Wie sich Versicherungskunden im Labyrinth aus Vertragsbedingungen undZusatzinformationen zurechtfinden
Aktien fallen ins Bodenlose, Fonds müssen ihren Anlegern hohe Verluste beichten, doch Festgeld als Alternative bietet nur Minizinsen. Plötzlich sieht die klassische Lebensversicherung wieder attraktiv aus – trotz ihrer mageren Verzinsung. Wer eine Police abschließt, bindet sich allerdings für Jahre und investiert viel Geld. Grund genug, die Vertragsbedingungen genau zu studieren. Doch das machen die wenigsten. Ein Fehler, wie sich oft genug herausstellt: Wer sich nicht vor dem Abschluss über alle Einzelheiten unterrichtet, läuft Gefahr, sich wegen einer unbemerkten Klausel über den Tisch gezogen zu fühlen.
Den meisten Kunden geht der Papierwust gehörig auf die Nerven. „Das sind manchmal bis zu 100 Seiten, ein Informationsoverkill“, sagt Hans-Ludger Sandkühler, Vorsitzender des Bundesverbands mittelständischer Versicherungs- und Finanzmakler. „Das kann kein normaler Kunde ganz verstehen.“ Sein Rat: „Wer eine Police abschließen will, sollte sich zunächst einmal nur das Produktinformationsblatt durchlesen. So kann er sich einen Überblick verschaffen und gezielter beim Vermittler nachfragen.“
Bei Lebens-, Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherungen finden sich darin Aussagen zu den Kosten, also wie viel der Versicherer von den Beträgen für Vermittlerprovision und die Verwaltung verwendet. Wie hoch der Betrag in Euro und Cent ist, verraten die Versicherer selten. Prozentangaben auf die zu zahlenden Beträge geben aber einen Anhaltspunkt.
Neben den Abschlusskosten ist auch die Leistung, mit der ein Kunde rechnen kann, nicht ohne Weiteres erkennbar. Musterrechnungen und Tabellen stiften mehr Verwirrung, als dass sie aufklären. „Viele Kunden wissen nicht, dass sie sich nur auf die garantierten Leistungen verlassen können“, sagt Arno Schubach, Fachanwalt für Versicherungsrecht. „Prognosen und standardisierte Kalkulationen sind unverbindlich.“ Hintergrund ist, dass die Anbieter bei heute abgeschlossenen klassischen deutschen Lebensversicherungen ihren Kunden einen Garantiezins von zurzeit 2,25 Prozent auf den Sparanteil der Beiträge für die gesamte Vertragslaufzeit zusagen. Zudem rechnen die meisten Gesellschaften eine nicht garantierte Überschussbeteiligung an, die jedes Jahr neu festgelegt wird. Im vergangenen Jahr lag die Gesamtverzinsung auf den Sparanteil der Prämie durchschnittlich bei 4,1 Prozent.
Bei Berufsunfähigkeitsversicherungen müssen Kunden unbedingt prüfen, wann der Versicherer zahlt und wann nicht. Denn im schlimmsten Fall steht der Versicherte ohne Rente da. So ging es einer Flugbegleiterin: Ihr Berufsunfähigkeitsversicherer wollte nicht zahlen – obwohl ihre Flugangst in den Bedingungen als Leistungsfall anerkannt war. Was die junge Frau im Kleingedruckten übersehen hatte: Die Gesellschaft wollte ihr erst eine Rente zahlen, wenn die Angst vorm Fliegen nach Ablauf der ersten vier Jahre seit Vertragsabschluss eintritt. Solche Ausschlüsse können Kunden im Produktinformationsblatt und den Vertragsbedingungen nachlesen. Gerade Menschen mit Vorerkrankungen oder gefährlichen Berufen sollten damit rechnen, dass die Versicherer nicht bei jeder Form der Berufsunfähigkeit zahlen wollen.
Verbraucher sollten auf jeden Fall darauf achten, dass im Vertrag keine Verweisungsklauseln enthalten sind, sagt Schubach. Mit solchen Klauseln versucht der Versicherer, Berufsunfähige in einer anderen, leichteren Tätigkeit unterzubringen und so die Zahlung zu vermeiden. Nach dem Motto: Ein ausgebrannter Manager kann nicht mehr Verhandlungen führen, wohl aber noch als Hausmeister oder Schreibkraft arbeiten.
Trotz aller Zusatzinformationen sollten sich Kunden keinesfalls nur auf ihr eigenes Urteilsvermögen verlassen. „Für Laien ist es fast unmöglich, die Verträge ohne fachliche Hilfe zu verstehen“, sagt Hajo Köster vom Bund der Versicherten. Er rät zur umfassenden Beratung durch einen Spezialisten, der nicht vom Versicherer in Form von Provision bezahlt wird.
Anne-Christin Gröger
Quelle: Financial Times Deutschland
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