Geschlossene Gesellschaft

Die EU will deutsche Kommunen zwingen, Verträge zur Altersvorsorge europaweitauszuschreiben

Von Friederike Krieger, Köln

Mitarbeiter von HUK-Coburg tingelten durch die Gemeinden, sprachen bei Bürgermeistern vor und sammelten deren Unterschriften ein. Der Versicherer hat sich wirklich ins Zeug gelegt. Dennoch sind seine Versuche, in der betrieblichen Altersvorsorge der Kommunen Fuß zu fassen, bislang größtenteils gescheitert – nur in seiner Heimatstadt Coburg hatte das Unternehmen Erfolg. Andernorts darf der Versicherer Angestellten im öffentlichen Dienst keine Verträge zur Gehaltsumwandlung anbieten.

Rund 2,3 Millionen Bedienstete haben seit der Rentenreform 2002 einen Anspruch darauf, Teile ihres Gehalts in einen Vertrag zur betrieblichen Altersvorsorge zu stecken. Private Anbieter aber sind von dem milliardenschweren Markt ausgeschlossen. Die Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaft Verdi haben im Februar 2003 in einem Tarifvertrag festgelegt, dass die öffentlichen Unternehmen Rahmenvereinbarungen über die betriebliche Altersvorsorge nur mit ausgewählten Anbietern abschließen dürfen. Das sind öffentliche Zusatzversorgungseinrichtungen, Sparkassen und Kommunalversicherer.

Die Gewerkschaften wollen damit sicherstellen, dass die Arbeitnehmer möglichst gute Konditionen erhalten. Auch Arbeitgeber möchten bei der Auswahl der Gesellschaften mitreden: Wenn der Anbieter nicht hält, was er verspricht, müssen sie schließlich einspringen. Der Unmut unter den ausgeschlossenen Privatunternehmen aber ist groß. „Die bisherige Situation ist sehr unerfreulich. Es handelt sich um ein geschlossenes System“, sagt Daniel Stanglmeier, Jurist beim Institut für Pensionsmanagement und Zusatzversorgung der HUK-Coburg.

Schützenhilfe haben die Privaten nun von Verica Trstenjak erhalten, der Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Eine Vorauswahl der Versorgungsträger ist ihrer Meinung nach „weder erforderlich noch angemessen“, sagte sie in ihrem Schlussantrag zum Vertragsverletzungsverfahren, das seit 2006 beim EuGH läuft.

In Gang gebracht hat das Verfahren die EU-Kommission. Die hat zwar nichts daran auszusetzen, wenn sich Unternehmen der freien Wirtschaft an einzelne Versorger binden. Bei kommunalen Arbeitgebern aber sehe das anders aus. Die Rahmenvereinbarungen sind nach Ansicht der Kommission öffentliche Aufträge und müssten laut Vergaberecht ausgeschrieben werden.

Die Chancen, dass die EU-Kommission recht bekommt, sind seit dem Schlussantrag der Generalanwältin hoch. „Die öffentlichen Arbeitgeber sitzen damit auf einem vergaberechtlichen Pulverfass“, sagt Julian Polster, Vergaberechtsspezialist in der Düsseldorfer Kanzlei von White & Case. Wenn der EuGH zugunsten der Kommission entscheidet, müssten die Rahmenvereinbarungen europaweit ausgeschrieben werden. Zudem könnte der Gerichtshof auch anordnen, bereits geschlossene Rahmenverträge rückabzuwickeln. Dann könnten Schadensersatzansprüche auf die Städte und Gemeinden zukommen.

Strittig ist allerdings noch, ob das Volumen der einzelnen Rahmenverträge einen Schwellenwert überschreitet, der für die Anwendung der Vergaberichtlinien maßgeblich ist. Ein öffentlicher Auftrag muss nur ab einem gewissen Wert ausgeschrieben werden. Aktuell liegt er bei 193 000 Euro. Da die EU das Überschreiten der Schwellenwerte nicht hinreichend nachgewiesen hat, plädiert Trstenjak dafür, die Klage abzuweisen. „Sollte der EuGH die Klage aus formalen Gründen abweisen, bestünde gleichwohl Handlungsbedarf für die kommunalen Arbeitgeber“, sagt Polster. Die Kommission könnte jederzeit ein neues Vertragsverletzungsverfahren einleiten.

Die Kommunen befinden sich in einem Dilemma: Sie müssen einerseits den Tarifvertrag beachten, der nur Zusatzversorgungseinrichtungen, Sparkassen und Kommunalversicherer als Versorgungsträger erlaubt. „Andererseits hängt das Damoklesschwert des Gemeinschaftsrechtsverstoßes über den Kommunen“, sagt Polster. Seiner Meinung nach sollten die kommunalen Arbeitgeber und Verdi den strittigen Tarifvertrag zunächst aussetzen. Dann wäre der Weg für Ausschreibungen schon jetzt geebnet.

Mit dem Urteil des EuGH rechnet Polster in drei bis sechs Monaten. Private Anbieter könnten aber auch schon jetzt, nach dem Plädoyer der Generalanwältin, die Rahmenverträge vor deutschen Gerichten angreifen.

„Wir prüfen derzeit sehr intensiv den Schlussantrag und die sich daraus ergebenden juristischen Möglichkeiten“, sagt Stanglmeier von HUK-Coburg. Besonders scharf darauf, konkrete Rahmenvereinbarungen anzufechten, ist der Versicherer aber nicht. „Einen Wettbewerber vor Gericht anzugehen ist eine andere Sache“, sagt er. „Eine Kommune zu verklagen, mit der wir noch Geschäfte machen wollen, ist dagegen problematisch.“

Quelle: Financial Times Deutschland

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