Kluge Unternehmen investieren in ein umfassendes Gesundheitsmanagement. Dasführt nicht nur zu weniger Krankmeldungen, sondern auch zu produktiverenBeschäftigten
Jonas Tauber
Der Druck war schon immer hoch. Aber als ihn die Freundin verlässt, fühlt sich der IT-Fachmann seinem Job nicht mehr gewachsen. Immerhin trifft ihn die Situation nicht ganz unvorbereitet. Denn sein Arbeitgeber SAP informiert Mitarbeiter in Workshops regelmäßig darüber, wie gefährlich persönliche Krisen für die psychische Gesundheit sein können. Der Mann wählt die Nummer des anonymen Mitarbeitertelefons und schildert einer geschulten Beraterin seine schwierige Verfassung. Die Frau vermittelt einen Termin bei einem Therapeuten – für den nächsten Tag.
Dieser fiktive Fall zeigt, welche Möglichkeiten das Gesundheitsmanagement des Walldorfer Softwareherstellers SAP für den Fall einer Krise eines Mitarbeiters bietet.
Bis 2007 ging der jährliche Krankenstand von Arbeitnehmern in Deutschland stetig zurück. Seitdem steigen die Krankmeldungen, besonders stark ist der Anstieg aufgrund psychischer Belastungen wie Stress oder Burnout. Beobachter machen dafür die laufend steigenden Leistungsanforderungen verantwortlich. Der demographische Wandel wird die Entwicklung noch verschärfen: Weil zu wenig junge Menschen auf den Arbeitsmarkt kommen, müssen die Deutschen immer länger arbeiten. Einige Unternehmen haben das erkannt und tun viel, damit ihre Mitarbeiter dazu auch in der Lage sind und es ihnen gut geht.
Motivierte und zufriedene Mitarbeiter werden seltener krank und können starken Druck besser verkraften. „Das zentrale Präventionsmodell ist Spaß an der Arbeit“, sagt Natalie Lotzmann, die das Gesundheitsmanagement von SAP leitet. Ihre 20-köpfige Abteilung beschäftigt sich mit der Konzeption und Auswertung von Gesundheitsangeboten für die knapp 60 000 Mitarbeiter weltweit. Das reicht von regelmäßigen Gesundheitsuntersuchungen über Workshops zu Themen wie der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben bis hin zu einem internen persönlichen und einem externen anonymisierten Beratungsdienst für Problemsituationen jeder Art. Die Anstrengungen lohnen sich. Nach Angaben von Lotzmann führt jeder in die Gesundheit investierte Euro über kurz oder lang zu einem Ertrag zwischen 3,50 Euro und 10 Euro.
Lotzmann ist der Ansicht, dass ein modernes Gesundheitsmanagement nicht beim Versuch stehen bleiben darf, belastende Arbeitsumstände zu minimieren. „Die Stressfaktoren wie zunehmende Flexibilisierung und Mobilisierung nehmen zu, und das können wir nur begrenzt beeinflussen“, sagt sie. „Deshalb konzentrieren wir uns auf die Unterstützung stärkender Ressourcen wie Freude an der Arbeit, Anerkennung und Wertschätzung durch die Vorgesetzten sowie auf die Schaffung von Freiräumen“, erklärt Lotzmann.
Aber viele Unternehmen tun noch zu wenig oder das Falsche. Einige denken zu kleinteilig, kritisiert Knut Lambertin, Gesundheitsexperte des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Viele Arbeitnehmer vermissten die Anerkennung für ihre Arbeit, sagt er mit Blick auf die Studie „Fehlzeitenreport 2011“. „Die Hälfte der Befragten sagt, dass sie nie oder selten gelobt werde“, berichtet Lambertin. „Fortbildungen wie eine Rückenschule oder Anti-Stress-Kurse helfen natürlich nicht bei Problemen, die durch einen falschen Führungsstil entstehen.“ Der Druck auf die Unternehmen steigt. Denn der Anteil der 50 bis 65-jährigen Arbeitnehmer an den Belegschaften deutscher Betriebe wird wegen des rückläufigen Bevölkerungswachstums stark zunehmen, sagt der Gesundheitswissenschaftler Bernhard Badura von der Universität Bielefeld. Diese Altersgruppe ist besonders anfällig für Arbeitsunfähigkeit – und dafür, wegen körperlicher und psychischer Probleme ihr Leistungspotenzial nicht zu erreichen.
„Solche Mitarbeiter sind zwar anwesend, aber sie arbeiten nicht produktiv“, sagt der Wissenschaftler. Das als Präsentismus bezeichnete Phänomen verursacht nach seinen Angaben dreimal so hohe Kosten wie das Fehlen durch Krankheit. „Das sind zum Beispiel Arbeitnehmer, die unter der starken Angst leiden, ihren Arbeitsplatz zu verlieren“, erklärt er. Unternehmen, die Abhilfe schaffen wollen, müssen ihren Mitarbeitern dabei helfen, den steigenden Leistungsanforderungen gerecht zu werden. „Sie müssen am Führungsverhalten, der Unternehmenskultur und den sozialen Beziehungen innerhalb der Belegschaft ansetzen“, sagt Badura.
Die Politik kümmert sich zu wenig um das Thema, kritisiert der Gesundheitswissenschaftler. Es fehle an einer Regelung mit klaren Kriterien für ein gelungenes Gesundheitsmanagement und an steuerlichen Anreizen für Vorreiter. „Das Finanzministerium sollte sich Gedanken machen, wie solche Kriterien aussehen könnten und welche steuerlichen Entlastungen Unternehmen bekommen, die gut investieren“, sagt er.
Die gesetzlichen Krankenkassen unterstützen seit Jahren Unternehmen beim Aufbau eines eigenen Gesundheitsmanagements. Jetzt entdecken auch die privaten Versicherer den Markt für sich. Die Süddeutsche Krankenversicherung zum Beispiel bringt im zweiten Halbjahr gemeinsam mit Kooperationspartnern ein Paketangebot für Unternehmen mit 50 bis 300 Mitarbeitern heraus. Dazu gehören die Bedarfsermittlung und die Entwicklung von konkreten Maßnahmen wie etwa die Ausrichtung eines Gesundheitstags. Außerdem: die Ausbildung eines Mitarbeiters zum Gesundheitsfachmann, damit das Thema auf der Tagesordnung bleibt.
Quelle: Financial Times Deutschland
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