Kölner Versicherer stellt sich gegen die Branche und investiert kurzfristigerals die Rivalen
Herbert Fromme , Köln
Während sich die Konkurrenz über die Aussicht auf dauerhaft niedrige Kapitalmarktzinsen beklagt, fürchtet der Kölner Versicherer Gothaer exakt das Gegenteil: den raschen Anstieg der Zinsen. „Das größte Risiko für die Lebensversicherer ist ein schneller Zinsanstieg mit Kündigungsquoten von acht bis neun Prozent“, sagte Finanzchef Jürgen Meisch am Dienstag bei der Vorstellung der Bilanz 2011. Selbst wenn es nicht zum Inflationsschock komme, würden sich die Zinsen normalisieren, sagte Meisch weiter.
Das könne Versicherer in die Pleite treiben, denn: Je länger die durchschnittliche Laufzeit ihrer Kapitalanlagen (Duration) sei, desto größer werde das Risiko, auf dem falschen Fuß erwischt zu werden. „Versicherer mit acht- oder zehnjähriger Duration trifft das richtig hart“, sagte Meisch. Sein Szenario: Kunden kündigen, weil sie woanders höhere Erträge erzielen. Dann benötigt der Versicherer hohe Barmittel und muss Langfristpapiere zu ungünstigen Bedingungen verkaufen. Das kann die Insolvenz bedeuten.
Seine Aussagen überraschen gleich in mehrfacher Hinsicht. So klagt die Branche seit Langem unisono darüber, dass die Leit- und Kapitalmarktzinsen krisenbedingt inzwischen derart niedrig sind, dass sich mit festverzinslichen Wertpapieren wie Anleihen kaum noch etwas verdienen lässt. Die Versicherer, die zu den größten Anlegern am Kapitalmarkt überhaupt zählen, müssen aber zumindest so viel verdienen, wie sie ihren Kunden garantiert haben. Insofern trifft sie die Dauerzinsphase hart.
Hinzu kommt, dass die meisten Experten die Zinsaussichten anders beurteilen als Meisch. Angesichts der Dauerkrise in Europa und der lahmen US-Wirtschaft glauben nur wenige daran, dass die Zinsen bald signifikant steigen. Im Gegenteil: Viele fürchten sogar Deflation infolge einer Rezession der Weltwirtschaft. So hat allein die US-Notenbank zugesagt, ihren Leitzins von derzeit fast null Prozent mindestens bis 2013 konstant zu halten. Für ein Inflationsszenario müsste überdies die Konjunktur brummen, anderenfalls können die Unternehmen die Preise nicht erhöhen.
Die Gothaer sieht das völlig anders und hat deshalb ihre Kapitalanlagepolitik geändert. Seit drei Jahren investiert Meisch das Geld seiner Kunden kurzfristiger, um rascher reagieren zu können, falls die Zinsen steigen und sich wieder mehr verdienen lässt. „Unsere Duration liegt bei 5,5 Jahren.“ Das seien zwei Prozent weniger als im Marktschnitt. Zwar müsse er mit einer 0,3 Prozentpunkt niedrigeren Verzinsung seiner Kapitalanlagen leben. Aber das verdiene die Gothaer „ganz locker“ über ihre Strategie, bei der attraktiv verzinste Firmenanleihen eine große Rolle spielen.
Bislang geht die Anlagestrategie auf, auch dank Verkäufen von Wertpapieren. Mit seinen Kapitalanlagen von 23 Mrd. Euro verdiente der Konzern 2011 rund 908 Mio. Euro nach 822 Mio. Euro 2010. Insgesamt verdiente der Konzern, der von einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit geführt wird, 85 Mio. Euro nach 79 Mio. Euro. Die Beiträge stiegen von 4,0 Mrd. auf 4,1 Mrd. Euro.
Konzernchef Werner Görg sagte, die Gothaer habe früh in der Lebensversicherung auf fondsgebundene Policen gesetzt, bei denen die Kunden den größten Teil des Kapitalanlagerisikos tragen, während bei klassischen Policen der Versicherer in der Pflicht ist. Auch deshalb habe die Gothaer geringere Risiken in der Lebensversicherung als andere. Görg kündigte ferner an, noch mehr auf Unternehmer als Kunden zuzugehen und das Auslandsengagement auszubauen. Neben Polen und Rumänien, wo bereits Firmen gekauft wurden, will die Gothaer in der Türkei, Russland und der Ukraine Fuß fassen.
Quelle: Financial Times Deutschland
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