Haftpflichtversicherungen könnten für Schadensersatzforderungen wegenMissbrauchs aufkommen · Anwälte bereiten Klage vor
VON Friederike Krieger, Köln
Der Skandal um sexuelle Übergriffe an Jesuitenschulen könnte auch Versicherungsgesellschaften teuer zu stehen kommen. Die betroffenen Schulen haben eine Betriebshaftpflichtversicherung, die möglicherweise für die Schadensersatzansprüche der Opfer aufkommen muss. Für einen vergleichbaren Skandal in den USA hatten mehr als zehn Versicherer, darunter Allianz und Munich Re, im Jahr 2007 mehr als 200 Mio. $ gezahlt.
Im aktuellen Fall haben sich bislang rund 120 Missbrauchsopfer bei der Berliner Rechtsanwältin Ursula Raue gemeldet. Raue kümmert sich im Auftrag des Jesuitenordens um die Aufarbeitung des Skandals. Der größte Teil sind ehemalige Schüler des Berliner Canisius-Kollegs und anderer Jesuitenschulen.
Viele Opfer haben mit psychischen Problemen zu kämpfen, die auf den Missbrauch zurückzuführen sind. Deshalb können sie Schadensersatz und Schmerzensgeld verlangen – sowohl von ihrem ehemaligen Peiniger als auch von den Einrichtungen.
Die Täter selbst sind nicht versichert. „Für den sexuellen Missbrauch, der etwa einem Pater zur Last gelegt wird, gibt es keinen Versicherungsschutz“, sagte ein Sprecher des Versicherungsmaklers Ecclesia, der auf kirchliche Einrichtungen spezialisiert ist. Haftpflichtpolicen zahlen zwar unter bestimmten Umständen bei grober Fahrlässigkeit, nicht aber bei vorsätzlich begangenen Taten.
Anders verhält es sich bei Ansprüchen gegen die Ausbildungsstätten. „Sollten Schadensersatzansprüche gegen entsprechende Organisationen geltend gemacht werden, etwa weil Aufsichtspflichten verletzt wurden, werden solche Fälle von der Betriebshaftpflichtversicherung begleitet“, sagte der Sprecher. Auch die betroffenen Jesuitenschulen haben nach Angaben des Ordens Betriebshaftpflichtpolicen abgeschlossen.
In Deutschland betragen Versicherungssummen für solche Betriebshaftpflichtpolicen bis zu 20 Mio. Euro. Anbieter sind Unternehmen wie die Allianz, HDI-Gerling und Aachen-Münchener.
Die Versicherer wissen, dass sexueller Missbrauch teuer werden kann. Übergriffe durch Priester in Kalifornien kosteten die Haftpflichtversicherer der Erzdiözese von Los Angeles Mitte 2007 rund 227 Mio. $. In einer außergerichtlichen Einigung hatte sich die Erzdiözese verpflichtet, rund 660 Mio. $ an 508 Kläger zu zahlen, davon trugen die Versicherer rund ein Drittel.
In Deutschland können die Missbrauchsopfer allerdings nicht mit derart hohen Summen rechnen. „Die Chancen auf strafrechtliche Verfolgung und auf Schadensersatz tendieren gegen null“, sagte der Düsseldorfer Rechtsanwalt Rüdiger Deckers mit Blick auf die jetzt bekannt gewordenen Fälle. Nach dem Bericht der Jesuitenanwältin Raue ereigneten sich die jüngsten Fälle Mitte der 80er-Jahre. Allerdings ist damit zu rechnen, dass in den kommenden Wochen noch jüngere Fälle ans Tageslicht kommen.
Strafrechtlich können Täter wegen sexuellen Missbrauchs noch zehn Jahre nach dem 18. Geburtstag des Opfers belangt werden. „Bei Vergewaltigung endet die Verjährung mit dem 38. Lebensjahr der Opfer“, sagte Deckers. Zivilrechtliche Schadensersatzansprüche verfallen schon drei Jahre nach Vollendung des 21. Lebensjahrs.
Leicht wird es für die Opfer nicht, Forderungen durchzusetzen. „Es ist extrem schwierig, einer Organisation wie den Jesuiten Verletzungen der Aufsichtspflicht nachzuweisen“, sagte der Frankfurter Rechtsanwalt Knut Höra.
Doch zwei Berliner Juristen prüfen den Klageweg. Der Rechtsanwalt Lukas Kawka, der Missbrauchsopfer des Berliner Canisius-Gymnasiums vertritt, erwägt eine Sammelklage gegen den Jesuitenorden in den USA, sollte sich herausstellen, dass ein Schüler die amerikanische Staatsbürgerschaft hat. Die Rechtsanwältin Manuela Groll, bei der sich rund zehn Opfer gemeldet haben, prüft die Möglichkeit, Schmerzensgeldansprüche in Deutschland durchzusetzen.
Der weltweit größte Rückversicherer Munich Re schließt versicherte Schäden nicht aus. „Die Versicherungswirtschaft und auch die Munich Re könnten von den Missbrauchsfällen tangiert werden“, sagte ein Sprecher. Immer mehr Fälle von sexuellen Übergriffen an Schulen kämen derzeit ans Licht. „Grundsätzlich können da Schäden auf die Assekuranz zukommen“, sagte der Sprecher.
Rechtsanwalt Höra glaubt, dass zumindest die Jesuiten von sich aus Schadensersatz zahlen werden, ohne die Haftpflichtversicherung in Anspruch zu nehmen. „Würden die Jesuiten ihre Haftpflichtversicherung einschalten, wären sie permanent in den Medien“, sagte er. „Das werden sie nicht wollen.“
Quelle: Financial Times Deutschland
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