Zwei teure Patienten waren zu viel: Die Gemeinsame Betriebskrankenkasse Kölnmusste als Erste einen Zusatzbeitrag von ihren Versicherten erheben. Doch sie wird nicht die einzige bleiben
Das Gebäude der Gemeinsamen Betriebskrankenkasse (GBK) Köln steht an einem historischen Ort. Hier stand jahrhundertelang die Johanniterordenskirche. Teile daraus haben es zu Ruhm gebracht, der ehemalige Altar ist heute in der National Gallery in London zu sehen.
Auch die kleine GBK hat es in die große Öffentlichkeit geschafft. Als Vorstandschef Helmut Wasserfuhr im August ankündigte, dass bei seinen Versicherten rückwirkend zum 1. Juli ein Zusatzbeitrag von 8 Euro fällig werde, war die Kasse schlagartig bundesweit bekannt. Die GBK ist die erste und bislang einzige gesetzliche Krankenkasse, die von der neuen Möglichkeit Gebrauch macht, den Zusatzbeitrag zu erheben.
Alleine wird sie damit nicht bleiben. Da ist man sich in der Branche sicher. „Weitere Krankenkassen werden folgen“, sagt etwa Theo Giehler, Vorstandsmitglied des nordrhein-westfälischen Landesverbandes der Betriebskrankenkassen. Die Kassen klagen unisono, dass ihnen langsam das Geld ausgeht. Früher haben sie selbst festgelegt, welchen Beitrag Versicherte und Arbeitgeber zahlen mussten. Heute verfügt die Regierung einen einheitlichen Beitragssatz für alle. Im Moment liegt er bei 14,9 Prozent des Einkommens der Versicherten.
Wer damit nicht auskommt, muss den Zusatzbeitrag erheben – wie die GBK. Die Versichertenstruktur der einzelnen Unternehmen ist für Giehler kein Indiz dafür, welche Kassen als nächste an ihre Versicherten herantreten werden. Das werde „querbeet“ gehen, sagt er, und große Ersatzkassen ebenso treffen wie eine kleine Betriebskrankenkasse. Noch sind beim zuständigen Bundesversicherungsamt keine weiteren Anträge auf Genehmigung eines Zusatzbeitrags eingegangen. „Es ist nichts unterwegs“, sagt ein Sprecher.
Niemand will so schnell aus der Deckung kommen. Denn von den Versicherten mehr Geld zu verlangen ist ein dramatischer Wettbewerbsnachteil. Einer Studie der Unternehmensberatung Korehnke Kommunikation zufolge würden zwölf Prozent der Versicherten ganz sicher die Krankenkasse wechseln, wenn sie eine zusätzliche Prämie zahlen müssten. Immerhin 30 Prozent würden das zumindest eventuell tun.
Giehler geht davon aus, dass erst 2010 feststehen wird, welche Kassen keinen ausgeglichenen Haushalt haben werden. Im Oktober 2009 tagt der Schätzerkreis, der eine Prognose zur Einnahmesituation in der gesetzlichen Krankenversicherung abgeben wird. Dann entscheidet die neue Bundesregierung über den künftigen Beitragssatz. Ob sie ihn anheben oder mehr Steuergeld in den Fonds stecken wird, ist ungewiss. Wenn das entschieden ist, werden die Kassenmanager beginnen, mit spitzem Bleistift zu rechnen.
Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung geht davon aus, dass kommendes Jahr viele Unternehmen einen Zusatzbeitrag erheben werden. Damit rechnet auch die Bundesbank. Durch die mit der Wirtschaftskrise verbundene steigenden Arbeitslosigkeit gehen die Einnahmen des Gesundheitsfonds zurück, die Kosten aber nicht – krank werden die Menschen immer.
Die GBK ist ein Pionier wider Willen. Bei der kleinen Kasse deutet nichts auf Verschwendung hin. Das Verwaltungsgebäude in Köln liegt gegenüber von Festartikel Schmitt – das Einkaufshaus für Karneval, Theater, Verein, Party. Das Büro von Chef Wasserfuhr ist bescheiden, mancher Abteilungsleiter einer großen Kasse residiert repräsentativer. An den Wänden hängen Linoleumschnitte, auf dem Sideboard steht ein Wimpel der Betriebssportgemeinschaft Köln, auf dem Schreibtisch liegt das Buch „Schlank im Schlaf“. Am Besprechungstisch gegenüber des geräumigen Schreibtisches wäre es für eine vierköpfige Familie beim Abendbrot eng. Der Verwaltungsrat der Kasse trifft sich denn auch ein Stockwerk tiefer. „Wir teilen uns den Saal mit der Zusatzversorgung Köln“, berichtet der 51-Jährige. Die sitzt im gleichen Gebäude. „Auch so kann man Verwaltungskosten sparen.“
Die GBK ist ein Sonderfall. Zum einen ist sie eine klassische Stadtkrankenkasse. Allein durch die Dichte der Unikliniken in der Region mit deren teurer Spitzenmedizin fallen hohe Kosten an. Zum anderen ist die GBK sehr klein – sodass ihr zwei besonders teure Versicherte zum Verhängnis werden konnten.
Die beiden Patienten leiden unter der Bluterkrankheit und brauchen eine sehr teure Behandlung. Insgesamt sind bei der GBK 36 Bluter versichert, aber nicht alle verursachen so hohe Kosten wie diese beiden Hämophiliepatienten. Die leiden unter einer besonders schweren Form mit schlimmen Komplikationen, durch die etwa die Haut aufplatzt. Neue Medikamente aus den USA können helfen, kosten aber extrem viel Geld. „Wir bekamen alle zwei Wochen eine Rechnung über 270 000 Euro für die Behandlung eines Patienten“, berichtet Wasserfuhr. In wenigen Jahren liefen Behandlungskosten von mehr als 20 Mio. Euro auf.
