In Deutschland sind die Preise für Industrieversicherungen niedrig. Obendrein halten Unternehmen viele Risiken selbst, um die Kosten für die Policen zusparen. Genau das sorgt so manchen Fachmann
VON Herbert Fromme
Große Teile der deutschen Industrie haben sich aus der Krise gerobbt, die Nachfrage nach Versicherung steigt leicht – aber die Preise für die Deckungen bleiben im Keller.
„Offensichtlich gibt es nach wie vor viel Kapital im Markt“, sagt Stefan Sigulla. Er ist Versicherungschef bei Siemens und Vorsitzender des Deutschen Versicherungs-Schutzverbands (DVS), der Lobby der Industrie in Assekuranzfragen. „Die Preise haben deshalb nicht angezogen in der Form, die erwartet worden war.“
Versicherungseinkäufer machen durchweg diese Erfahrung. „Es geht nicht nach oben bei den Preisen“, sagt Hans-Otto Geiger, Versicherungschef beim Pumpenhersteller KSB in Frankenthal. „Allerdings sind auch keine großen Prämienreduzierungen zu erlangen. Wir sind schon ziemlich unten.“ Geiger hat einen guten Überblick: Er ist Vorsitzender des Bundesverbands firmenverbundener Versicherungsvermittler und -gesellschaften (BfV), in dem Konzerne mit eigenen Maklern sich zusammengeschlossen haben.
Die Stimmung dürfte deshalb nicht schlecht sein bei den Hunderten von Versicherungseinkäufern und Risikomanagern, die sich in dieser Woche auf der jährlichen Fachtagung von DVS und BfV in München treffen. Christian Hinsch, stellvertretender Vorstandsvorsitzender bei Talanx und Chef der Industrieversicherung des Konzerns, widerspricht der Beobachtung der Einkäufer nicht. „Wir haben einen weichen Markt“, sagt er. Als weich bezeichnet die Branche eine Marktphase mit niedrigen Preisen und aus Kundensicht günstigen Bedingungen, als hart gilt eine Situation steigender Prämien und Bedingungsverschärfungen. Doch seien Anbieter durchaus in der Lage, Preise anzuheben, vor allem wenn Schadenserfahrung das nahe legt.
Gründe für diesen Stillstand auf niedrigem Preisniveau finden sich auf beiden Seiten des Marktes, bei Anbietern und Kunden. Die Marktführer in der Konzernversicherung verdienen ausgezeichnet. Das gilt sowohl für die Allianz Global Corporate & Specialty als auch für die Talanx-Tochter HDI-Gerling. Da sehen es gerade die Großen nicht ein, warum sie sich in einem zunehmend aggressiver werdenden Wettbewerb von kleineren Anbietern die Butter vom Brot nehmen lassen sollten.
Stattdessen verteidigen sie ihre Kundenbasis – und erhöhen trotz aller Rhetorik über dringend nötige Anpassungen die Preise nicht. Sie wissen genau, dass es sehr viel teurer sein kann, die Kunden später zurückzugewinnen. Neben den etablierten Adressen Axa, Chartis (früher AIG), Chubb und Zurich sind auch Newcomer unterwegs, die bislang im großen Konzerngeschäft keine bedeutende Rolle spielten. Ausländische Anbieter haben sich etabliert, gute Beispiele sind Mitsui Sumitomo aus Japan und Mapfre aus Spanien. Im Inland verfolgt die R+V einen intelligenten Expansionskurs bei Industriekunden, die öffentlich-rechtlichen Versicherer widmen diesem Geschäftsfeld neue Aufmerksamkeit. Und mittelgroße Versicherer suchen sich Nischen; so gehört die Gothaer zu den führenden Anbietern von Deckungen für Erzeuger alternativer Energie.
„Kapital gibt es genug“, sagt Gregor Köhler von der Bayer-Tochter Pallas. „Solange die Zinsen so niedrig sind, macht es für viele Investoren Sinn, Millionen in Versicherungsgeschäfte zu pumpen.“ Das gelte besonders für Bermuda und die USA, wirke sich indirekt aber auch in Europa aus.
