Kreditversicherer zeichnen wieder großzügig Risiken. Firmen nutzen denWettbewerbsvorteil, Kunden Zahlungsaufschub geben zu können
So etwas hatte Jochen Remmert, Geschäftsführer des Mittelständlers Rodriguez aus Eschweiler, noch nicht erlebt. Gerade hatte der Kunde mit dem Milliardenumsatz einen hohen Rechnungsbetrag überwiesen – zwei Tage später war der Abnehmer pleite. Weitere Zahlungen standen aus. „Man kann sich auf nichts verlassen“, sagt Remmert.
Rodriguez stellt Komponenten für die Antriebstechnik her, zum Beispiel Kugellager in allen denkbaren Varianten für Computertomografen, Lasergeräte oder Ölbohrplattformen. Die Firma mit weltweit 110 Mitarbeitern ist auf gute Geschäftskontakte und schnelle Lieferfähigkeit angewiesen. Fällt bei einem Unternehmen eine Maschine aus, will es möglichst schnell das nötige Ersatzteil haben. Bestellt eine Firma bis 10 Uhr, hat sie gute Chancen, dass das benötigte Material am gleichen Tag ausgeliefert wird – trotz des cleveren Prüfsystems, mit dem Remmert die Zahlungsfähigkeit der rund 2500 Kunden checkt.
Ordert ein Unternehmen zum ersten Mal bei der Firma Rodriguez, starten die Mitarbeiter bei einem Lieferwert zwischen 500 Euro und 15 000 Euro eine Anfrage beim Onlinecheck des Kreditversicherers Atradius. Bei positiver Antwort ist die Lieferung automatisch versichert. Ist das Ergebnis negativ, setzen sich die Mitarbeiter mit dem Besteller in Verbindung und bitten entweder um Vorkasse oder um weitere Informationen. Die Prüfung über den Kreditversicherer ist ab einem Auftragswert von 15 000 Euro genauer und dauert zwischen zwei Stunden und zwei Tagen. Neue Kunden beginnen in der Regel allerdings mit kleinen Lieferungen. Bestandskunden haben bei Rodriguez ein Limit, bis zu dem sie bestellen können. Ist das erreicht, werden weitere Aufträge automatisch gesperrt. Die Sperre aufheben können nur Remmert und der Leiter der Abteilung Finanzen.
Begehrte BonitätsprüfungenKostenlos sind die Checks nicht. Aus Sicht des Geschäftsführers allerdings auch nicht teuer – deshalb setzt er dieses Instrument auch ausgiebig ein. Pro Prüfung bis zu einem Lieferwert von 15 000 Euro zahlt das Unternehmen 5 Euro, darüber je nach Umfang und Herkunft des Abnehmers zwischen 40 Euro und 80 Euro. Hinzu kommt die Grundprämie für die Kreditversicherung, die einen Promilleanteil des versicherten Jahresumsatzes ausmacht. Rodriguez setzt 2010 voraussichtlich rund 27 Mio. Euro um. Wie hoch die Grundprämie für ein Unternehmen ist, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab, etwa der Branche und der wirtschaftlichen Lage der Kunden. Meistens zahlen Firmen nach Angaben von Atradius zwischen 0,2 Promille und 0,5 Promille des versicherten Umsatzes.
Beim insolventen Großkunden aus der Auto-branche hätte Remmert gewarnt sein können. Der Kreditversicherer hatte die Übernahme des Risikos abgelehnt. Aber weil der Kunde so groß war, hielt der Geschäftsführer ihn auch für zahlungskräftig. Lehrgeld hat er für seinen Irrtum kaum bezahlt. Der Pleitekandidat konnte sich fangen, es ging nach der Insolvenz weiter. Rodriguez bekam weitere Aufträge und der Schaden hielt sich in Grenzen.
