Verbraucher wollen von ihrem Versicherer mehr als Geld nach einem Schaden.Sie wollen Problemlösungen
Herbert Fromme
Das passt nicht in den Trend. Viele deutsche Versicherer bauen seit Jahren Stellen ab, die Allianz vorneweg. Doch Markus Rieß, seit Juli 2010 Deutschlandchef des Marktführers aus München, stockt das Personal in der Schadenbearbeitung um 150 Stellen auf. „Dadurch sind wir telefonisch schneller erreichbar, können witterungsbedingte Lastspitzen besser abarbeiten und die Schäden der Kunden so schneller ersetzen“, erklärt Rieß. Vor allem die Anrufer sollen durch prompte Bedienung gar nicht erst schlechte Laune bekommen können. „In der Warteschleife am Telefon kann sich Unzufriedenheit aufbauen“, sagt Rieß.
Deutschlands größter Versicherer hat ein Problem. Zwar steht die Gesellschaft nicht nur bei den Prämieneinnahmen ganz oben, auch beim Gewinn ist sie unerreicht. Und dennoch macht Rieß sich zu Recht Sorgen. Der mit brachialer Gewalt umgesetzte Konzernumbau hat in den vergangenen sechs Jahren viel Unmut bei Kunden und Mitarbeitern ausgelöst. In der Schaden- und Unfallversicherung, in der die Allianz am meisten Geld verdient, geht der Marktanteil seit Jahren zurück. Rieß will mit einer Serviceoffensive kontern, vor allem im Schadenfall. Dazu gehört ein Versprechen. „Wenn ein Kaskoschaden nach Vorliegen aller Unterlagen nicht innerhalb von fünf Tagen reguliert ist, erhält der Kunde 30 Euro, und zwar ungefragt“, sagt Rieß.
Da gähnen viele, mancher Konkurrent kann über die 30 Euro nur lächeln. Doch: Dass die Allianz sich hier überhaupt Gedanken machen muss, zeigt die Tiefe des Problems. Es geht weit über Verzögerungen bei der Schadenbearbeitung hinaus.
Die Branche stagniert. Bei der Absicherung von Autos, Gebäuden, Hausrat sowie Haftpflicht- und Unfallrisiken ist der Bedarf gedeckt. Im Kampf um die Spargroschen der Deutschen geht es ebenfalls nicht voran, im Vergleich zu Banken und Fonds hinken die Versicherer hinterher. In der privaten Krankenversicherung leiden sie unter Beitragserhöhungen und politischer Einflussnahme. Entsprechend scharf ist der Konkurrenzkampf – um Kunden und um gute Vermittler. Gelingt es einer Gesellschaft nicht, die durch Tod oder Kündigung ausscheidenden Kunden zu ersetzen, wird der verbleibende Bestand mit höheren Kosten belastet und unattraktiver. Reduziert der Versicherer die Zahl der Beschäftigten, leidet meist der Service. Ein Teufelskreis.
Dazu kommt eine langsame, aber stetige Änderung in der Art und Weise, wie Policen verkauft werden. Viele Versicherer sind in Gefahr, ihre direkte Beziehung zu den Kunden zu verlieren – und damit ihre Identität im Markt. Sie werden Anbieter von weißer Ware, die unter allen möglichen Marken verkauft werden kann. Die eigenen Vertreter verlieren an Boden. Davon profitieren Makler und Vertriebsorganisationen: Ein Kunde, der sich vom MLP- oder AWD-Vertreter beraten lässt, hat kaum direkten Kontakt zum Versicherer. Ihm ist es meistens egal, ob sein Auto bei Ergo oder Allianz versichert ist.
Genauso bei den Banken, die viele Policen über ihre Schalter absetzen. Auch hier hat die Assekuranz es schwer, sich selbst als Partner des Kunden zu positionieren. Ähnliches passiert der Branche mit den Autoherstellern. VW versichert in Deutschland inzwischen 22 Prozent aller Neuwagen direkt beim Verkauf. Risikoträger ist die Allianz, aber der Autobauer regelt fast alles selbst, vom Prämieneinzug bis zur Abwicklung von Sachschäden. Eine direkte Kundenbeziehung zum Versicherer Allianz kommt kaum zustande.
Sogar im Direktabschluss per Internet haben Externe inzwischen die Führung übernommen. Über Vergleichsportale wie Check-24 oder Aspect Online werden mehr Verträge verkauft als auf den Webseiten der Direktversicherer.
Die Versicherer müssen sich etwas einfallen lassen, um in den gesättigten Märkten bestehen zu können. Sie brauchen überzeugende Konzepte, um Verbraucher zu gewinnen und Kunden an sich zu binden. Das Versprechen, im Schadenfall Geld zu überweisen, reicht vielleicht dem Pfennigfuchser.
Aber das sind viele Kunden gar nicht. Service ist das Schlüsselthema – in allen Sparten. Drei Viertel aller Rechtsschutzversicherer bieten ihren Kunden für Konflikte eine Mediation an, eine außergerichtliche Schlichtung im Streitfall. Sie übernehmen die Kosten oft auch für nicht versicherte Rechtsgebiete. Die Gebäudeversicherer organisieren für Kunden mit überschwemmten Kellern die Sanierung oder helfen mit Hausmeisterdiensten bei verstopften Abflussrohren und unerwünschten Wespennestern.
Unfallversicherer schicken verunglückten Senioren Essen auf Rädern und eine Einkaufshilfe. Verbraucherschützer sind mehr als skeptisch, schließlich kann man all das selbst und oft billiger organisieren. Den Kunden ist es egal, sie schätzen diese Dienste. Sie wollen Lösungen für Probleme.
Nur: Häufig empfinden Verbraucher gerade die Versicherung selbst als Problem. Sie verstehen nicht, was die in Fachchinesisch gehaltenen Bedingungen bedeuten sollen und können nur ungefähr erahnen, was eigentlich versichert ist und was nicht.
Die Munich-Re-Tochter Ergo hat in ihrer gigantischen Werbekampagne zur Einführung der neuen Marke gleichen Namens diesen Unmut geschickt aufgegriffen. „Versicherungen, was ist eigentlich schiefgelaufen zwischen uns?“ lässt sie einen smarten jungen Mann in Spots fragen und verspricht „Klartext statt Klauseln“. Das Versprechen hat der Versicherer bislang nur zum kleinen Teil eingelöst, doch Konzernchef Torsten Oletzky sieht das nicht als Makel: „Wir sagen ja gerade nicht, wir sind schon perfekt, sondern sagen, dass wir zuhören und dann besser werden.“ Schon jetzt, ohne dass Ergo das Versprechen umgesetzt hat, setzt es die ganze Branche erheblich unter Druck. „Das sind Texte von Juristen für Juristen, da stehen wir uns selbst im Weg“, sagt Christoph Schmallenbach, Vorstand bei Generali Deutschland und verspricht Besserung.
Quelle: Financial Times Deutschland
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