Im Ausland gelten oft andere Regeln für die Haftpflichtversicherung als inDeutschland. Mit speziellen Programmen können expandierende Unternehmen böseÜberraschungen vermeiden
Der mittelständische Autozulieferer war entsetzt: Eigentlich wollte er einen Teil der Produktion in die USA verlagern und dort dafür eine Werkhalle anmieten. Was er sich so einfach vorgestellt hatte, erwies sich als überaus kompliziert. Der Vermieter wollte den Vertrag für die Räume erst unterschreiben, wenn ihm der Unternehmer einen Nachweis seines örtlichen Haftpflichtversicherers vorweist. So etwas hatte der Unternehmer noch nie erlebt. Über seinen Versicherungsmakler erfuhr er, dass in den angelsächsischen Ländern Versicherungsnachweise üblich sind. So stellt der Vermieter sicher, dass Schäden tatsächlich reguliert werden.
Preiswerte Produktionsbedingungen, die Hoffnung, stärker am Wirtschaftsaufschwung teilzuhaben, oder der Wunsch, den Kundenstamm zu vergrößern – vielschichtig sind die Gründe für einen Mittelständler, ins Ausland zu gehen. Ebenso vielseitig ist der bürokratische Aufwand. Geschäftsführer müssen beispielsweise ihre persönliche Deckung von Haftpflichtrisiken völlig neu organisieren, um sich vor Ansprüchen Dritter aus Schäden durch fehlerhafte Produkte zu schützen.
Das fällt zahlreichen Firmen schwer. „Viele Betriebe unterschätzen die Haftpflicht im Ausland“, weiß Peter Ullrich, Prokurist beim Maklerunternehmen Gossler, Gobert & Wolters. „Gerade bei Familienbetrieben liegt der Schwerpunkt auf der Produktion. Versicherungsbezogene Fragen spielen da nur eine untergeordnete Rolle.“ Viele deutsche Unternehmer wüssten nicht einmal, ob und wie ihre Töchter im Ausland versichert seien, weil sie sich dort nicht einmischen wollten. „Das ist riskant“, warnt Ullrich.
Für Firmen, die nur exportierten, ohne im Ausland eine Niederlassung zu betreiben, reiche es zwar häufig aus, sich über den deutschen Versicherer Schutz zu besorgen. „Allerdings gilt das Versicherungsrecht des jeweiligen Landes“, sagt er. „Wer also in die USA oder nach Kanada mit dem bekanntermaßen strengen Haftungsrecht exportiert, sollte sich vorher über eine angemessen hohe Deckungssumme Gedanken machen.“
Gerade Haftpflichtrisiken können für einen Mittelständler existenzbedrohende Ausmaße annehmen, wenn kein ausreichender Versicherungsschutz besteht. Produktrückrufe gehören zu den größten Bedrohungen für Unternehmen im Ausland. „Mangelhafte oder fehlende Instruktionen, Gebrauchsanweisungen oder Warnhinweise können in den USA zu extrem hohen Entschädigungssummen führen“, sagt Sebastian Kadritzke, Sprecher des international tätigen Industrieversicherers XL Insurance.
Aber auch in Europa können die Kosten für einen Rückruf in der Automobilbranche schnell in die Millionen gehen, etwa wenn die Elektronik an einem Teil schadhaft ist und die Funktionsfähigkeit des Autos beeinträchtigt. Das liege an den verschärften europäischen Regeln, vor allem dem Produktsicherheitsgesetz. Es ermächtige Behörden, unsichere Waren aus dem Verkehr zu ziehen, erklärt Reinhard Riehl, Leiter der Haftpflichtsparte beim Makler Südvers. „Das rechtliche Umfeld ist schärfer geworden.“
Einige Unternehmen reagieren auf die strengeren Regelungen. „Qualitätsmängel bei der Herstellung sind gerade in den Billigstlohnländern Asiens zum Problem geworden“, sagt Riehl. „Viele Firmen schließen ihre Produktionsstätten und siedeln sie in geografisch näher gelegenen Regionen Osteuropas an, wo sie die Produktionsbedingungen besser kontrollieren können.“
Ein nicht zu unterschätzendes Risiko sind Arbeitsunfälle. Erleidet ein Mitarbeiter im Betrieb oder auf dem Weg zur Arbeit einen Unfall, ist er in Deutschland über die Berufsgenossenschaften abgesichert. In vielen anderen Ländern muss der Arbeitgeber für seine Angestellten dafür eine Arbeiterunfallversicherung abschließen, die unabhängig vom Verschulden dem Betroffenen eine Entschädigung zahlt.
