Warum Finanzunternehmen ihre Mühe damit haben, gute Vertriebsmitarbeiter zugewinnen
Die jüngste Umfrage im Auftrag des Deutschen Beamtenbunds hat es wieder gezeigt: Versicherungsvertreter haben in der Bevölkerung ein schlechtes Image. Bei gerade einmal elf Prozent genießen sie ein hohes Ansehen und stehen damit ganz am Ende einer Skala von 30 Berufen. Zwischen den Vertretern und den Feuerwehrmännern an der Spitze des Rankings liegen Welten.
Das schlechte Image bekommen Versicherer und Finanzvertriebe zu spüren, die auf der Suche nach qualifiziertem Nachwuchs sind. „Wenn man Hochschulabsolventen fragt, ob sie schon einmal über eine Karriere im Versicherungsvertrieb nachgedacht haben, gucken sie erschreckt“, sagt Oliver Gaedeke, Vorstand beim Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Yougov. „Viele scheuen das Drückerimage des Vertriebs.“
Dieser Nachteil wird noch lange wirken, auch wenn die Realität inzwischen meist anders aussieht, glaubt Gaedeke. „Die Tätigkeit eines Vermittlers und Finanzberaters ist sehr attraktiv.“ Mit Klinkenputzen habe das, was heute von Mitarbeitern im Finanzvertrieb verlangt wird, nichts mehr zu tun, sagt er.
Unternehmen können beim potenziellen Nachwuchs neben den klassischen Faktoren wie dem Verdienst und der Provision vor allem mit Schulungsangeboten punkten. „Die Aus- und Weiterbildungsangebote sind im Finanzvertrieb ein wesentlicher Faktor für die Begeisterung und die Bindung der Vermittler“, sagt Gaedeke.
Der Wieslocher Finanzvertrieb MLP setzt bei der Gewinnung neuer Berater auf die interne Qualifizierung. „Wir müssen in gute Leute investieren und ihnen etwas bieten“, sagt Karl-Friedrich Bauer, Bereichsvorstand und Präsident der MLP Corporate University. Während selbst gute Hochschulabsolventen früher viele Bewerbungen schreiben mussten, können sie heute zwischen mehreren Angeboten wählen. „Der Kampf um die Talente wird immer schwieriger“, sagt Bauer.
Seit 2010 bietet die unternehmenseigene Akademie den Mitarbeitern die Möglichkeit, sich zum Certified Financial Planner zertifizieren zu lassen. Die 150 Dozenten schulen die MLP-Berater auch in Grundsatzfragen und einzelnen Fachgebieten und bieten die Möglichkeit, Lizenzen für Spezialbereiche zu erwerben.
„Alles, was man bei uns lernt, kann man später auch in vielen anderen Berufen verwenden“, sagt Bauer. Dazu soll es aber möglichst nicht kommen, da MLP ja gerade gute Leute an sich binden will. „Wir wollen keine Durchlaufstation sein“, sagt er.
Bislang funktioniere das auch ganz gut, die Fluktuation der rund 2100 MLP-Berater beträgt weniger als neun Prozent. Das führt Bauer auch auf die umfangreichen Qualifizierungsmöglichkeiten zurück. Wer hingegen nur schnelles Geld wolle, sei bei MLP nicht richtig, betont er. Neue Berater würden mit einem Gesamtpaket gewonnen, das auch einen Ausbildungszuschuss von 16 000 Euro plus die erwirtschafteten Provisionen und Honorare enthält.
Der Finanzkonzern Wüstenrot und Württembergische (W&W) hat mit der Universität Passau einen berufsbegleitenden Studiengang für seine Vertriebsmitarbeiter entwickelt, den zertifizierten Vorsorgespezialisten. Diese Weiterbildung biete mehr Praxiswissen als vergleichbare Angebote anderer Institute, sagt Bernd Hertweck, Vorstand der Wüstenrot Bausparkasse. „Das ist die Ausbildung für die Betriebswirtschaft der Privathaushalte.“ Sie steht erfolgreichen Vertriebsmitarbeitern offen.
W&W tritt mit dem Anspruch an, Kunden bei allen Themen der privaten Vorsorge von der Lebensversicherung bis zum Bausparvertrag gleichwertig zu bedienen. Weil es schwierig ist, entsprechend breit aufgestellte Leute zu finden, spielt die Förderung der eigenen Kräfte eine zentrale Rolle. „Wer praktische Erfahrungen und theoretisches Fachwissen in allen Bereichen sammeln konnte, ist besser als der klassische Seiteneinsteiger, der nur in einer der Produktwelten großgeworden ist“, sagt Hertweck.
