Die nächste Krise naht – und damit wächst das Interesse der Wirtschaft an der Kreditversicherung, sagt Thomas Krings, Vorstand beim Marktführer Euler Hermes. „Es gibt eine vernünftige Nachfrage im Markt, die sehr stark auf den Exportgeschäften beruht“, sagt Krings. Für den Markt erwartet er für 2012 einen Anstieg des Deckungsvolumens von rund vier Prozent auf 358 Mrd. Euro. „Immer dann, wenn dunkle Wolken aufziehen, wird die Kreditversicherung interessanter für die Unternehmen“, sagt Krings. Das werde sich 2013 fortsetzen. Mit einer Kreditversicherung sichern sich Unternehmen gegen das Risiko ab, dass ihr Kunde zwischen Lieferung und Zahlung der Rechnung Pleite geht.
Weniger optimistisch sieht Marc-Peter Büchler die Lage. Er ist Experte für Kreditversicherung beim Großmakler Aon. Den Kreditversicherern gelinge es trotz Zuwächsen nicht, ihre Marktdurchdringung nennenswert zu erhöhen. „Im Markt wird immer mehr ein Verteilungskampf sichtbar“, sagt er. „Die Anbieter generieren wenig Neugeschäft, sondern liefern sich einen Verdrängungswettbewerb.“
Bei bestehenden Policen können Unternehmen teilweise spürbare Preisreduzierungen durchsetzen. Die Anbieter wollen ihre Marktanteile ausbauen und Kunden nicht verlieren. Das wird sich erst ändern, wenn sie durch viele Insolvenzen unter Druck geraten. „Die Versicherer haben bislang keine katastrophalen Schadenquoten“, sagt Büchler.
Die Folge sind Prämien, die nicht zur derzeitigen Risikolage zu passen scheinen. Das bestätigt auch Krings von Euler Hermes. „Der Markt ist immer noch weich“, sagt er. Darunter verstehen die Versicherer Phasen niedriger Preise. Aber die Insolvenzprognosen zumindest für Unternehmen in der Euro-Zone stehen auf Sturm. Die Versicherer sind zwar auf der Hut und prüfen die Kunden ihrer Kunden genau, doch nicht über das ohnehin übliche Maß hinaus. „Es gibt keine restriktiven Maßnahmen im Neugeschäft“, sagt Makler Büchler. Das ist auch eine Konsequenz aus der Krise 2008. Damals haben die Kreditversicherer aus Angst vor Schäden in großem Umfang Deckungen gekündigt. Die Folge: Unternehmen standen von heute auf morgen ohne Schutz da. Und waren entsprechend verärgert.
Mit einer Reihe von neuen Angeboten versuchen die Versicherer, solche Konfrontationen künftig zu vermeiden. Das erste Angebot ist die Nachlaufdeckung. Das bedeutet: Hersteller haben nach Kündigung der Police eine bestimmte Zeit, um zu reagieren. Die Spanne zwischen Kündigung und Ende des Versicherungsschutzes liegt je nach Anbieter zwischen zehn und 30 Tagen. Gerade hat Euler Hermes ein neues Angebot auf den Markt gebracht. Gegen einen Prämienaufschlag von zehn Prozent kann die Nachlaufdeckung auf 60 Tage ausgedehnt werden.
Eine andere Option ist die sogenannte Top-up-Deckung. Sie ist wie die einstige Staatsdeckung konstruiert, die die Bundesregierung 2009 als Reaktion auf die harsche Vorgehensweise der Kreditversicherer in der Krise vorübergehend eingeführt hat.
Dabei geht es um Ergänzungen zum Basisschutz. Hat ein Betrieb eine Grunddeckung von einem Kreditversicherer, die seiner Ansicht nach nicht ausreicht, kann er eine Top-up-Deckung kaufen – zu deutlich höheren Preisen, und manchmal auch beim selben Versicherer. Top-up kostet bis zum Doppelten des Basisschutzes. Dennoch nehmen Kunden das das Angebot an. „Interessanterweise wächst der Markt der Top-up-Deckungen“, sagt Büchler. Neben den etablierten Versicherern wie der Allianz-Tochter Euler Hermes sind hier viele kleinere Anbieter aktiv wie Ace aus Bermuda, die belgische TCRe und die australische QBE. Erst vor einem Monat kam das Lloyd’s Syndikat Equinox auf den deutschen Markt.
Auch die deutsche Niederlassung des französischen Kreditversicherers Coface setzt auf dieses Geschäft. In diesen Tagen bringt Coface ein Produkt namens „Top-Liner“ auf den Markt. Lieferanten können für einzelne Aufträge zusätzliche Deckung über die bestehenden Summen hinaus vereinbaren. Online können die Versicherungseinkäufer entscheiden, ob ihnen die angebotene Zusatzdeckung zu teuer ist oder nicht. „Angesichts der risikopolitischen Großwetterlage spürt das Publikum Unsicherheit“, sagt Franz Michel, Chef der deutschen Niederlassung von Coface. „Das beflügelt die Nachfrage.“ Er glaubt, dass sich die Preise gerade drehen – nach oben.
Nach Michels Einschätzung legen Kunden allerdings immer weniger Wert auf die reine Risikoabsicherung. „Sie wollen den Kreditversicherer zunehmend als Risikopartner“, sagt Michel.
Wie alle Kreditversicherer sammelt Coface viele Informationen über Unternehmen auf der ganzen Welt. Bevor die Gesellschaften ein Risiko übernehmen, prüfen sie die Abnehmer ihrer Kunden auf Herz und Nieren. Heute beobachten sie das Geschehen noch viel genauer als früher, um Frühwarnzeichen einer Insolvenz zu erkennen. „Wir haben die Prognosefähigkeit unserer Modelle weiterentwickelt und verfeinert“, sagt Michel. Früher arbeitete der Versicherer mit einem einfachen Scoring-Verfahren, um Risiken einzuschätzen. Jetzt nutzt er ein umfangreiches Value-at-Risk-Modell und gewichtet makroökonomische Faktoren. Die Coface-Experten haben 180 Kriterien, die sie in Korrelation zu Schäden aus der Vergangenheit setzen. Aus diesen Erkenntnissen leiten sie Vorhersagen ab. Dazu gehört die Entwicklung der Börsenindizes. „Was an den Börsen geschieht, hat Prognosewirkung“, sagt Michel. Die gewonnenen Erkenntnisse teilt der Kreditversicherer seinen Kunden heute schneller mit als früher, so dass die Lieferanten rasch daraus Konsequenzen ziehen können – und es gar nicht erst zu einem Schaden kommt.
Michel ist davon überzeugt, dass die Kreditversicherer in den kommenden Jahren ihre Marktdurchdringung ausbauen können. „Wir haben gute Entwicklungsmöglichkeiten“, sagt er. In Deutschland gibt es rund zwei Millionen Unternehmen, davon haben vielleicht 40 000 eine Kreditversicherung. Michel: „Da kann man nicht von Marktsättigung sprechen.“
Quelle: Financial Times Deutschland
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