Für Remmert ist die Kreditversicherung kein Vertrag wie die Feuer- oder die Betriebsunterbrechungspolice. Ihm kommt es nicht in erster Linie auf den Deckungsschutz an, sondern auf die ständigen Bonitätsprüfungen und das ausgelagerte Risiko-Monitoring. Kreditversicherer wie Atradius oder die großen Wettbewerber Coface und Euler Hermes beobachten die Wirtschaftslage sehr genau. Sie verfügen über riesige Datenbanken mit Informationen, die sie von Auskunfteien oder den Firmen selbst beziehen oder selbst recherchieren. Weil sich Rodriguez auf die Prüfungen und das Monitoring des Dienstleisters verlassen kann, ist das Unternehmen dazu in der Lage, den Kunden Zahlungsaufschub zu gewähren – was die gerade im jetzigen Aufschwung sehr zu schätzen wissen. „Das ist für mich ein Marketinginstrument“, sagt Remmert. „Zurzeit versucht jeder, mit langen Zahlungszielen zu arbeiten und damit Liquidität für zusätzliches Material zu schaffen.“
Diesen Wettbewerbsvorteil hat das Unternehmen aber nur, wenn der Kreditversicherer mitspielt. Und das dürfte er in der Regel tun. Der Wind hat sich gedreht. Noch vor Kurzem waren die Anbieter bei der Beurteilung von Firmen übervorsichtig und haben ihren Kunden nur zurückhaltend Deckung gewährt. Das hat sich mit dem Aufschwung geändert. Unternehmen können wieder auf sie zählen. Die für 2010 in Deutschland erwarteten Prämieneinnahmen in der Sparte Kreditversicherung sind mit 1,5 Mrd. Euro angesichts der Gesamteinnahmen der Assekuranz von knapp 180 Mrd. Euro nicht hoch. Aber die volkswirtschaftliche Bedeutung der Anbieter ist es. Sie sichern Unternehmen für den Fall ab, dass deren Kunde nach der Lieferung von Waren pleitegeht und seine Rechnung nicht zahlt. Dabei übernehmen sie in der Regel nicht den gesamten Zahlungsausfall. Der Lieferant trägt stets eine Eigenbeteiligung, deren Höhe von der wirtschaftlichen Stärke des jeweiligen Abnehmers abhängt. Bevor die Versicherer einer Firma Deckung geben, schauen sie sich die Zahlungsfähigkeit der Geschäftspartner sehr genau an. Gegen Gebühr stellen sie ihren Kunden diese Informationen zur Verfügung. So können Unternehmen wie Rodriguez diese Datenbanken für ihr Kreditmanagement nutzen.
Im Regen stehen gelassenNicht alle Marktteilnehmer sind so rückhaltlose Fans der Kreditversicherer wie der Vorzeigekunde Remmert. So mancher Manager ist nachtragend. „Viele sind schlecht auf die Kreditversicherer zu sprechen, auch wenn sie die Deckung noch nutzen“, sagt Holger Ade, Konjunkturexperte des Wirtschaftsverbands Stahl- und Metallverarbeitung. Nach seiner Beobachtung haben sich die Kreditversicherer in der Krise enorm geschadet. Aus Angst vor Schäden verschärften sie ihre Zeichnungspolitik, viele Kunden bekamen nicht mehr in dem Umfang Schutz wie sie wollten. „Die Kreditversicherer haben während des Regens den Schirm eingezogen“, sagt Ade.
Das sehen die Kreditversicherer anders. „Das Geschäftsmodell hat in der Krise funktioniert“, sagt Peter Ingenlath, Vorsitzender der Kommission Kreditversicherung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft und Vizechef des Kreditversicherers Atradius. Er kann keinen Imageschaden für seine Branche erkennen. Dass die Deckungssummen im Abschwung zurückgegangen sind, hält er für eine natürliche Folge der sinkenden Umsätze. „Nur in Einzelfällen, die medial ausgeschmückt wurden, gab es Schwierigkeiten“, sagt er.
Auch wenn die krisenbedingten Probleme der Firmen mit den Kreditversicherern vorbei sind, bleibt nach Auffassung von Konjunkturexperte Ade ein gravierendes grundsätzliches Problem. „Unternehmen kritisieren, dass die Kreditversicherer von heute auf morgen die Deckung zurückziehen können, ohne ihre Kunden vorher darüber zu informieren“, sagt Ade. Die Produzenten wünschen sich, über so einen Schritt wenigstens einige Wochen zuvor informiert zu werden, um reagieren zu können. Dann könnten sie wenigstens Kontakt zu dem betroffenen Kunden aufnehmen und versuchen, sich selbst ein Bild zu machen.
Und noch ein weiteres Problem bleibt: Viele Firmen geben nicht gerne Informationen über ihre wirtschaftliche Lage heraus und sind deshalb weder für Lieferanten noch für Kreditversicherer einschätzbar. Geschäftsführer Remmert hat für diese Verschlossenheit wenig Verständnis. Firmen sollten viel offener und offensiver über sich informieren, meint er. „Wir gehen das aktiv an.“ Remmert kennt das Urteil aller Kreditversicherer über seine Firma und geizt nicht mit zusätzlichen Auskünften. „Wenn ein Lieferant es wünscht, schicken wir auch eine Selbstauskunft von Creditreform“, sagt er.
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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