Es sei schwierig, gute Vertriebsmitarbeiter in Spitzenpositionen von anderen Unternehmen zu holen. „Dort gewinnt man selten die Topleute, denn bei ihnen ist die Fluktuation gering.“ Die guten Weiterbildungsmöglichkeiten sieht er als wichtiges Instrument, um gute Vertriebsmitarbeiter bei der Stange zu halten. Hinzu kommen die Aufstiegschancen bei der Wüstenrot Bausparkasse und im gesamten W&W-Konzern. „Die Leiterin unserer größten Vertriebsdirektion in Süddeutschland war 2006 noch eine einfache Verkäuferin“, sagt Hertweck. „Heute führt sie 1000 Mitarbeiter.“
Auch die Versicherungsgruppe Debeka setzt bei der Talentförderung vor allem auf Eigengewächse. Sie bildet bundesweit 2145 Lehrlinge aus, 90 Prozent von ihnen haben Abitur. „Wir sind der größte Ausbilder in der deutschen Versicherungswirtschaft“, sagt Personalvorstand Thomas Brahm. Bei der Ausbildung spielt der Vertrieb die zentrale Rolle. Das schlägt sich schon im Assessment-Center nieder, das Kandidaten für eine Lehrstelle durchlaufen. „Wir suchen junge Leute mit Vertriebsaffinität und offenem Wesen“, berichtet Brahm. Die vertriebsnahe Ausrichtung macht sich nach seinen Angaben bezahlt – und die Debeka-Mitarbeiter attraktiv. „Unsere Lehrlinge sind gefragt bei anderen Unternehmen.“ Die Fluktuation sei aber gering. Die Vertriebsmitarbeiter erhalten bei der Debeka ein Garantiegehalt plus Provisionen.
„Für gute junge Leute ist bei uns eine relativ zügige Karriere möglich“, sagt er. Wer sich geschickt anstelle, könne mit 24 Jahren in die Führungsebene gehen. Orga-Leiter sind selbst noch im Vertrieb aktiv, leiten dabei aber fünf bis neun Mitarbeiter. Wer es an die Spitze einer der 280 Geschäftsstellen schafft, ist für 30 bis maximal 120 Leute verantwortlich. Die 26 Landesgeschäftsstellenleiter führen dann je zehn bis 15 Geschäftsstellen.
Von den Geschäftsstellenleitern haben 70 Prozent ihre Ausbildung bei der Debeka gemacht. Die anderen sind Seiteneinsteiger. „Sie müssen aber im Unternehmen alle vorherigen Stationen durchlaufen“, sagt Brahm. Eine Ausnahme gibt es nur für Vorstände. Brahm selbst hat von der Pike auf bei der Debeka gelernt, ebenso Vorstandschef Uwe Laue.
Solche hausinternen Karrieren sind in den Topetagen der Finanzbranche die absolute Ausnahme, weiß Christoph Netta, Managing Partner der Personalberatung Heads. Er vermittelt pro Jahr rund 15 Vorstandsposten bei Banken und Versicherungen. Darunter sind zwei oder drei Vertriebsvorstände. Bei ihnen sei die Fluktuation größer als in den anderen Ressorts, sagt Netta. „Das Vertriebsressort ist das anstrengendste, weil man dort die meisten Kunden- und Außenkontakte hat und die meisten Veranstaltungen absolvieren muss.“ Wer die Herausforderungen meistert, ist oft zu Höherem berufen. „Viele Vertriebschefs werden Vorstandschefs.“
In der Versicherungswirtschaft ist das Anforderungsprofil an die obersten Vertriebler sehr hoch. „Sie müssen strategisch denken, sauber rechnen können, eine hohe Empathie haben und authentisch sein, weil sie Leute überzeugen und führen müssen.“ Es sei schwer, gute Leute zu finden.
Netta, der selbst aus der Assekuranz kommt, hält den Versicherungsvertrieb für ein spannendes und vielversprechendes Berufsfeld. „Man kann nirgendwo so gut Karriere machen wie in der Versicherungswirtschaft, wenn man gut ist.“
Die Vermittler lernten den Umgang mit Kunden und das Eingehen auf ihre Bedürfnisse. Das unterscheide die Branche von den Banken. Dort habe die Kundenzufriedenheit viel zu lange eine untergeordnete Rolle gespielt, findet der Personalberater. „Wer als Vertriebsleiter erfolgreich bei einer Bank ist, hat es in der Versicherungswirtschaft gelernt oder dort abgeguckt.“
Scheitert ein Vertriebsvorstand, kommt er bei einem anderen Unternehmen in der Regel nicht mehr unter, berichtet er. Vertriebsvorstände von Versicherern verdienen nach seinen Angaben zwischen 350 000 Euro und 1,5 Mio. Euro im Jahr. „Bei den Banken ist der Verdienst noch höher.“
Quelle: Financial Times Deutschland
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