Der Rückversicherer wittert Geschäftschancen in der Abdeckung vonKernkraftrisiken, besteht aber auf einer Höchstgrenze
Herbert Fromme
Herbert Fromme , Köln
Munich Re begrüßt den Vorschlag von EU-Energiekommissar Günther Oettinger, eine Pflichtversicherung für Atomkraftwerksbetreiber einzuführen. „Der Transfer von Risiken über Versicherungslösungen ist volkswirtschaftlich sinnvoll, da sie so einen Preis bekommen und in das Endprodukt eingehen“, sagte Torsten Jeworrek, Vorstand beim weltgrößten Rückversicherer, der FTD. Das gelte auch für Nuklearrisiken.
Oettinger hatte am Donnerstag erklärt, Europas Energieversorger, die Atomkraftwerke unterhalten, sollten sich gegen AKW-Unfälle versichern. „Ich denke, dass bestimmte Versicherungspflichten verbindlich vorgeschrieben werden sollten“, so Oettinger. Ziel sei, dass Opfer entschädigt werden und die Betreiber haften.
Zunächst hatten sich die Versicherer nach Oettingers Ankündigung mit Äußerungen zurückgehalten. Schließlich gibt es bereits Pflichtversicherungen, die allerdings nur vergleichsweise geringe Summen abdecken. Außerdem hat der Unfall des japanischen Kernkraftwerks Fukushima im März 2011 das Ausmaß der Risiken offengelegt: Den volkswirtschaftlichen Schaden schätzt der Rückversicherer Swiss Re auf 210 Mrd. Dollar (161 Mrd. Euro) – mindestens. Nur 35 Mrd. Dollar davon sind versichert.
Nun prescht Munich Re vor. Der DAX-Konzern wittert Geschäftschancen, die sich aus Oettingers Plan ergeben könnten. „Wir werden Überlegungen über erweiterte Versicherungsdeckungen für Nuklearrisiken unterstützen“, sagte Vorstand Jeworrek weiter. Allerdings: Die Versicherungswirtschaft könne Nuklearrisiken wegen der „potenziell sehr großen Auswirkungen“ nur innerhalb gewisser Höchstsummen tragen. „Aber diese Limits könnten auch deutlich höher sein als bisher“, sagte Jeworrek.
Dafür müsse die EU, wie auch Oettinger vorschlägt, die unterschiedlichen Haftungsregeln harmonisieren. Jeworrek: „Unter diesen Rahmenbedingungen halten wir eine Pflichtversicherung für Kernkraftwerksbetreiber für einen gangbaren Weg.“
Bei den Energieversorgern dürften Oettingers Pläne dagegen kaum auf Gegenliebe stoßen. Schließlich ist der Istzustand äußerst angenehm für sie: In vielen Ländern sind die AKWs mit Minisummen versichert, in Frankreich etwa mit 100 Mio. Euro – das ist genau der Betrag, mit dem inzwischen auch viele Pkw haftpflichtversichert sind. Entsprechend günstig ist diese Absicherung für die Energiefirmen. Darüber hinaus, so die stillschweigende Annahme, haftet ohnehin der Staat. Atomstrom wird dadurch künstlich billiger.
In Deutschland sind die Haftungsgrenzen höher, aber weit entfernt vom Niveau der Fukushima-Schäden. Laut Atomgesetz müssen die Betreiber eine Deckungsvorsorge von 2,5 Mrd. Euro bereithalten. Davon trägt der Kölner Atompool Deutsche Kernreaktor-Versicherungsgemeinschaft, der 32 private Gesellschaften umfasst, 256 Mio. Euro pro Kraftwerksblock. Die vier AKW-Betreiber haben in einem komplexen Vertrag festgeschrieben, dass sie gemeinsam die Differenz zu den 2,5 Mrd. Euro tragen, also 2,24 Mrd. Euro. Darüber hinaus haftet jeder Betreiber unbegrenzt – das heißt, faktisch bis zur Obergrenze seines Vermögens.
Wie hoch die mögliche Deckung durch die private Versicherungswirtschaft sein könnte, sagte Jeworrek nicht. Nach dem Ölbohrunfall im Golf von Mexiko 2010 hatte Munich Re eine Pooldeckung von 20 Mrd. Dollar für Umweltschäden aus Ölbohrungen vorgeschlagen. Viel größer dürfte auch eine private Kernkraftdeckung kaum ausfallen. Denn für solche Risiken benötigen die Versicherer sehr viel Kapital.
Allerdings hat die Branche gute Erfahrungen mit gemischten Systemen aus privater und staatlicher Deckung gemacht. Nach diesem Muster sind der deutsche Terrorpool Extremus organisiert, die Ernteausfallversicherungen in den USA sowie die Erdbebendeckungen in Neuseeland und anderen Ländern. Der Vorteil gegenüber dem jetzigen Zustand: Die staatliche Deckung ist klar definiert – und der Staat erhält dafür eine Prämie. Im Fall Kernkraftversicherung würde das Transparenz bei den tatsächlichen Preisen der Stromherstellung schaffen.
Quelle: Financial Times Deutschland
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