Höhere Beiträge wegen Finanzkrise drohen // Extrem niedrige Zinsen bringenKrankenversicherer in Not
Herbert Fromme
und Ilse Schlingensiepen, Köln
Privat Krankenversicherte müssen wegen der Finanzkrise deutlich höhere Beiträge fürchten. Grund hierfür ist, dass die niedrigen Marktzinsen die Bilanzen der Krankenversicherungen belasten. Allein wegen der geringen Renditen sind Prämienerhöhungen von sechs bis acht Prozent nötig, haben Gesellschaften nach FTD-Informationen errechnet. Dazu kommen noch die normalen Beitragsanpassungen wegen der höheren Kosten im Gesundheitswesen.
Das Problem: Damit der Schutz auch für ältere Kunden noch bezahlbar ist, müssen die 46 deutschen Krankenversicherer aus einem Teil ihrer Beitragseinnahmen Rückstellungen bilden. Diese Rückstellungen von zurzeit 144 Mrd. Euro müssen sie zu einem speziellen Satz verzinsen. Dessen Obergrenze – der sogenannte Höchstrechnungszins – wird vom Bundesfinanzministerium festgelegt. Das hat den Zweck, dass die Versicherer nicht auf Grundlage von riskanten Zinskalkulationen versuchen sollen, Kunden mit günstigen Angeboten zu ködern.
Seit über 50 Jahren liegt der Satz unverändert bei 3,5 Prozent – anders als in der Lebensversicherung, wo es aktuell 2,25 Prozent sind. Wenn die Gesellschaften das Geld ihrer Kunden in Staatsanleihen anlegen, bekommen sie heute aber kaum mehr als 2,5 Prozent – zwischen den zugesagten und den erwirtschafteten Leistungen klafft potenziell eine riesige Lücke.
Alle Krankenversicherer garantieren ihren Kunden heute den Höchstsatz von 3,5 Prozent. Doch mindestens zehn Gesellschaften haben große Schwierigkeiten, ihn einzufahren. Daher gibt es starke Kräfte in der Branche, die eine vorübergehende Absenkung auf 3,0 Prozent befürworten. Auf breiter Front müssten die Anbieter dann mit niedrigeren Zinseinnahmen kalkulieren. Die bisherigen Rückstellungen würden für die Ansprüche der Kunden nicht mehr ausreichen. Sämtliche Krankenversicherer müssten die Preise erhöhen und die Rückstellungen stärken.
Unter den Versicherern tobt ein heftiger Streit. Die Mehrheit der Gesellschaften sowie die Spitze des Branchenverbands PKV halten strikt dagegen: Sie fürchten, dass eine Absenkung des Zinses fatale Folgen für das Versicherungsgeschäft hätte. Die schwarz-gelbe Koalition hatte den Privatversicherern weitreichende Zugeständnisse gemacht, um ihre Position im Gesundheitssystem zu stärken. Dies könnten allgemeine Preiserhöhungen wegen der Niedrigzinsen zunichtemachen.
Die schwächelnden Gesellschaften dagegen wollen verhindern, dass sie nur für ihre Kunden den Zins absenken müssen. Die betroffenen Versicherer müssten deutlich höhere Beiträge verlangen als Konkurrenten – was ein klarer Wettbewerbsnachteil wäre.
Höhere Beiträge wegen der Zinsen könnten frühestens zum Januar 2012 greifen – für kommendes Jahr sind die Sätze schon festgelegt. Um den Höchstzins zu erhöhen, müssten die Versicherungsmathematiker der Gesellschaften bei der Finanzaufsicht BaFin intervenieren. Diese würde dann dem Finanzministerium eine entsprechende Empfehlung aussprechen.
Bislang hatte die Branche den umstrittenen Zins im Schnitt einigermaßen komfortabel erwirtschaftet. Im vergangenen Jahr erzielten die Krankenversicherer mit ihren meist langfristig angelegten Kapitalanlagen eine Nettoverzinsung von 4,2 Prozent.
Erträge oberhalb des Rechungszinses sind die Regel, doch müssen die Versicherer 90 Prozent der Differenz zwischen erzielten Renditen und vorgeschriebenem Höchstsatz dafür verwenden, den Prämienanstieg für ältere Kunden zu dämpfen. Weil dafür wegen der niedrigen Zinsen nun deutlich weniger Geld da ist, haben auch Anbieter Probleme, die mehr als 3,5 Prozent verdienen. Die Prämien für die Älteren müssen aus diesem Grund wahrscheinlich steigen.
Am vergangenen Dienstag wurde das Problem nach FTD-Informationen auf einem Treffen der Mathematiker im PKV-Verband diskutiert. Doch der versucht mit allen Mitteln, die Diskussion unter der Decke zu halten. „Es gibt keine Überlegungen des Verbandes, den in der Kalkulationsverordnung festgelegten Höchstrechnungszins zu senken“, sagte ein Sprecher.
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Quelle: Financial Times Deutschland
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