Doch auch die Kaufzurückhaltung spielt eine Rolle für die Preisschwäche. Kunden haben in der Finanzkrise die Ausgaben für Versicherungsschutz dramatisch gestutzt. Mit geringeren Deckungen und höheren Selbstbehalten senkten sie die Ausgaben für Versicherungen. So mancher Finanzchef sieht gar nicht ein, warum sich das jetzt ändern sollte. Klar, bei umsatzabhängigen Verträgen steigen die Prämien mit dem wieder anziehenden Geschäft. Das gilt für viele Haftpflicht- und Transportverträge. Aber in anderen Bereichen wird das Konzept Versicherung light beibehalten.
Nach Ansicht von DVS-Vorsteher Sigulla wird hier oft zu kurz gedacht. „Versicherung ist Teil der Unternehmensfinanzierung“, argumentiert er. Durch eine Police transferiere ein Unternehmen seine Risiken auf die Bilanz des Versicherers. „Damit setzt es bei sich Risikokapital frei.“ Erhöht ein Unternehmen die Selbstbehalte, muss es dafür eigentlich Risikokapital hinterlegen, erklärt Sigulla. „Wenn es einen Selbstbehalt von 100 Mio. Euro vereinbart, braucht es, je nach Schadenerwartung, bis zu 30 Mio. Euro Risikokapital.“ Schließlich wird eine abgebrannte Fabrik oder ein Produkthaftpflichtschaden dann aus eigenen Mitteln finanziert. „Und diese 30 Mio. Euro müssen intern verzinst werden“, sagt Sigulla.
Nur bei einer solchen Betrachtung sehe eine Firma klar, ob der Selbstbehalt oder die Versicherung die bessere Finanzierung ist. „Erst vor diesem Hintergrund kann ein Unternehmen die Bedeutung seines Versicherungsschutzes sowohl intern als auch nach außen richtig einordnen.“
Das Thema ist brandaktuell. Denn spätestens seit der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko ist bekannt, dass der Energiegigant BP nur die gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungen kauft, alle anderen Risiken aber seit Mitte der 90er-Jahre selbst trägt. BP begründet das mit der eigenen Bilanzstärke, die deutlich über der fast aller Versicherer liegt – gebe BP Risiken ab, komme das Risiko der möglichen finanziellen Instabilität der Versicherer noch hinzu.
Doch die Explosion der Bohrplattform Deepwater Horizon und die nachfolgende verheerende Ölpest haben gezeigt, dass auch ein Riese wie BP trotz aller Bilanzstärke durch einen Großschaden verwundbar ist. In diesem Fall geschah das indirekt. Anleger straften BP aus Sorge um Schadensersatzansprüche und den Reputationsverlust ab, die Firma verlor die Hälfte ihres Börsenwerts. Sie gilt als Übernahmekandidat.
Doch Schadenfreude ist aus der Versicherungswirtschaft kaum zu vernehmen. Denn die Assekuranzbosse wissen genau: Der Milliardenschaden im Golf von Mexiko wäre auch bei ihnen nur zum kleinen Teil überhaupt versichert gewesen.
Bislang ist es kaum möglich, einen Produktionsausfall durch Aschewolken generell zu versichern, die den Flugverkehr lahmlegen und die Teileanlieferung verhindern. Die Versicherer decken solche Vermögensschäden in der Regel nur, wenn ein direkter Sachschaden voranging, also eine Fabrik abbrannte oder ein Flugzeug mit Teilen abstürzte. Die kaum vorhandene Deckungsmöglichkeit für reine Vermögensschäden gehört zu der Liste von Mängeln, die Industriekunden an den Versicherern auszusetzen haben. Auch ungenügende Angebote in der Absicherung von IT-Risiken sind ein Problem. Aber richtig böse ist kein Einkäufer auf seine Versicherer – wo sie doch so günstig sind.
Quelle: Financial Times Deutschland
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