Europäischer Gerichtshof verlangt gleiche Tarife für Männer und Frauen //Branche erwartet steigende Preise
Herbert Fromme , München, Mark Schrörs, Brüssel, Anja Krüger, Köln
Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat unterschiedliche Versicherungstarife für Männer und Frauen verboten. Bislang gilt für die Assekuranz eine Ausnahmeregelung von der 2004 verabschiedeten Gleichstellungsrichtlinie der EU. Die Richter erklärten die Ausnahme ab dem 21. Dezember 2012 für ungültig.
Für die Versicherungswirtschaft ist das eine herbe Niederlage. Sie sagt höhere Preise für einige Kundengruppen voraus. Das könnte auch Umsatzverluste zur Folge haben. „Ich persönlich bedauere das sehr“, sagte Markus Rieß, Deutschlandchef bei Europas größtem Versicherer Allianz, auf einer Fachtagung in München. „Die Entscheidung wird die Versicherung verteuern.“ Verbraucherschützer begrüßten das Urteil. Auch EU-Justizkommissarin Viviane Reding sprach von einem „wichtigen Moment für die Gleichstellung in der EU“.
Bis 2012 müssen die Versicherer nun ihre Tarifwerke grundlegend umbauen – in einer Zeit, in der Niedrigzinsen sowie verschärfte Aufsichtsanforderungen des EU-Regelwerks Solvency II der Branche ohnehin große Probleme bereiten.
Leidtragende der Entscheidung sind laut Martyn Street von der Ratingagentur Fitch zum Beispiel junge Autofahrerinnen in Großbritannien und anderen Ländern. Sie zahlen heute deutlich weniger als junge Männer, weil sie weniger Unfälle verursachen. „Sie werden durch die neuen Regeln am meisten belastet“, sagte er. Für die Autoversicherer könnte das Urteil dagegen positiv sein, weil es überfällige Preiserhöhungen erleichtere.
Die deutsche Assekuranz hat Erfahrung mit Unisextarifen: Seit 2006 darf sie in der staatlich geförderten Riester-Rente das Geschlecht als Risikomerkmal nicht mehr verwenden. „Das führte für die Männer zu sechs bis acht Prozent höheren Beiträgen, für die Frauen zu deutlich geringeren Absenkungen“, monierte ein Sprecher des Finanzvertriebs MLP.
Der Bund der Versicherten (BdV) hält allgemeine Preiserhöhungen für ungerechtfertigt. Durch die Unisextarife steige der Schadenaufwand nicht, sagte der BdV-Vorsitzende Hartmuth Wrocklage. „Wenn die Prämien insgesamt erhöht würden, so dient dieses ausschließlich der Gewinnsteigerung, nicht aber dem Ausgleich von vermeintlichen Kosten der Unisextarife“, sagte er.
Große Probleme kann das Urteil den privaten Krankenversicherern bereiten. Heute zahlen Frauen deutlich mehr als Männer. Die Branche befürchtet, dass nach Einführung der Unisexangebote viele Frauen aus Alttarifen in günstigere neue Angebote wechseln. Roland Weber, Finanzchef des Koblenzer Versicherungskonzerns Debeka, verlangt deshalb die Einführung des Unisexprinzips auch für alle bestehenden privaten Krankenversicherungen.
In der Risikolebensversicherung, die im Todesfall oder bei Invalidität zahlt, wird das Urteil zu deutlichen Preiserhöhungen für Frauen führen. Heute zahlen Männer 35 Prozent bis 64 Prozent mehr für solche Angebote, hat der Münchener Onlinemakler Check24 errechnet.
Geschlechtertrennung ade: Seite 21
Quelle: Financial Times Deutschland
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