Unternehmen verklagen oft gleich mehrere Vorstände. Anwälte wollengegenseitige Schuldzuweisungen verhindern
Friederike Krieger
Der Kauf der österreichischen Hypo Alpe Adria Group im Jahr 2007 hat der BayernLB keine Freude bereitet. Rund 3,7 Mrd. Euro hat die Landesbank dadurch verloren. Die Suche nach den Schuldigen läuft auf Hochtouren. Im Visier sind auch acht ehemalige Vorstände der Bank, darunter der Ex-Chef Werner Schmidt und sein Nachfolger Michael Kemmer. Sie sollen die Hypo Alpe Adria überteuert gekauft und auf Sicherheiten und Garantien verzichtet haben. Bayerns Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU) hat den Managern mit einer Schadensersatzklage über 200 Mio. Euro gedroht.
Vor 20 Jahren wäre so etwas kaum denkbar gewesen. Damals wären die Herren mit einer dicken Abfindung gegangen worden. Die Bereitschaft, Manager wegen Pflichtverletzungen vor Gericht zu bringen, habe seitdem zugenommen, sagt Roderich Thümmel, Partner der Kanzlei Thümmel, Schütze & Partner. „Es gibt mehr Prozesse als früher“, sagt er. „Die Unternehmen nehmen zunehmend unglücklich verlaufene Geschäfte zum Anlass, um Pflichtverletzungen zu prüfen.“ Oft gehe es dabei um Formfehler, etwa darum, dass der Manager keinen Aufsichtsratsbeschluss eingeholt habe. „Die Firmen versuchen, negative Geschäftsergebnisse über die Managerhaftpflicht wieder auszugleichen“, sagt Thümmel. Diese Policen, auch Directors-and- Officers-(D&O)-Versicherungen genannt, schützen Manager vor den finanziellen Folgen von Schadensersatzansprüchen wegen Pflichtverletzungen. Zu den großen Anbietern zählen Allianz, Chartis, HDI-Gerling, Axa und Chubb. Firmen schließen die Policen für Führungskräfte ab, damit sie Entscheidungen ohne Angst vor eigenen finanziellen Nachteilen treffen. Stellt sich heraus, dass ein Manager wirklich seine Pflichten verletzt hat, zahlt der D&O-Versicherer den entstandenen Schaden. Oft verklagen die Unternehmen gleich die ganze Vorstandsriege. „Die Firmen wollen sicherstellen, dass zumindest ein Vorstand haftet. Deshalb schießen sie mit der Schrotflinte gleich auf fünf Leute“, sagt er.
Das hat auch der Versicherer Chartis beobachtet. „In mehr als 50 Prozent der bei uns gemeldeten Schadenfälle sind mehrere Organe betroffen“, sagt Bernhard Müller, Leiter der Schadenabteilung Financial Lines der deutschen Niederlassung des Versicherers Chartis. Die Gesellschaften übernehmen bei Prozessen die Verteidigungskosten der Manager, um unbegründete Schadensersatzansprüche abzuwehren. Damit diese Kosten angesichts der Vielzahl der Beklagten nicht aus dem Ruder laufen, hat Chartis das Konzept der sogenannten Sockelverteidigung entwickelt. Normalerweise nimmt sich jeder Beklagte einen Anwalt und verteidigt sich separat gegen die Ansprüche seines Konzerns. Bei der Sockelverteidigung tritt der Versicherer dem Prozess als Streithelfer mit einem eigenen Anwalt bei, der die Verteidigung der Manager koordiniert. „Wir haben versucht, die passive Rolle des Versicherers aufzubrechen“, sagt Björn Seitz, Partner bei der Anwaltskanzlei Bach, Langheid und Dallmayr, die zusammen mit Chartis das Konzept entwickelt hat.
Mit der Sockelverteidigung kann der Versicherer direkten Einfluss auf den Prozess nehmen und verhindern, dass sich die Manager gegenseitig mit Schuldzuweisungen überhäufen. „Sie spart Kosten und Zeit“, sagt Müller von Chartis. Die Schriftsätze der Manageranwälte seien oft sehr ähnlich. Bei der Sockelverteidigung fertigt der Anwalt des Versicherers einen Basisschriftsatz an, den die Rechtsbeistände der Manager bei Bedarf ergänzen können. „Das Gericht muss sich nicht mit fünf Schriftsätzen befassen, sondern nur mit einem“, sagt Müller. Auch für den Manager sieht er Vorteile. „Es bleibt ein Großteil der Deckungssumme erhalten für den Fall, dass es doch zu einer Haftung des Managers kommt“, sagt er. Außerdem profitiere der Manager vom Haftpflicht-Know-how des Versicherers. Die Strategie eigne sich besonders für Fälle, in denen mindestens zwei bis drei Manager mit widerstreitenden Interessen angeklagt werden. Bei Chartis komme diese Strategie regelmäßig bei großen Verfahren zum Einsatz. Das spart Geld. „Das Konzept hat die Ausgaben für Verteidigungskosten sicherlich geschmälert“, sagt Müller.
