Finanzaufsicht lässt „Japan-Szenario“ mit dauerhaft niedrigen Zinsendurchrechnen
Von Herbert Fromme, Köln
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hält eine lang anhaltende Niedrigzinsphase für eine reale Gefahr für die Assekuranz. Nach FTD-Informationen verlangt die Aufsichtsbehörde erstmals in ihrer Geschichte von den Lebensversicherern Modellrechnungen, die von sehr niedrigen Zinsen bis 2018 ausgehen und den Zinsbedarf bis 2027 modellieren. Bislang nahm die Aufsichtsbehörde in ihren Stresstests zur Krisenfestigkeit der Lebensversicherer einen schockartigen Wertverfall von Aktien oder festverzinslichen Wertpapieren an – nicht aber einen jahrelangen Niedrigzins.
Ein BaFin-Sprecher bestätigte die Abfrage. „Grund dafür ist die präventive und langfristig orientierte Aufsicht“, sagte er. „Wir rechnen nicht mit kurzfristigen Problemen bei Lebensversicherern“, beruhigte er.
Die Versicherer geben ihren Kunden in der klassischen Renten- und Lebensversicherung Garantien, die immer für die gesamte Laufzeit eines Vertrages gelten. Bei heute abgeschlossenen Verträgen beträgt die Garantie 2,25 Prozent, in der Vergangenheit lag sie aber auch schon bei vier Prozent. Im Durchschnitt haben die Gesellschaften Zinsgarantien von rund 3,4 Prozent auf Kundenguthaben zu bedienen – bei Laufzeiten von zwölf Jahren und mehr.
Die BaFin befürchtet offenbar, dass einige Anbieter bei lang anhaltenden niedrigen Erträgen aus den Kapitalanlagen kaum in der Lage wären, diese Garantien dauerhaft zu bedienen. Dann käme mancher Lebensversicherer in eine Schieflage. In Japan führten Deflation und Niedrigzinsen in den 1990er-Jahren zu einer Reihe spektakulärer Zusammenbrüche von Lebensversicherern.
Sollte es dazu kommen, könnte die BaFin die Garantien für die Kunden aussetzen oder reduzieren. Das wäre allerdings mit einem katastrophalen Vertrauensverlust für die Branche verbunden – die 80 Millionen Deutschen haben mehr als 60 Millionen Kapital-Lebensversicherungen.
Zwar haben die Unternehmen noch viele deutlich höher verzinsliche Papiere in den Beständen. Doch laufen diese nach und nach aus und werden zwangsläufig durch Papiere mit sehr viel niedrigeren Erträgen ersetzt. Die deutschen Lebensversicherer haben mehr als 80 Prozent der Kapitalanlagen, die Ende des vergangenen Jahres 686 Mrd. Euro betrugen, in festverzinslichen Papieren angelegt.
In einem Schreiben vom 7. Oktober, das der FTD vorliegt, schreibt BaFin-Referatsleiter Kay-Uwe Schaumlöffel an die Versicherer: „Die dauerhafte Erfüllung der Zinsgarantien in der Lebensversicherung ist in jüngster Zeit zunehmend in den Fokus gerückt.“ Hintergrund sei die Befürchtung, dass die Kapitalmarktzinsen für längeren Zeit auf einem niedrigen Niveau verharren könnten.
Die Aufsicht dringt auf rasche Übermittlung der komplexen Zahlenwerke: Bis 4. November sollen die Unternehmen liefern. Dabei müssen die Versicherer mit Wirkung auf Erträge und Erfüllbarkeit ihrer Verpflichtungen gegenüber Kunden drei Szenarien durchrechnen: bestehende Marktverhältnisse, sinkende Zinsen sowie sinkende Zinsen und zugleich fallende Aktienkurse.
Die Bonner Behörde ist mit ihrer Furcht vor einem lang anhaltenden Zinstief nicht allein. Die Münchener-Rück-Tochter Ergo hat Absicherungsgeschäfte auf zehn Jahre abgeschlossen, mit dem sie die Lebensversicherer Hamburg-Mannheimer und Victoria vor den Folgen einer solchen Entwicklung schützt.
Auch andere Versicherer haben Modelle durchgerechnet, die von einem langen Zinstief ausgehen. Das Ergebnis: Gesellschaften, die Teil größerer Konzerne mit profitablen Schaden- und Unfallversicherern sind, können eher überleben als allein agierende Lebensversicherer. Aber auch für Konzerngesellschaften wäre es sehr schwer, ein „Japan-Szenario“ zehn Jahre auszuhalten.
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft sieht keine Probleme. Es sei Aufgabe der BaFin, sich regelmäßig ein Bild über die Folgen verschiedener Kapitalmarktszenarien zu machen, sagte eine Sprecherin. „Die aktuell von der BaFin untersuchten Niedrigzinsszenarien stellen Extremszenarien dar, deren Eintreten unwahrscheinlich ist.“ Die Umfrage sage nichts über die tatsächliche Erfüllbarkeit der Lebensversicherungsverträge aus.
Versicherer atmen auf 16
Quelle: Financial Times Deutschland
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