Gesundheitsminister Philipp Rösler macht sich nirgends Freunde. Krankenkassenund private Versicherer maulen gleichermaßen
Ilse Schlingensiepen
und Herbert Fromme
Für diese Information brauchte man Wikileaks wirklich nicht. Die US-Botschaft in Berlin meldete laut der enthüllten Geheimdokumente in die Heimat, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe das Gesundheitsressort der FDP gegeben, damit sich die CDU daran nicht die Finger verbrennt. Genau das mutmaßten viele Kenner der Szene, als feststand, dass FDP-Mann Philipp Rösler das Ministerium übernehmen würde. Schließlich ist die Regierung angetreten, die unter finanziellem Druck stehende gesetzliche Krankenversicherung (GKV) umzugestalten. Die Versicherten sollen belastet, die Arbeitgeber entlastet und die privaten Krankenversicherer (PKV) gestärkt werden. Das ist unpopulär, eine Volkspartei kommt damit nicht gut an.
Rösler macht selbst bei der FDP-Klientel kaum Punkte. Den radikalen Durchbruch für die Privaten gibt es auch mit dem liberalen Gesundheitsminister nicht. Im Gegenteil, er schafft es, alle Lager nachdrücklich zu vergrätzen – gesetzliche Kassen, private Versicherer, Patienten und Ärzte.
„Für die Versicherten wird es teurer, ohne dass sie dafür spürbare Mehrleistungen erhalten“, sagt Branchenkenner Reiner Will, Geschäftsführer der Ratingagentur Assekurata. „Wir erwarten, dass das auch so weitergeht.“ In der GKV und der PKV habe die Politik kaum die notwendigen Maßnahmen gegen Kostensteigerungen auf der Seite der Leistungserbringer eingeleitet. Allerdings haben die Kassen ab 1. Januar 2011 mehr Möglichkeiten, Einfluss auf die Kosten im Arzneimittelsektor zu nehmen, lobt Guido Leber, Bereichsleiter Krankenversicherung bei Assekurata. „Das sind aber erst zarte Ansätze.“ Als positiv bewertet Leber auch, dass die Regierung den PKV-Unternehmen erstmals die Möglichkeit einräumt, die Verhandlungsergebnisse der gesetzlichen Kassen bei den Arzneimittelpreisen zu übernehmen. „Die Steuerungsmöglichkeiten der PKV sind bisher noch viel zu gering“, sagt Leber.
Die Chefin der Barmer GEK Birgit Fischer kritisiert dagegen, dass die Privaten künftig vom Know-how und den Verhandlungserfolgen der Kassen profitieren können: „Die unverhohlene Stärkung der privaten Krankenversicherung bereitet mir Sorgen.“ Die Barmer GEK ist die größte Krankenkasse. Sie hat 8,6 Millionen Versicherte – damit fast so viele wie die komplette PKV mit 8,9 Millionen.
Fischer begrüßt die Bemühungen, die Finanzierung der GKV zu stabilisieren. „Falsch ist es jedoch, künftige Ausgabensteigerungen ausschließlich den Versicherten aufzubürden und die Arbeitgeber aus ihrer sozialen Verantwortung zu entlassen.“ Das sieht auch der Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland/Hamburg Wilfried Jacobs so. „Mit der einseitigen Belastung der Versicherten über die Zusatzbeiträge der Krankenkassen schlägt die Regierung den falschen Weg ein.“ Wegen der Erhöhung des Beitragssatzes von 14,9 auf 15,5 Prozent werden im Laufe des kommenden Jahres nur einige Kassen gezwungen sein, einen Zusatzbeitrag zu nehmen. 2012 wird ihre Zahl zunehmen. „Dann beginnt der Erosionsprozess.“ Das Beratungsunternehmen Steria Mummert schätzt, dass 2012 die Zahl der Kassen um mindestens 20 sinkt.
Nehmen Krankenkassen einen Zusatzbeitrag, laufen ihnen die Versicherten in Scharen davon, die finanziellen Probleme verschärfen sich. Um das zu vermeiden, werden die meisten im kommenden Jahr alle Anstrengungen darauf konzentrieren, ihre Finanzen zu stabilisieren. „Innovationen in der Versorgung wird es kaum geben“, prognostiziert Jacobs.
Auch die PKV ist in Kernpunkten enttäuscht vom smarten Gesundheitsminister. Zwar begrüßt Volker Leienbach, Direktor des PKV-Verbands, dass die Regierung freiwillig Versicherten in der GKV den Wechsel zur PKV erleichtert hat. Künftig können sich Angestellte wieder nach einem Jahr mit gutem Verdienst privat versichern. Die Große Koalition hatte die Frist 2007 auf drei Jahre erhöht.
Doch generell zieht Leienbach eine gemischte Bilanz: „Es ist schlecht, dass die Krankenkassen entgegen der Ankündigungen im Koalitionsvertrag weiter Zusatzversicherungen anbieten dürfen.“ Seit 2007 bieten einzelne Krankenkassen Policen wie die Auslandsreisekrankenversicherung an und treten damit in direkte Konkurrenz zur PKV. Die Bundesregierung hat den Kassen solche Aktivitäten nur erschwert, nicht verboten.
Die PKV fordert seit Langem Instrumente, um die Kostensteigerungen in den Griff zu bekommen. Ganz oben auf der Agenda steht die Möglichkeit, mit Ärzten Verträge über Qualität und Vergütung der Leistungen abschließen zu können. Doch hier hat sich Berlin noch nicht festgelegt.
Auf Unterstützung der schwarz-gelben Regierung hofft Leienbach auch bei der Problematik der Nichtzahler. Wegen der von Röslers Vorgängerin Ulla Schmidt eingeführten Versicherungspflicht dürfen PKV-Unternehmen – ebenso wie die Kassen – Kunden, die ihre Beiträge nicht bezahlen, nicht mehr kündigen. Die Nichtzahler haben bei Notfällen weiter Anspruch auf Leistungen. „Das Problem bekommen wir ohne politische Hilfe nicht vom Tisch“, sagt Leienbach.
Besonders häufig fallen Zahlungen von Selbstständigen aus, denen einige Versicherer aggressiv Billigsttarife verkauft haben. Diese Tarife, die oft ein eingeschränktes Leistungsangebot haben, passten nicht zum Profil der PKV, moniert Roland Weber, Vorstand beim Branchenschwergewicht Debeka. „Darüber müssen wir innerhalb der Branche diskutieren.“
Ohnehin kann die Regierung auf Forderungen der PKV leicht antworten, dass die Versicherer ihr Haus selbst nicht in Ordnung haben – Beispiel Billigsttarife oder Provisionsexzesse. Auch Debeka-Vorstand Weber hätte sich gewünscht, dass die PKV das Problem der ausufernden Provisionszahlungen für Vertriebe selbst in den Griff bekommen hätte. Jetzt ist die Finanzaufsicht BaFin der Bitte von wichtigen Branchenvertretern nachgekommen und hat Sonderprüfungen angedroht, wenn Versicherer mehr als neun Monatsbeiträge Provision auslegen. Aber auch die BaFin-Initiative ist in der Branche umstritten. Weber gewinnt dem Disput etwas Positives ab: „Es ist gut, dass die Diskussion endlich in die Öffentlichkeit gekommen ist.“
Quelle: Financial Times Deutschland
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