seinen Arzt von der Schweigepflicht. Dieser schickt dann dem Versicherer die erforderlichen Unterlagen. Die LV 1871 hat für die Prüfung eigene Mediziner. Sie berücksichtigen auch weitere Faktoren wie Rauchen oder Übergewicht. „In Ausnahmefällen veranlassen sie weitere Untersuchungen“, sagt Robe. Auf Grundlage der prognostizierten Lebenserwartung errechnen Versicherungsmathematiker die Rentenhöhe.
Die LV 1871 verkauft nicht nur die Rente gegen Einmalbeitrag mit dem Krankenbonus. Bei den Riester- und Rürup-Renten des Versicherers haben Kunden automatisch die Option, drei Monate vor Rentenbeginn den Tarif mit dem Krankenbonus zu wählen.
Wird aus dem übergewichtigen, rauchenden Diabetiker nach Festlegung der monatlichen Rente durch den Versicherer ein schlanker, ernährungsbewusster Nichtraucher mit wieder steigender Lebenserwartung, reduziert der Anbieter die Raten nicht. „Festgelegt ist festgelegt“, sagt Robe. Die Rentenhöhe kann aber sinken, wenn der Versicherer die Überschussbeteiligung reduziert. Von den 918 Euro, die der schwerstkranke Anleger für 100 000 Euro bekommt, sind nur 558 Euro garantiert.
Das ist beim Angebot des Versicherers Quantum Leben anders, der in Liechtenstein sitzt, aber auch hierzulande Verträge vertreibt. „Die Höhe der einmal zugesagten Rente ist lebenslang garantiert“, sagt der Düsseldorfer Versicherungsmakler Marcus Krüll, der auf Verträge mit sofort beginnenden Renten spezialisiert ist. Wie viel mehr der Kranke als der Gesunde bekommt, hängt auch hier von seinem Gesundheitszustand und der Bewertung des Versicherers ab. Lebensstilfaktoren wie Rauchen fließen zugunsten des Kunden in die Berechnung ein. Nikotinabhängigkeit allein lässt die Rente aber nicht in die Höhe schnellen. „Diese Policen lohnen sich nur, wenn man wirklich krank ist“, betont der Versicherungsmakler. „Und es kommt immer auf den Einzelfall an.“ Deshalb sollten Kunden immer individuelle Angebote einholen und verschiedene Anbieter vergleichen, rät Krüll – auch gesunden Anlegern.
Bei Quantum Leben bekommt ein gesunder 65-jähriger Nichtraucher für 100 000 Euro eine Monatsrente von 475,14 Euro. Ist er übergewichtig und mit Diabetes mittelschwer erkrankt, sind es 636,05 Euro. Hat er außerdem einen bösartigen Tumor in Lunge, Leber oder Bauchspeicheldrüse, gibt es 749,56 Euro.
Zum Vergleich: Beim Marktführer Allianz Leben erhalten 65-jährige Männer ohne Krankenbonus für 100 000 Euro eine sofort beginnende Monatsrente von 537,64 Euro, davon sind 435,62 Euro garantiert.
„Bei allen Anbietern ist auch die Variante möglich, dass im Todesfall eine Leistung an Hinterbliebene erfolgt, allerdings ist die Rente dann niedriger“, sagt Krüll.
Quantum Leben legt das Geld des Kunden in Anleihen mit einer festen Laufzeit an, die der prognostizierten Lebenserwartung entsprechen, erklärt Krüll. Lebt der Kunde länger, bekommt er die versprochene Rente weiterhin. In diesem Fall springt der Rückversicherer Hannover Rück ein. Er ist in diesem Segment schon lange in Großbritannien aktiv.
Lars Gatschke vom Bundesverband der Verbraucherzentralen hält diese Tarife für eine zweischneidige Sache. „Das mag wirtschaftlich sinnvoll sein für Leute, die chronisch krank sind und tatsächlich eine kürzere Lebenserwartung haben“, sagt er. Das gelte aber nur, wenn sie keine Partner oder Kinder versorgen müssen. „Wer eine Hinterbliebenenabsicherung braucht, kann sich den Chronikertarif schenken.“ Gatschke hält die Tarife aus sozialpolitischen Gründen für fragwürdig. „Damit wird die Versichertengemeinschaft aufgebrochen“, sagt er. Setzen sich solche Tarife durch, wird es für Kunden mit langer Lebenserwartung immer teurer.
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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