Zu viel für die kleine GBK. Die hat nur 30 000 zahlende Mitglieder und weitere 12 000, die über Eltern oder Partner versichert sind. 2008 hatte sie einen Haushalt von rund 135 Mio. Euro- und da sind schon Mittel aus dem Risikostrukturausgleich eingeflossen. Über den konnten früher 50 Prozent der hohen Kosten zwischen den Kassen ausgeglichen werden. Heute bekommt die GBK pro Bluter einen Ausgleich von 80 000 Euro.
Einer der beiden teuren Patienten ist mittlerweile woanders versichert. „Aber nicht, weil er uns nicht gut fand“, sagt Wasserfuhr. Dieser Patient konnte im Zuge der Familienmitversicherung bei einer anderen Kasse unterschlüpfen. Für die GBK war es da schon zu spät. Um sich die Behandlung der komplizierten Fälle leisten zu können, hatte die Kasse zuvor vom BKK-Verbund ein Darlehen aufgenommen. Das muss sie zurückzahlen. Im Frühjahr entschied der zuständige Beirat des BKK-Bundesverbands, dass die GBK einen Zusatzbeitrag erheben muss.
„Ich war anderer Auffassung“, sagt Wasserfuhr. Doch dann kam auch noch die Schweinegrippe. Es wurde klar, dass die anstehenden Impfungen enorme Kosten verursachen werden. Der Widerstand brach. Wasserfuhr kündigte die Erhebung des Zusatzbeitrags an.
Dabei hatte das Jahr so gut für die GBK angefangen. Als die Bundesregierung des Beitragssatz bekannt gab, der fortan für alle Kassen gelten sollte, witterte Wasserfuhr zunächst sogar eine Chance – der Beitragssatz lag deutlich unter dem bisherigen der GBK von 16,6 Prozent. Die kleine Kasse startete eine Mitgliederwerbekampagne. „Wir haben 700 neue Mitglieder hinzugewonnen“, sagt der Vorstandschef.
Mit der Bekanntgabe des Zusatzbeitrags aber setzte die Gegenbewegung ein. Etwas unter fünf Prozent der Mitglieder hat die GBK verloren. Vor allem Rentner haben der Kasse den Rücken gekehrt, ein Sozialverband hatte dazu aufgerufen. Die Kasse richtete eine Hotline ein, an die sich besorgte Versicherte wenden können. Das hat vieles abgefedert. Wasserfuhr hat wohl böse Briefe bekommen – aber auch positive Rückmeldungen. „Zwei neue Mitglieder sind zu uns gekommen, weil sie es gut fanden, dass wir so viel Geld für einzelne Versicherte ausgeben“, sagt er.
Der Zusatzbeitrag ist für die Kassen nicht nur ein Prestigeproblem, sondern auch logistisch eine Herausforderung. Was in den vergangenen Wochen bei der kleinen Kölner Krankenkasse abgelaufen ist, ist das Pilotverfahren für die Großen. In der Hauptverwaltung der GBK haben die rund 80 Mitarbeiter viele Sonderschichten geschoben. Innerhalb von fünf Tagen musste die Kasse 30 000 Briefe mit drei Anlagen plus Freiumschlägen an die Mitglieder verschicken- was allerdings ein externer Dienstleister erledigte. Die GBK entschied sich, den Zusatzbeitrag rückwirkend quartals- und nicht monatsweise zu erheben, um den bürokratischen Aufwand in Grenzen zu halten. „Für jedes Mitglied mussten wir ein gesondertes Beitragskonto einrichten“, erklärt Wasserfuhr.
Die Mitarbeiter müssen 30 000 Einzugsermächtigungen erfassen. Hinzu kommt: Nicht jeder Versicherte muss die 8 Euro berappen. Wer Krankengeld bezieht, zahlt keinen zusätzlichen Beitrag. Ist ein Mitglied einige Wochen krank, sinkt der Zuschlag entsprechend. Aufwendig für die Bürokratie wird es auch, wenn jemand seinen Versicherungsstatus wechselt. Das war der Fall bei einem Praktikanten, der einige Tage im Juli in einem Unternehmen Geld verdient hat. In diesen zehn Tagen musste er Krankenkassenbeiträge entrichten, danach war er wieder über seine Familie versichert. 2,07 Euro hätte dieser Praktikant eigentlich an die GBK zahlen müssen. Doch bei solchen Kleinstbeiträgen übersteigt der Aufwand schnell den Nutzen. „Wir lassen alles, was unter 3 Euro liegt“, sagt Wasserfuhr. Nach seinen Berechnungen kostet das Eintreiben des Zusatzbeitrags die Kasse pro 24 Eurorund 1,50 Euro.
Je größer die Kasse, desto größer der Aufwand. Das haben auch spezielle Dienstleister erkannt. Die wittern ein neues lukratives Geschäftsfeld. Spectrum K. etwa, die Dienstleistungstochter von bundesweit mehr als 100 BKKen, steht bereit. Sie hat bereits die „Komplettlösung“ für den Einzug der Prämie entwickelt, einschließlich Inkasso. Die achtseitige Werbebroschüre für interessierte Kassen ist schon fertig. „Ihre Probleme hätten wir gerne, um sie zu lösen“, heißt es da.
Wasserfuhr löst seine Probleme lieber ohne diese Hilfe. Schadenfreude von seinen Kollegen der anderen Kassen habe er nicht erlebt. Im Gegenteil. „Einige haben den Hut vor uns gezogen“, sagt er. „Sie sind froh, dass sie nicht die Ersten waren.“
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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