Rechtsanwalt Thümmel hält das Konzept für sinnvoll. „Eine Abstimmung zwischen mehreren Betroffenen ist vor allem in der Strafverteidigung wichtig, aber auch im zivilrechtlichen Bereich“, sagt er. Sind mehrere Manager angeklagt, komme es häufig vor, dass sich deren Anwälte gegenseitig Fallen stellen. „Es bringt dem D&O-Versicherer aber nichts, wenn einer von fünf beklagten Vorständen auf Kosten der anderen rein gewaschen wird“, sagt Thümmel. „Es müssen möglichst alle Manager von der Haftung freigehalten werden.“
Die Sockelverteidigung habe aber ihre Grenzen. Es gebe Situationen, in denen ein Vorstand mehr Verantwortung für die Vorfälle trage, etwa weil er Ressortleiter ist. „Man kann vom Manageranwalt nicht verlangen, dass er entlastendes Material zurückhält, nur weil es einen anderen Beklagten belastet“, sagt er. Der Rechtsbeistand müsse sich immer fragen, ob es zwingend notwendig ist, die Verteidigung zulasten der anderen Manager aufzubauen oder ob es nicht einen anderen Weg gibt, der zum gleichen Ergebnis führt. „Wenn es aber nicht anders geht, muss der Versicherer es geschehen lassen“, sagt Thümmel.
Mark Wilhelm von der Kanzlei Wilhelm Rechtsanwälte hält von der Sockelverteidigung nichts. „Ich sehe den Sinn hinter dem Konzept nicht. Der Versicherer muss dem Streit nicht beitreten, um Einfluss auf den Prozess nehmen zu können“, sagt er. Der Manager sei auch so in der Pflicht, sich mit dem Versicherer abzusprechen. Das ist im D&O-Vertrag festgelegt. Verstößt er dagegen, setzt der Manager seinen Versicherungsschutz aufs Spiel. „Es ist daher üblich, dass sich die Verteidiger miteinander abstimmen“, sagt Wilhelm. Ein Beitritt habe höchstens Sinn, wenn der Versicherer das Gefühl hat, dass der Manager nicht das für seine Verteidigung tut, was nötig wäre.
Nach Wilhelms Ansicht geht der Trend ohnehin in eine ganz andere Richtung. „Die Unternehmen wollen vermehrt eine einvernehmliche Lösung mit dem Manager, ohne ihn verklagen zu müssen“, sagt er. Auch wenn er einen Fehler gemacht hat, betrachteten sie den Vorstand oft noch als guten Mitarbeiter, den sie nicht verlieren wollen. „Der Trend geht in Richtung Direktanspruch“, sagt Wilhelm. Dabei tritt der Manager seine Ansprüche gegenüber dem Versicherer an das Unternehmen ab. Die Firma muss den Entscheider dann nicht mehr verklagen, um einen D&O-Schaden geltend machen zu können. Alles Wichtige klären Unternehmen und Versicherer miteinander, für den Manager ist der Fall weitestgehend erledigt. „Einige teure D&O-Policen enthalten bereits solch eine Abtretungsmöglichkeit“, sagt er. Aber längst nicht jeder Versicherer lässt sich darauf ein. „Viele Gesellschaften argwöhnen, dass die Beteiligten etwas vertuschen wollen, wenn es keine harte Auseinandersetzung gibt“, sagt Wilhelm. Sie fürchten, dass Unternehmen und Manager zusammenarbeiten und unglücklich verlaufene Geschäfte, bei denen keine Pflichten verletzt worden sind, zu D&O-Fällen stilisieren. „Zudem sehen viele Versicherer bei der Abtretung ihre Verteidigungsmöglichkeiten schwinden“, sagt er. Sie glauben, dass der Manager nicht ausreichend motiviert ist, unbegründete Haftungsansprüche abzuweisen, wenn er nicht selbst angeklagt wird.
Dementsprechend reagieren die Versicherer auch sehr unterschiedlich auf die Abtretungswünsche. Zu den Hardlinern, die sich auf so etwas fast nie einlassen, zählt laut Branchenkreisen Chartis. Den Vorwurf, prozesswütig zu sein, weist der Versicherer zurück. „Die Sockelverteidigung ist kein Instrument, um Versicherungsnehmer in Prozesse hineinzutreiben“, sagt Chartis-Mann Müller.
Quelle: Financial Times Deutschland
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