In Großbritannien, den USA oder Frankreich sind solche Policen Pflicht. Riehl rät aber, auch in Ländern eine Versicherung abzuschließen, in denen die Arbeiterhaftpflicht nicht vorgeschrieben ist. „Als ausländische Firma ist man gerade in Schwellenländern Begehrlichkeiten ausgesetzt“, sagt Riehl. „Davor sollten sich Unternehmen schützen.“
In Staaten wie etwa der Schweiz, Brasilien oder Russland dürfen ausländische Betriebe ihren Versicherungsschutz nicht aus der Heimat mitbringen und müssen Schäden über einen Versicherer vor Ort abdecken. Das hängt damit zusammen, dass die Länder die anfallenden Abgaben wie die Versicherungssteuer im eigenen Land behalten wollen. „Das kann dazu führen, dass Unternehmen gerade in Staaten, in denen Versicherungsdienstleistungen noch in geringem Umfang am Markt vorhanden sind, große Schwierigkeiten haben, vor Ort Schutz zu bekommen“, erklärt Ullrich. Dies gelte nicht für die Schweiz, sei aber in Brasilien oder Russland durchaus Realität.
Mit internationalen Haftpflichtprogrammen wollen die Industrieversicherer Mittelständlern weltweit gültigen Versicherungsschutz anbieten. Dabei arbeiten sie häufig mit Maklern zusammen, die globale Netzwerke betreiben und enge Kontakte zu den einheimischen Brokern pflegen. „Der Vorteil für die Firmen ist, dass sich die Spezialisten vor Ort besser mit den regionalen Besonderheiten in den versicherungsrechtlichen Details auskennen“, so Ullrich. „Ändert sich die Rechtsprechung in einem Land, kümmern sich unsere Partner vor Ort genauso darum wie um die Schadensregulierung.“ Die aufsichtsrechtlichen Probleme würden mit einem Abschluss bei einem lokalen Versicherer ebenfalls umgangen.
Den Hauptvertrag schließt der Unternehmer in Deutschland ab. Für Werke im Ausland kann er darüber hinaus zusätzlichen Schutz über eine Regionalvertretung des deutschen Versicherers vereinbaren. „Produziert ein Unternehmen in den USA, setzen wir aufgrund des dortigen exponierten Haftungsrechts die Deckungssumme höher an“, sagt Hans-Georg Neumann, Verantwortlicher für das Haftpflichtgeschäft bei HDI-Gerling. Produktionsstätten, in denen giftige Chemikalien verarbeitet werden, haben ein höheres Risiko eines Umweltschadens, Lebensmittelhersteller oder Kfz-Zulieferer müssen vor allem Produktrückrufe fürchten.
Nach der Risikoanalyse prüft der Versicherer mögliche Deckungskonzepte. „Der Unternehmer vereinbart für Deutschland eine Versicherungssumme von 30 Mio. Euro, für die Tochter in Polen nur 1 Mio. Euro“, sagt Neumann. Tritt dann bei einer Tochter ein Großschaden auf, kann die Gesellschaft auch den Schutz der deutschen Mutter in Anspruch nehmen. Das hat den Vorteil, dass der Betrieb nicht für alle Geschäftsstellen hohe Prämien bezahlen muss. Probleme gibt es dennoch genügend.
Makler beklagen, dass die Versicherer bis zu sechs Monate brauchen, um Auslandspolicen auszustellen. „Und wenn der Kunde sie in Händen hält, sind sie selten fehlerfrei“, weiß Riehl. Der Vermieter in den USA hätte wohl kaum auf seinen Nachweis so lange gewartet.
Anne-Christin Gröger
Quelle: Financial Times Deutschland
Dieser Beitrag ist nur für Premium-Abonnenten vom Versicherungsmonitor persönlich bestimmt. Das Weiterleiten der Inhalte – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Bitte bedenken Sie: Mit einer von uns nicht autorisierten Weitergabe brechen Sie nicht nur das Gesetz, sondern sehr wahrscheinlich auch Compliance-Vorschriften Ihres Unternehmens.
Diskutieren Sie mit
Kommentare sind unseren Abonnenten vorbehalten. Bitte melden Sie sich an oder erwerben Sie hier ein Abo