Lebensversicherer haben Kunden nach Schätzungen rund 4 Mrd. Euro anÜberschüssen vorenthalten · BGH-Urteil macht Hoffnung
VON Friederike Krieger
S parer, die aus ihren privaten Rentenversicherungen und Riesterverträgen nur geringe Überschussleistungen erhalten haben, macht ein neues Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) Hoffnung auf Nachschläge (Az. IV ZR 102/06). Die Karlsruher Richter haben entschieden, dass Versicherer Überschüsse nicht verwenden dürfen, um Deckungslücken aus der gestiegenen Lebenserwartung zu schließen. Das gilt, wenn vertraglich vereinbart worden ist, dass dieses Geld die Rente erhöhen soll. Experten schätzen, dass die Assekuranz ihren Kunden auf diesem Wege rund 4 Mrd. Euro an Überschussbeteiligungen vorenthalten hat.
Die Überschussbeteiligung wird jährlich neu festgelegt. Mit ihr beteiligen die Gesellschaften ihre Versicherten über die Garantie hinaus an ihren Kapitalerträgen. Die Überschussleistungen fielen in den vergangenen Jahren oft mager aus. Die Erklärung vieler Versicherer: Sie seien durch die Aufsichtsbehörde BaFin angehalten, mit einer neuen Sterbetafel der gestiegenen Lebenserwartung Rechnung zu tragen. Das kostet Geld, da Renten nun länger gezahlt werden müssen. „Viele Versicherer haben die Deckungslücke mit Mitteln aus der Überschussbeteiligung aufgefüllt, obwohl sie den Kunden versprochen hatten, dass dieses Geld ihre Rente erhöhen soll“, sagt der Versicherungsmathematiker Axel Kleinlein. Er überprüft in Streitfällen Versicherungsverträge.
Der BGH hat nun in einem kürzlich veröffentlichten Urteil bekräftigt, dass diese Praxis nicht rechtens ist. Die aufsichtsrechtliche Pflicht zur Nachreservierung entbinde den Versicherer nicht davon, seine vertraglichen Pflichten gegenüber seinem Kunden einzuhalten. Notfalls müsse er die Deckungslücke mit Aktionärsmitteln auffüllen, so das Gericht (zum Urteil siehe auch den unten stehenden Beitrag).
„Das Urteil wird vermutlich weitreichende Konsequenzen für die Lebensversicherer haben“, glaubt Kleinlein. Nach seiner Einschätzung hat ein Großteil der Versicherer den Kunden seit 2005 die Anrechnung von Überschüssen vorenthalten. Damals trat eine neue Sterbetafel in Kraft. Die Folge: „Es gab aus diesen Überschüssen oft keine Zusatzrente für die Kunden, die schon in Rentenbezug waren, und auch bei Kündigung gab es zum Teil keinen Cent aus diesen Überschüssen“, sagt er. Betroffen seien Kunden, die einen private Rentenpolice oder einen Riesterrentenvertrag vor dem 1. Januar 2005 abgeschlossen haben. Kleinlein schätzt den Schaden auf rund 4 Mrd. Euro ein. Bei einem Standardvertrag belaufe sich die entgangene Summe auf mehrere Hundert bis Tausend Euro.
Betroffene können sich an den Versicherungsombudsmann wenden, der Entscheidungen der Gesellschaften im Streitfall unter die Lupe nimmt, oder einen Versicherungsmathematiker prüfen lassen, ob ihnen ein nennenswerter Schaden entstanden ist. Falls das der Fall sein sollte, müssen die Versicherten notfalls vor Gericht ziehen. Denn trotz der Grundsatzentscheidung des BGH müssen die Kunden nachweisen, dass ihr Versicherer wirklich Schindluder mit der Überschussbeteiligung getrieben hat.
„Ob das Urteil über den Einzelfall hinaus eine allgemeine Auswirkung auf die gesamte Lebensversicherungsbranche hat, ist fraglich“, heißt es beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Überschüsse seien nicht vorenthalten worden, sondern gar nicht erst entstanden, argumentiert der GDV. Bei einer Verlängerung der Lebenserwartung müssten aus den Prämien der Versicherungsnehmer mehr Rentenzahlungen bestritten werden, sodass aus den Beiträgen weniger Überschüsse erwirtschaftet werden könnten, die es zu verteilen gilt. „Der GDV geht daher davon aus, dass die Überschussermittlung und -beteiligung bei Rentenversicherungen im Regelfall bedingungsgemäß erfolgt.“
Die BaFin ist sich da nicht so sicher. „Wir prüfen derzeit, welche Auswirkungen das BGH-Urteil haben kann“, sagt Sprecherin Kathi Schulten. Zunächst müsse die Behörde aber ein weiteres Urteil des Oberlandesgerichts Köln abwarten. An dieses Gericht hatte das BGH seinen Fall zurückverwiesen, um zu klären, welche Überschüsse überhaupt entstanden sind. Die Zeit drängt. Spätestens Ende 2010 verjähren die Ansprüche aus den vor 2005 abgeschlossenen Verträgen.
Quelle: Financial Times Deutschland
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