Einmal im Jahr fallen die Versicherer in Baden-Baden ein. Jede freie Sofaeckewird in Beschlag genommen, um mit den Rückversicherern Großverträgeauszuhandeln. In dem gepflegten Chaos geht es um Milliarden
Herbert Fromme
Franz Hertl muss gleich weiter. Der Deutschlandchef von Munich Re hat einen randvollen Terminkalender. Er verbringt die kommenden drei Tage hoch konzentriert in den Luxushotels der süddeutschen Wohlstandsenklave Baden-Baden.
Aber dort, wo sonst feine ältere Damen ihren Tee nehmen, leisten Hertl und seine Kollegen Schwerstarbeit. In den Cafés der Hotels, in Ballsälen und auf Galerien treffen sie sich an kleinen Tischchen zum Zweier- oder Dreiergespräch. Sie haben ein Kundentreffen nach dem anderen, sieben oder mehr am Tag, drei Tage hintereinander.
Dort wird dann Klartext geredet. Über Feuer- und Sturmrisiken, Schutz für Pharmahaftungen, Probleme in der Autoversicherung. Die Manager handeln Preise aus und besiegeln sie oft per Handschlag. Anschließend warten Empfänge und Abendessen auf sie.
Versicherer aus Russland, Indien, Japan und Großbritannien sind angereist, dazu ein großes Kontingent der deutschen Assekuranz, Versicherungseinkäufer der Großindustrie, Anwälte, Berater und Journalisten. Mehr als 1000 dieser Profis treffen sich alljährlich in der letzten Oktoberwoche in Baden-Baden. Also dort, wo zur Fußball-WM 2006 die trink- und shoppingfreudigen englischen Spielerfrauen die Kreditkarten rotieren ließen, die vom Boulevard „WAGs“- „Wives and Girlfriends“ – getauft wurden und in den Bars der Stadt eine Spur der Verwüstung hinterließen.
Wer mit acht oder zehn Rückversicherern Geschäfte macht, verabredet sich mit Mitarbeitern aller Anbieter im Kurort am Rande des Schwarzwalds und kann mit ihnen hier über die Verträge für 2010 sprechen. Umgekehrt sehen die Rückversicherer in den drei bis vier Tagen zahllose Kunden. „Allein die Reisekosten, die eingespart werden, sind enorm“, berichtet Hertl.
Wer will, kann seine Großrisiken bei Lloyd’s, Munich Re oder in Bermuda rückversichern, die Deckung wird ihm von allen drei ähnlich angeboten. Und wenn er unzufrieden ist, dem bietet Baden-Baden ausreichend Ersatz durch andere Rückversicherer, direkt vor Ort und abschlussbereit. Dazu kommt, dass der Markt hohe Ausschläge bei Preisen und Bedingungen kennt. Da ist es praktisch, in Baden-Baden dabei zu sein und die Stimmung direkt zu spüren.
Das gilt gerade in diesem Jahr. Die Richtung, in die Preise und Bedingungen gehen, ist keineswegs ausgemacht. 2008 hatten die Rückversicherer wegen der Krise starke Preiserhöhungen vorausgesagt. Doch tatsächlich konnten sie allenfalls milde Anhebungen durchsetzen. Für 2010 rechnet niemand mit flächendeckenden Erhöhungen, sondern mit stabilen Preisen im Hauptgeschäft und Anhebungen nur in einzelnen Sektoren.
Das Treffen folgt dem alljährlichen Stelldichein der Rückversicherer Anfang September in Monte Carlo. Dort stehen erste Gespräche und Partys im Vordergrund – in Baden-Baden hingegen werden harte Fakten ausgehandelt und sogar Verträge von ausländischen Unternehmen unterschrieben. Deutsche Versicherer warten lieber bis Dezember.
In Baden-Baden gibt es keinen Veranstalter, keine Tagesordnung, keine Rednerliste. Zwar druckt eine Fachzeitung Teilnehmerlisten, einzelne Firmen machen auf eigene Rechnung Diskussionsrunden und Fachvorträge. Einen Kongress aber gibt es nicht – und deswegen auch keinen Veranstalter.
Zurück geht das Treffen auf die Jahrestreffen des Deutschen Transport-Versicherungs-Verbands (DTV). Die Manager seiner Mitgliedsunternehmen begannen in den 50er-Jahren, sich Ende Oktober zur Hauptversammlung in Baden-Baden zu treffen – mit ihren Gattinnen, was für die Auswahl des Tagungsorts eine Rolle gespielt haben soll. Legendär war der Ball der Transportversicherer.
Im Anschluss an die Jahrestagung blieb man gern ein paar Tage länger – und die ohnehin international arbeitenden Transportversicherer verhandelten mit den Rückversicherern über die Konditionen für die Vertragserneuerungen.
Der DTV – längst aufgegangen im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) – beschloss 1978, seine Jahrestreffen auf den Frühsommer zu verlegen. Das war für die Rückversicherer unpraktisch, so früh im Jahr führt man keine Verhandlungen für die kommende Vertragsperiode. Deshalb blieben sie bei dem Oktobertermin.
Jahrelang fungierte die Colonia, später Axa, als inoffizielle Organisatorin der Veranstaltung, benachrichtigte die Hotels und stellte die Teilnehmerlisten zusammen. Inzwischen gibt es auch inoffiziell keinen Organisator mehr. Das Treffen funktioniert trotzdem – und seit den WAGs ist Baden-Baden ohnehin Schlimmeres gewohnt.
Quelle: Financial Times Deutschland
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